Kurz vor der Präsidentschaftswahl in Côte d’Ivoire wurden die zugelassenen Kandidaturen bekannt gegeben. Das Ergebnis ist zwar kaum überraschend, aber für viele ernüchternd. Nur fünf Personen stehen auf der Liste – darunter Amtsinhaber Alassane Ouattara und Simone Ehivet Gbagbo, ehemalige First Lady und stärkste Oppositionskandidatin. Die übrigen drei haben weit weniger politischen Rückhalt. Ausgeschlossen wurden sowohl Laurent Gbagbo, ehemaliger Präsident (von 2000 bis 2011) mit seiner Partei PPA-CI, als auch Tidjane Thiam, Hoffnungsträger der größten Oppositionspartei PDCI-RDA.

Damit treten die beiden größten Oppositionsparteien nicht offiziell zur Wahl an. Sie hatten ihre Kandidaturen eingereicht, obwohl sie zuvor aus dem Wählerverzeichnis ausgeschlossen worden waren. Bei Gbagbo aufgrund seiner Verurteilung und des Entzugs seiner zivilen Rechte, und im Fall Thiams aufgrund einer zeitweiligen Doppelstaatsangehörigkeit. Auch andere aussichtsreiche Bewerbungen wurden abgelehnt – etwa die von Assalé Tiémoko, Bürgermeister von Tiassalé, der für seine sozialen Reformen geschätzt wird. Viele Beobachter deuten die Entscheidungen des Verfassungsrats als politisch motiviert. Dennoch riefen zahlreiche Stimmen zur Ruhe auf: Zu oft hatten sich Frustrationen in der Vergangenheit bei Wahlen gewaltsam entladen.

Auf der Liste steht nun nur eine prominente Oppositionsfigur: Simone Gbagbo mit ihrer Partei Mouvement des Générations Capables (MGC). Als Sprecherin der Koalition CAP-CI für friedlichen Wandel vereint sie zwar verschiedene Kräfte, doch nicht alle: Die PPA-CI von Laurent Gbagbo blieb außen vor und bildete wenig später ihre eigene Allianz mit der PDCI. Das ehemalige Ehepaar scheint die politische Landschaft in zwei Lager zu spalten. Da Führungsfiguren wichtiger sind als Programme, dürfte es der Opposition schwerfallen, sich auf eine gemeinsame Kandidatur zu einigen und einen zweiten Wahlgang zu erzwingen.

Bei dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine Chance für einen Regierungswechsel gibt.

Bei dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine Chance für einen Regierungswechsel gibt. Im letzten Jahr waren die Hoffnungen noch groß gewesen: Präsident Ouattara hatte bei den letzten Wahlen 2020 einen Generationswechsel für 2025 angekündigt, und mit Tidjane Thiam betrat eine jüngere Figur die politische Arena für die PDCI. Umso größer war die Enttäuschung, als Ouattara am 29. Juli seine Kandidatur für eine vierte Legislaturperiode verkündete – obwohl die aktuelle Verfassung nur zwei vorsieht. Nach 15 Jahren RHDP-Regierung steht nun viel auf dem Spiel.

Die Côte d’Ivoire spielt eine Schlüsselrolle für die Stabilität Westafrikas. Die Regierung konnte die terroristische Bedrohung im Land eindämmen, doch das Risiko bleibt hoch – besonders wegen der Lage im Nachbarland Burkina Faso, das laut Global Terrorism Index 2025 weltweit die meisten tödlichen Attacken verzeichnet. Seit der Übernahme der Militärregierung Traoré sind die Beziehung zwischen Burkina Faso und Côte d’Ivoire sehr angespannt. Immer wieder kommt es zu Festnahmen ivorischer Soldaten und burkinischer Einsatzkräfte, auf beiden Seiten der Grenze. Beide Länder werfen sich gegenseitig vor, die Destabilisierung des jeweils anderen zum Ziel zu haben. Im August kam es zu einem Angriff auf Zivilisten im Norden der Côte d’Ivoire, nur zwei Kilometer von der burkinischen Grenze entfernt. Von wem dieser Angriff ausging, ist unklar. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind angespannt, zumal sie unterschiedliche, sich gegenüberstehende Staatenbündnisse in Westafrika vertreten:  die ECOWAS und die Allianz der Sahelstaaten (AES). Die enge Anbindung der Regierung Ouattara an Frankreich bleibt eine Konfliktlinie und erschwert die diplomatischen Beziehungen zur prorussischen Militärregierung in Burkina. Damit stehen sich die Nachbarn ideologisch gegenüber – mit ungewisser Auswirkung für die gesamte Region, insbesondere im gemeinsamen Kampf gegen die terroristische Bedrohung.

Die Zukunft der Côte d’Ivoire ist auch ausschlaggebend für das wirtschaftliche Gleichgewicht und die Migrationsbewegungen Westafrikas. Viele Menschen aus West- und Zentralafrika kommen ins Land, um Arbeit und bessere Aufstiegschancen zu finden als in ihren Herkunftsländern. Trotz des beeindruckenden Wachstums und der Diversifizierung der ivorischen Wirtschaft der letzten Jahre bleiben viele Bevölkerungsgruppen weiterhin vom wirtschaftlichen Fortschritt ausgeschlossen. Grundnahrungsmittel und Mieten wurden teurer, Zwangsräumungen und die Zerstörung mehrerer informeller Wohngebiete trafen Tausende in Abidjan. Während dort 80 Prozent aller wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden, lebt nur rund ein Fünftel der Bevölkerung in der Hauptstadt. Die ländlichen Regionen sind von prekärer Infrastruktur und von Ressourcenkonflikten geprägt. Gleichzeitig nehmen sie die meisten Geflüchteten aus den Nachbarländern auf. Mittlerweile richtet sich die Unzufriedenheit gegen die Schutzsuchenden und es zeichnet sich ein Verteilungskampf ab, der entlang falscher Linien geführt wird. Trotz seiner langen Geschichte als wohlwollendes Aufnahmeland, kippt in Côte d’Ivoire der Diskurs über Migration gefährlich ins Negative. Bislang ist es der RHDP-Regierung nicht gelungen, Chancengerechtigkeit und wirtschaftliche Teilhabe ausreichend zu fördern – und es gibt keine Anzeichen dafür, dass ein weiteres Mandat Ouattaras daran etwas ändern würde.

Besonders gegenüber der jungen Bevölkerung hat die Demokratie ihre Versprechen nicht gehalten, und politische Mitbestimmung findet nicht statt.

Was ebenfalls auf dem Spiel steht, ist das Demokratieverständnis. Eine schlecht umgesetzte Demokratie hat einen hohen Preis. Besonders gegenüber der jungen Bevölkerung hat die Demokratie ihre Versprechen nicht gehalten, und politische Mitbestimmung findet nicht statt. Aus der Umfrage des Afrobarometers 2024 geht hervor, dass die Regierung sich nicht ausreichend um die Probleme kümmert, mit denen junge Menschen konfrontiert sind. Hauptsächlich geht es um die Schaffung von guten Arbeitsplätzen und beruflichen Perspektiven. Vom wirtschaftlichen Wachstum profitiert nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, die starke Präsenz Frankreichs und die ökonomische Dominanz der libanesischen Community spielen in die alltäglichen Unzufriedenheiten hinein. Es ist eine Generation, die den Großteil ihres Erwachsenenlebens ein festgefahrenes politisches System erlebt hat. Dies nährt Zweifel an der Legitimität eines Systems, das sich zwar demokratisch gibt, in der Praxis jedoch stark auf die Macht des Präsidenten konzentriert ist. Auf der Suche nach Alternativen sehen einige in den Militärregierungen der AES-Staaten einen Weg zu mehr Autonomie von Frankreich, aber auch die Hoffnung auf Umverteilung. Junge Ivorerinnen und Ivorer stehen nun vor einer Präsidentschaftswahl, bei denen viele der bei ihnen beliebten Kandidatinnen und Kandidaten nicht zugelassen sind – und es bleibt der Eindruck bestehen, dass die Rahmenbedingungen einen Wahlsieg der Regierungspartei begünstigen. Dies wäre eine große Herausforderung für das weitere demokratische Engagement und die Hoffnungen der jungen Generation.

Am 25. Oktober tritt die Opposition nicht nur gegen die RHDP an, sondern gegen ein ganzes System, das diese Partei in 15 Jahren gefestigt hat. Es ist nicht komplett undurchlässig, aber nur mit einer geschlossenen Front und mit vereinten Kräften an der Urne zu durchbrechen. Aktuell führt Laurent Gbagbo Gespräche mit verschiedenen Teilen der ausgeschlossenen Opposition. Er schließt jedoch die Möglichkeit aus, eine einzelne Kandidatur zu unterstützen, und entscheidet sich daher für „friedliche und demokratische Aktionen“. Wie diese aussehen werden, bleibt abzuwarten. Hoffnung gab jüngst eine Demonstration mit 20 000 Teilnehmenden – die größte seit 2020. Sie zeigte: Der Wunsch nach Veränderung eint viele. Doch die Erinnerung an Gewalt und Krisen ist noch sehr präsent. Viele sind nicht bereit, erneut für politische Führungsfiguren ihr Leben zu riskieren. Die Côte d’Ivoire steht vor einer Wahl, die zentrale Fragen nach politischer Teilhabe, Chancengerechtigkeit und insbesondere nach dem Vertrauen in demokratische Prozesse aufwirft. Es wird sich zeigen, ob unter den derzeitigen Rahmenbedingungen politische Veränderung möglich wird – oder ob Präsident Ouattaras vierte Amtszeit den Status quo weiter festigt.