Das internationale Anprangern der Verfolgung von Christen gehört seit langem zu den bevorzugten politischen Themen von Donald Trump und seiner Administration. Jüngstes Ziel seiner verbalen Attacken ist nun Nigeria: Die USA stuften das Land vergangene Woche als Country of Particular Concern ein – als Staat, in dem die Religionsfreiheit systematisch verletzt werde. Auf dieser Liste stehen sonst Länder wie China, Myanmar, Nordkorea, Russland oder Pakistan. Gleichzeitig drohte Trump, US-Hilfen für Nigeria zu streichen, und stellte sogar militärische Maßnahmen in Aussicht, sollte das Land Christen nicht besser schützen.

Auslöser für diese Rhetorik scheinen Berichte der United States Commission on International Religious Freedom und anderer Organisationen zu sein. Unbestritten ist, dass in Nigeria seit Jahren zahlreiche christliche Zivilisten durch Gewalt ums Leben kommen. Entscheidend ist jedoch: Das Gleiche gilt für viele Muslime. Die Hauptursache ist nicht religiöse Verfolgung, sondern die weitreichende Unsicherheit im Land. Nigeria ist von vielen unterschiedlichen Konflikten geprägt – und Religion spielt dabei meist keine zentrale Rolle. Oft wird sie erst im Nachhinein herangezogen, um die Opfer oder die Konfliktparteien zu beschreiben, ohne dass der Streit ursprünglich etwas mit Glauben zu tun gehabt hätte.

Im Norden Nigerias fordert der islamistische Terrorismus – vor allem durch Boko Haram und den westafrikanischen Ableger des Islamischen Staates (IS), der derzeit an Einfluss gewinnt – zahlreiche muslimische Zivilopfer. Immer wieder werden ganze Dörfer überfallen und Muslime getötet, die sich der extremistischen Ideologie der Terrorgruppen verweigern. Durch die jahrelange Vernachlässigung des Nordens und die schwache Präsenz des nigerianischen Staates ist dort ein Machtvakuum entstanden. Dieses wird nun vom IS genutzt, der teilweise über modernste Ausrüstung bis hin zu Drohnen verfügt und vor allem Polizei- und Militäreinrichtungen angreift.

Auch der häufig als religiös dargestellte Konflikt zwischen sesshaften christlichen Bauern und nomadischen muslimischen Hirten in Zentralnigeria ist im Kern ein Streit um Acker- und Weideland – ein Konflikt, der durch den Klimawandel weiter verschärft wird. Die Hirten gehören meist der Fulani-Ethnie an, während die Bauern anderen Volksgruppen entstammen. In den vergangenen Jahren kam es vor diesem Hintergrund zu brutalen, teils gezielten Angriffen, etwa auf Kirchen. Doch auch diese Gewalt hat eine ausgeprägte ethnische Dimension. In einem Land mit mehr als 300 ethnischen Gruppen stiftet die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oft mehr Identität als die Religion. Die Angriffe – ebenso wie manche Vergeltungsakte – lassen sich daher nicht von den tieferliegenden Konflikten um Land und Ressourcen trennen.

In einem Land mit mehr als 300 ethnischen Gruppen stiftet die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oft mehr Identität als die Religion.

In vielen Landesteilen bestimmen außerdem Bandenkriminalität und Entführungen den Alltag. Dies ist vor allem eine Folge schwacher staatlicher Kontrolle, fehlender Strafverfolgung und tiefer wirtschaftlicher Spannungen – und nicht religiöser Motive. Die Regierung von Präsident Bola Tinubu, die 2023 mit dem Versprechen angetreten ist, die massive Unsicherheit entschieden zu bekämpfen, hat dieses Versprechen bislang nicht eingelöst. Ihr Umgang mit den zahlreichen Sicherheitskrisen wirkt träge und selbstzufrieden – und unterscheidet sich damit kaum von dem früherer Regierungen.

Die Reaktionen auf Trumps Drohungen fallen in Nigeria sehr unterschiedlich aus. Viele erinnern sich an seine vollmundigen Ankündigungen zur Rolle Grönlands, auf die letztlich kaum Taten folgten. Auch jetzt sehen viele seine Äußerungen eher als innenpolitische Symbolik – als Signal an seine christlich geprägte, teils fundamentalistische Anhängerschaft.

Angesichts der weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der Regierung Tinubu, der es trotz des großen wirtschaftlichen Potenzials des Landes bisher nicht gelingt, die Lebensbedingungen spürbar zu verbessern, äußern manche Nigerianer – teils sarkastisch – sogar den Wunsch nach einer externen Intervention. Andere lehnen jede Einmischung von außen entschieden ab und verweisen auf die desaströse Bilanz früherer US-Einsätze im Irak, in Libyen und Afghanistan sowie auf negative Erfahrungen mit dem französischen Engagement in Westafrika. Vor dem Hintergrund des Ressourcenreichtums Nigerias, insbesondere bei seltenen Erden und anderen Rohstoffen, wirft die plötzliche Aufmerksamkeit für die angebliche Christenverfolgung Fragen auf: Könnte sie nicht vielmehr ein Vorwand für geoökonomische Interessen sein?

Die nigerianische Regierung hat inzwischen deutlich gemacht, dass sie grundsätzlich an einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit und an gemeinsamen Militäreinsätzen interessiert ist – allerdings nur, wenn diese abgestimmt und mit Zustimmung der Regierung erfolgen, ohne die Souveränität des Landes einzuschränken. Gerade das Thema Souveränität ist in Westafrika derzeit besonders heikel: Der Austritt Malis, Burkina Fasos und Nigers aus der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS wurde auch als Protest gegen westlichen Einfluss inszeniert. Im Senegal wiederum verdankt der neue Präsident seinen Wahlsieg nicht zuletzt seiner stark antifranzösischen Rhetorik; Frankreich hat inzwischen alle Truppen aus dem Land abgezogen. Ein US-Engagement, das dem früheren französischen Einfluss in den frankophonen Staaten Westafrikas ähnelte, ist für die meisten Nigerianerinnen und Nigerianer völlig undenkbar.

Für Deutschland und Europa bedeutet das: Nigeria braucht Respekt, keine Bevormundung. Europas Botschaft sollte eindeutig sein – uneingeschränkte Unterstützung der nigerianischen Souveränität und Anerkennung seiner Bedeutung in Westafrika, auf dem afrikanischen Kontinent und weit darüber hinaus. Der „Gigant Afrikas“ ist mit mehr als 230 Millionen Einwohnern und seinem großen Rohstoffreichtum nicht nur demografisch und wirtschaftlich ein Schwergewicht, sondern auch ein zentraler Partner bei der Verteidigung einer regelbasierten Weltordnung. Globale Zukunftsfragen in einer multipolaren Welt – von Migration über Sicherheit im Sahel bis hin zu Klimaschutz, Energieversorgung und Rohstoffsicherheit – lassen sich nur in enger Zusammenarbeit mit Ländern wie Nigeria lösen, und nicht durch sinnfreie Drohungen.