Angesichts des Krimreferendums laufen diplomatische Bemühungen auf Hochtouren. Zuletzt sorgte der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger mit dem Vorschlag für Aufsehen, dass eine stärkere Autonomie von Einzelregionen in der Ukraine die Krise entschärfen könnte. Was ist davon zu halten? Und wie muss eine Umsetzung aussehen, die das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet?
Zentralisierung als Problem
Bekanntlich ist die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit 1991 ein zentralistischer Einheitsstaat. Kiew entscheidet über praktisch alles: von der Einsetzung der Gouverneure über die Besteuerung bis hin zur politisch aufgeladenen Frage über die verwendeten Amtssprachen. Die Zentralisierung ist eine der Ursachen für die aktuellen aber auch für zurückliegende Konflikte, etwa um die Geschichts- oder Sprachenpolitik des Landes, die in den westlichen Medien nur wenig beachtet wurden. Denn je nachdem, ob der Wind in Kiew in der Vergangenheit nach Westen oder nach Osten wehte, fühlten sich entweder die nationalkonservativ und überwiegend griechisch-katholisch geprägten Ukrainer oder die sowjetnostalgisch, russischsprachigen östlichen und südlichen Landesteile an den Rand gedrängt.
Vor dem Hintergrund des Referendums müsste diese stärkere Autonomie der Krim besser heute als morgen gewährt werden.
Vor diesem Hintergrund klingt der Vorschlag einer Föderalisierung auf den ersten Blick charmant: Egal ob Ost oder West, die ukrainischen Provinzen erhalten stärkere Autonomie. Gouverneure werden nicht mehr durch den Präsidenten ernannt, sondern vom Volk gewählt. Die Regionalparlamente erhalten erweiterte Zuständigkeiten in den Bereichen Bildung, innere Sicherheit und Finanzen. Dagegen bleiben die Leitlinien der Wirtschaftspolitik sowie die Außen- und Verteidigungspolitik klare Domänen Kiews. Mit der Schaffung einer zweiten Kammer, ähnlich des deutschen Bundesrates, hätten die Regionen direkten Einfluss auf zentrale Entscheidungen.
Bei einer erfolgreichen Umsetzung könnten nicht zuletzt die internationalen Akteure gesichtswahrend aus dem aktuellen Streit herausgehen: Russland, weil es die Interessen der russischen Minderheit nachhaltig gestärkt wüsste. Die EU und die Vereinigten Staaten, weil durch eine Föderalisierung die territoriale Integrität der Ukraine unangetastet bliebe.
Testfall Krim
Die Frage nach einer möglichen Föderalisierung der Ukraine ist nicht neu. So wurde diese Debatte bereits kurz nach Erlangen der Unabhängigkeit 1991 geführt, damals vor allem in den westukrainischen Landesteilen. Aber besonders auf der Krim war die Auseinandersetzung um Autonomie und Zugehörigkeit schon Anfang der 1990er Jahre hoch aktuell. So beschloss am 26. Februar 1992 der Oberste Sowjet der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Krim die Umbenennung in „Republik Krim“. Am 5. Mai 1992 erklärte sie sich für unabhängig, doch bereits die am Folgetag verkündete Verfassung machte sie zum Teil der Ukraine. Schon diese erste Verfassung sah einen eigenen Präsidenten vor. Erst im September 1994 wurde nach langen Auseinandersetzungen mit Kiew die Republik Krim zur Autonomen Republik Krim mit weitgehenden Autonomierechten unter ukrainischer Jurisdiktion und hat seitdem keinen Präsidenten mehr. Dennoch besitzt die Krim eine eigene Flagge und ein eigenes Parlament. Dieses verwaltet ein eigenes Budget und wählt eine Regierung, hat allerdings kein Initiativrecht im Bereich der Legislative.
Für die sich zuspitzenden Autonomiebestrebungen der Krim scheint eine Föderalisierung der Ukraine ein möglicher Kompromiss zu sein: größere Autonomie mit einer Rückkehr zur Verfassung von 1992 – also mit einem eigenen Präsidenten, höherer Steuerautonomie und einem Initiativrecht der Legislative – würde ihr mehr Unabhängigkeit von Kiew ermöglichen, gleichzeitig wäre ihr wirtschaftlicher Niedergang durch eine mögliche Kappung vom ukrainischen Festland (und den darüber verlaufenden lebenswichtigen Verkehrs- und Energieverbindungen) abgewendet. Vor dem Hintergrund des Referendums vom Wochenende müsste diese stärkere Autonomie der Krim besser heute als morgen gewährt werden.
Schwierigkeiten der Föderalisierung
Doch was zunächst so vielversprechend aussieht, bietet einige Fallstricke. Dies nicht zuletzt, weil der Vorschlag der Föderalisierung alles andere als neu ist. Bereits im November 2013 hatten Vertreter der damals regierenden Partei der Regionen vergleichbare Vorschläge unterbreitet. Prominentester Ideengeber war Viktor Medwedschuk, dem eine enge Freundschaft zu Wladimir Putin nachgesagt wird. Ein solcher Vorschlag aus dem Umfeld Putins könnte somit schnell zum vergifteten Apfel werden – und reizt nicht zuletzt die Gemüter der neuen Regierung in Kiew.
Denn – was bei aller Euphorie um diese Vorschläge oft vergessen wird – diese lehnt eine Föderalisierung bislang kategorisch ab. Zu groß ist die Befürchtung, dass die östlichen und südlichen Provinzen ihre Autonomie letztendlich nutzen könnten, um Kiew den Laufpass zu geben. Die Folge wären Unabhängigkeitserklärungen oder gar Schritte zur Eingliederung in die Russische Föderation. In Anbetracht der gegenwärtigen Lage scheinen diese Sorgen nicht unbegründet. Denn tatsächlich könnte eine Föderalisierung ein erster Schritt sein, dem die Abspaltung der Ostukraine folgen könnte. Zumindest von der Hand zu weisen ist dies nicht. Andererseits weisen Unterstützer der Föderalisierung darauf hin, dass diese gerade ein Instrument sein kann, um weiteren Separatismus zu verhindern.
Doch noch aus anderen Gründen könnte eine Föderalisierung der Ukraine das Land vor enorme Herausforderungen stellen. So sind die überwiegend landwirtschaftlich geprägten westlichen Regionen hochgradig von Zuwendungen aus dem industriell- und finanzstarken Osten angewiesen. Eine Föderalisierung hätte dann auch eine Debatte um einen „ukrainischen Länderfinanzausgleich“ zur Folge, bei dem die östlichen Landesteile die westlichen Regionen dann direkt und nicht mehr über den Umweg nach Kiew subventionieren müssten. Bei der Schwierigkeit, mit der diese Debatte in Deutschland geführt wird, mag man sich die emotionale Aufladung in der Ukraine gar nicht vorstellen.
Anders als eine stärkerer Autonomie der Krim, die möglichst zügig erfolgen muss, ist eine Föderalisierung der Gesamtukraine nur dann zielführend, wenn sie im Zuge einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion erfolgt.
Klar ist deshalb: Anders als eine stärkere Autonomie der Krim, die möglichst zügig erfolgen muss, ist eine Föderalisierung der Gesamtukraine nur dann zielführend, wenn sie im Zuge einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion erfolgt. Doch eine solche Diskussion ist in der Ukraine momentan noch nicht einmal ansatzweise geführt worden. Nur wenn eine Politik hin zu einer Föderation auf demokratischen Prinzipien beruht, kann sie die entsprechende Wirkung entfalten. Und sie kann nur mit einem klaren internationalen Bekenntnis aller Seiten und einer Verpflichtung der zentralen ukrainischen Akteure im Zuge einer grundsätzlichen Neujustierung der ukrainischen Verfassung erfolgen.
Eine Föderalisierung der Gesamtukraine mag deshalb derzeit als einzig gangbare Option erscheinen. Doch sie kann sicher nicht über Nacht erfolgen und wenn, dann nur in Etappen. Zu beginnen wäre mit einer Dezentralisierung durch eine Stärkung der lokalen Selbstverwaltung mittels Verlagerung einzelner Verantwortlichkeiten von Kiew auf die Ebene der Regionen oder Kommunen. Erst in einem zweiten Schritt könnte dann - und das nur im Zuge einer entsprechenden gesellschaftlichen Debatte und internationaler Begleitung - eine formale Föderalisierung auf Grundlage einer Verfassungsreform erfolgen.
Fazit: Um die Krim noch halten zu können, braucht sie möglichst schnell ein Angebot größerer Autonomie. Eine Rückkehr zur Verfassung von 1992 erscheint nicht unklug. Eine später darauf aufbauende Ukrainische Föderation weist in der Tat in die richtige Richtung. Ob dies in der jetzigen Lage möglich ist, erscheint zumindest fragwürdig. Übereilte Einführungsversuche könnten dabei jedoch genau das bewirken, was es zu verhindern gilt: Einen endgültigen Zerfall des ukrainischen Staates.
3 Leserbriefe
Das naive Agieren der EU mit ihrer unverständlichen Gier, die Ukraine in ihren Einflussbereich zu ziehen, und das Vorgaukeln einer besseren Zukunft für die Ukrainer durch eifrige und letztlich unsensible westliche Politiker führte schließlich zu der gegenwärtigen Situation, die Putin eine exquisite Möglichkeit bietet, den "Fehler" Chrustschows zu korrigieren. Das ist auch nicht das Drama, das EU und USA (warum eigentlich die?) darin sehen. Die Aufforderung zur Untersstützung der westlich orientierten nationalistischen (und antisemitischen?) Regierung in Kiew durch diese, führt zu einer äußerst kritischen Situation in Europa. Im besten Fall nur zu wirtschaftlichem Schaden, schlimmstenfalls zu einem militärischen Konflikt. Außerdem sollte sich Frau Merkel schon deshalb mit der Androhung von Gegenmaßnahmen zurückhalten, weil man sich auf der Krim wohl noch gut an die deutsche Besetzung in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts erinnern wird.
Wie auch immer, hoffen wir auf eine baldige Beruhigung! Dann kann man sich Gedanken über eine Föderalisierung der Ukraine machen.
1. Putin hat keine andere alternative als Krim zu anschließen, weil niemand in Russland dieser nationalistischen (oder vielleicht nazistischen) Regierung in Kiew zustimmen kann. Wie kann es Obama und Merkel machen, verstehe ich nicht.
2. Warum Kosovo ist ok und Krim ist Annexion genennt?
3. Doppelstndarten der westlichen Welt sind scheußlich. Ich war bessere Meinung von die USA und westlichen Demokratien.
4. Warum haben westliche Demokratien entschieden, dass alle in unserer Welt westliche Werte mitteilen? Ich personlich mag die Regime in Russland. Es ist viel besser als Demokratie, weil Demokraten nur an Macht denken, nicht an der Zukunft des Staats!
Doch was wird fortgesetzt? Die EU, deren Großmachtgehabe letztlich für den Verlust der Krim verantwortlich ist, mischt sich weiterhin massiv ein und schließt mit der äußerst fragwürdigen gegenwärtigen Regierung der Ukraine ein "Assoziierungsabkommen" ab, schaukelt damit den von ihr selbst initiierten Konfrontationsprozess mit Putin weiter auf. Frau Merkel, die sich nach wie vor weit aus dem Fenster lehnt (anstatt, wie Peter Scholl-Latour das vor einigen Tagen formulierte, "als Deutsche die Schnauze zu halten"), heizt als Protagonistin dieses "Assoziierungsabkommens" die Krise weiter an - mit unabsehbaren Folgen für den Frieden in der Region und die deutsche Wirtschaft. Sie scheint nichts aus der Geschichte gelernt zu haben, und agiert in meinen Augen total paranoid! Wie sie als wichtigste Politikerin Europas angesehen werden kann, ist mir unverständlich.