Die Lage im Sudan sei „apokalyptisch“, so fasste es Außenminister Johann Wadephul am Rande der Sicherheitskonferenz Manama Dialogue in Bahrain zusammen. Sein jordanischer Amtskollege Ayman Safadi zeigte sich erschüttert über eine „humanitäre Katastrophe unmenschlicher Ausmaße“. Der Sudan, gestand Safadi selbstkritisch ein, habe nicht „die nötige Aufmerksamkeit“ bekommen. Einige Tage später folgten 16 Außenpolitiker, auch aus Deutschland, mit einer gemeinsamen Erklärung: „Solche Handlungen stellen (…) Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerrecht dar.“ Neun weitere Staaten billigten die Erklärung. Adressiert wurden damit die Gräueltaten der Rapid Support Forces (RSF) und der mit ihnen verbündeten Milizen im Zuge der Erstürmung der Provinzhauptstadt El Fasher in der sudanesischen Provinz Nord-Darfur. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte am 30. Oktober den Angriff und dessen verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung, der Internationale Strafgerichtshof (IStGh) in Den Haag nahm am 3. November Ermittlungen auf.

Das Eingeständnis, zu lange weggeschaut zu haben, kommt reichlich spät. Seit Monaten hatten Beobachter gewarnt, wenn El Fasher nach anderthalb Jahren Belagerung fallen sollte, sei mit schwersten Verbrechen zu rechnen. Ein potenzieller Völkermord mit Ansage sozusagen. Insofern ist der Krieg im Sudan kein vergessener, sondern – wie es die Sudan-Expertin Marina Peter formuliert – ein ignorierter. Bereits zu Beginn des inzwischen seit zweieinhalb Jahren wütenden Krieges hatten die RSF ethnische Säuberungen in El Geneina verübt, der Hauptstadt der Provinz West-Darfur. Schon diese Aktionen trugen Züge eines Völkermordes. Die Massaker, denen laut Schätzungen bis zu 15 000 Menschen zum Opfer fielen, richteten sich vor allem gegen die Massalit, eine nicht-arabische Bevölkerungsgruppe. In El Fasher trifft es nun die Zaghawa, ebenfalls eine nicht-arabische Gruppe.

Die RSF gingen 2013 aus den Dschandschawid hervor, die bereits Anfang der 2000er Jahre für einen Völkermord in Darfur verantwortlich waren. Aber es dauerte zwei Jahrzehnte, bis am 6. Oktober 2025 – just drei Wochen vor den jüngsten Massakern – mit Ali Abd-Al-Rahman der erste Verantwortliche der Dschandschawid vom IStGH für Kriegsverbrechen in Darfur verurteilt wurde. Sudans Langzeitdiktator Omar al Bashir, der die Dschandschawid systematisch für seine Zwecke eingesetzt hatte, wurde 2009 als erstes amtierendes Staatsoberhaupt vom IStGH angeklagt, ein Jahr später auch wegen Völkermordes.

In den 2000er Jahren erfuhr der Völkermord in Darfur erhebliche mediale Aufmerksamkeit, nicht zuletzt aufgrund des Engagements vieler Prominenter, darunter George Clooney und Mia Farrow. Sie reisten seinerzeit öffentlichkeitswirksam selbst nach Darfur und sorgten für eine Welle weltweiter Aufmerksamkeit, die heute vergessen und unmöglich zu wiederholen scheint.

Das Schicksal des Sudan war es, dass der aktuelle Krieg in einer Zeit ausbrach, in der der russische Angriffskrieg in der Ukraine bereits ein Jahr tobte, und wenige Monate bevor mit dem Krieg in Gaza breite Teile der internationalen Öffentlichkeit vollständig gebunden waren.

Das Schicksal des Sudan war es, dass der aktuelle Krieg am 15. April 2023 ausgerechnet in einer Zeit ausbrach, in der der russische Angriffskrieg in der Ukraine bereits ein Jahr tobte, und wenige Monate bevor mit dem Massaker der Hamas und dem nachfolgenden Krieg in Gaza Medien und Politik, aber auch breite Teile der internationalen Öffentlichkeit vollständig gebunden waren. Obwohl die Medien durchaus berichteten – soweit das unter den Umständen und bei fast völlig fehlenden Zugängen für Berichterstatter überhaupt möglich war –, blieben ein öffentlicher Aufschrei und damit letztlich politische Reaktionen weitgehend aus.

Inzwischen ist Bewegung in die verfahrene Situation gekommen – maßgeblich und ausgerechnet durch Donald Trump. Der selbsternannte Friedensstifter und verhinderte Nobelpreisträger hat sich nun auch die Beendigung des Sudan-Krieges auf seine Fahnen geschrieben, im Quartett („Quad“) mit Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die drei arabischen Staaten sind die wichtigsten Unterstützer der am Konflikt beteiligten Parteien im Sudan. Während Ägypten und Saudi-Arabien (mit anderen Staaten wie der Türkei, Katar sowie eingeschränkt Russland und selbst dem Iran) die De-facto-Regierung des Generals Abdel Fattah al-Burhan und die ihm unterstehenden Sudanese Armed Forces (SAF) unterstützen, stehen die Vereinigten Arabischen Emirate an der Seite der RSF.

In einer Erklärung einigten sich die Quad-Mitglieder am 12. September in Washington auf fünf zentrale Bedingungen: die Wahrung der territorialen Integrität des Sudan, das Primat der Diplomatie über eine militärische Lösung, den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe und den Schutz von Zivilisten, den Stopp von Waffenlieferungen und – wohl am bedeutendsten – einen inklusiven und transparenten politischen Übergangsprozess, der auf einen dreimonatigen Waffenstillstand folgen und zu einer zivil geleiteten Regierung führen soll. Ob allerdings ausgerechnet die drei arabischen Unterstützer, die in ihren eigenen Ländern selbst wenig Inklusivität zulassen, in der Lage sind, die Kriegsparteien wie gefordert aus diesem Übergangsprozess herauszuhalten, ist fraglich. Stattdessen steht zu befürchten, dass sich das Engagement der Trump-Administration auf das Erreichen eines Waffenstillstands beschränkt.

Ohne Verständnis für die inneren Abläufe im Sudan läuft Diplomatie jedoch Gefahr, die Zyklen zu wiederholen, die sie eigentlich beenden will. Die aktuelle Katastrophe im Sudan kann nicht losgelöst von der Geschichte des Landes verstanden werden. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 ist das Land in einem Teufelskreis gefangen, in dem kurze und fragile demokratische Phasen immer wieder durch Militärputsche unterbrochen wurden, die die Macht an dieselben Eliten zurückgaben, die wiederholt daran gescheitert waren, einen auf gefestigten Institutionen basierenden Staat aufzubauen. Von Anfang an war der Staat Sudan strukturell unausgewogen – mit einem dominanten politischen Zentrum, marginalisierten Randgebieten und einer Armee, die sich als Hüterin der Nation versteht, statt sich der zivilen Autorität unterzuordnen.

„Es gibt keine militärische Lösung für dieses Problem. Keine Seite wird einen vollständigen Sieg erringen können.“

Infolgedessen erlebte der Sudan nie eine nachhaltige demokratische Regierungsführung. Jeder Versuch eines zivilen Übergangs wurde schnell gewalttätig zunichtegemacht. Dies führte zu einer fast ununterbrochenen Kette von Bürgerkriegen, die die Ressourcen des Landes erschöpften und sein soziales Gefüge zerstörten. Der erste Krieg brach weniger als ein Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit aus und dauerte ein halbes Jahrhundert, bis er 2011 zur Abspaltung des Südsudans führte. Die nachfolgenden Konflikte waren Symptome derselben ungelösten Krise – der fehlenden Gerechtigkeit bei der Verteilung von Macht und Reichtum und des Versagens, ein inklusives Konzept der Staatsbürgerschaft zu formulieren. Im Laufe der Zeit zerfielen die zentralen Institutionen des Staates. Der Sudan trat in eine „Ära der multiplen Armeen“ ein, in der fast jeder politische Akteur über eigene Streitkräfte verfügt. Das Monopol legitimierter Gewalt – die Grundlage jedes Staates – hörte schlichtweg auf zu existieren. Heute sind Waffen zu einem Instrument der politischen Macht anstelle der nationalen Verteidigung geworden. Sudans ehemaliger Premierminister Abdalla Hamdok warnte in einem Interview im Juni 2025: „Es gibt keine militärische Lösung für dieses Problem. Keine Seite wird einen vollständigen Sieg erringen können.“

Für viele zivilgesellschaftliche Kräfte – auch nach zweieinhalb Jahren Krieg immer noch das Rückgrat der sudanesischen Gesellschaft – ist der gegenwärtige Konflikt nur die logische Fortsetzung des Staatsstreichs vom 25. Oktober 2021. Damals hatten Armee und RSF gemeinsam die nach der Revolution von 2019 entstandene verfassungsmäßige Übergangsregierung und damit die zarte Blüte einer sudanesischen Demokratiebewegung zerschlagen.

Die umfassende Lösung, die der Sudan jetzt braucht, kann nicht aus einem vorübergehenden Waffenstillstand zwischen zwei Warlords hervorgehen. Es muss ein nationales Projekt des Wiederaufbaus sein – die Schaffung einer geeinten Armee unter vollständig ziviler Kontrolle, die Einrichtung einer echten Übergangsjustiz, und die Erneuerung eines inklusiven demokratischen Prozesses. Dies ist sowohl eine innenpolitische Notwendigkeit als auch eine Bewährungsprobe für die internationale Gemeinschaft.

Hier wäre eine stärkere deutsche und europäische Intervention dringend notwendig, um den Quad-Prozess, an dem realpolitisch zurzeit kein Weg vorbeiführt, qualitativ zu unterfüttern. In einem ersten Schritt hat der Rat der EU am 20. Oktober, wenige Tage vor dem Fall El Fashers, die Forderungen des Quartetts unterstützt. Bei reinen Deklarationen darf es indes nicht bleiben, eine substantielle EU-Politik würde eine eigene diplomatische Initiative bedingen. Und sie müsste durch deutliche Akzente gekennzeichnet sein: mehr Nachdruck bei der Durchsetzung des Waffenembargos und Bereitstellung von deutlich mehr humanitärer Hilfe für das geschundene Land und seine Menschen.