Jahrzehntelang war Afrikas Außenpolitik von den Gravitationskräften westlicher Einflussnahme geprägt. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion dominierten die Vereinigten Staaten und ihre westlichen Verbündeten die globale Politik. Die afrikanischen Staaten richteten ihre Außenpolitik, ihren Handel, ihre Diplomatie und ihre Sicherheitsinteressen weitgehend an Europa und den USA aus – eine Fortsetzung postkolonialer Abhängigkeit unter dem Deckmantel der „Entwicklungspartnerschaft“.

Diese Ordnung ist dabei, sich aufzulösen.
Langsam, ungleichmäßig und bisweilen unbeholfen positioniert sich Afrika in einer sich rasant wandelnden globalen Landschaft derzeit neu.

Die nach dem Kalten Krieg verbreitete Illusion, der Westen habe ein Monopol in Sachen Entwicklungskompetenz, ist durch nicht eingelöste Versprechen und veränderte globale Realitäten längst zerbrochen und einer viel fluideren und pragmatischeren Ordnung gewichen. In ganz Afrika diversifizieren Regierungen ihre Bündnisse: Chinas Initiative Neue Seidenstraße, Russlands selbstbewusstes militärisches und diplomatisches Comeback, der unauffällige, aber großflächige Kapitalfluss aus den Golfstaaten in die Infrastruktur und die Finanzsysteme Afrikas sowie die wachsende Präsenz Indiens, der Türkei und Brasiliens sind nur einige Beispiele.

Auch wenn Afrikas neue Partner von Süd-Süd-Kooperation und gegenseitigem Nutzen reden, folgen sie der gleichen Ausbeutungslogik, die schon die früheren Zeiten westlicher Dominanz prägte.

Auf dem Kontinent ist aber auch eine deutliche Hinwendung zu binnenorientierten Lösungen zu erkennen – vielleicht ein tragfähiges und längst überfälliges Experiment mit alternativen Entwicklungspfaden. Regionale Initiativen wie die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) und die Agenda 2063 der Afrikanischen Union stehen für den Versuch, politische Unabhängigkeit in wirtschaftliche Souveränität zu überführen.

Doch hinter dieser strategischen Diversifizierung lauert eine altbekannte Gefahr. Auch wenn Afrikas neue Partner von Süd-Süd-Kooperation und gegenseitigem Nutzen reden, folgen sie der gleichen Ausbeutungslogik, die schon die früheren Zeiten westlicher Dominanz prägte. Kann unter diesen Bedingungen echte Souveränität entstehen – in einer Weltordnung, die noch immer von jener kapitalistischen Logik beherrscht wird, mit der früher die Abhängigkeit gerechtfertigt wurde?

Der Fehler liegt nicht in der Diversifizierung an sich, sondern darin, dass nicht radikal mit einem orthodoxen Wirtschaftsdenken gebrochen wird, in dem der Gradmesser für Fortschritt die Renditen sind und nicht die Umverteilung. Zwar können afrikanische Regierungen kurzfristig von der globalen Konkurrenz profitieren, doch das Experiment mit der multipolaren Ordnung – so notwendig es ist – birgt die Gefahr, dass einmal mehr fremdbestimmte Fortschrittsmodelle reproduziert werden, wenn dieses Experiment nicht auf einem Entwicklungsmodell basiert, das die Umverteilung und den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Die außenpolitische Neuausrichtung zeigt sich auf dem gesamten Kontinent daran, wie afrikanische Staaten mit der zunehmenden Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China umgehen. Mehr und mehr verstehen es Regierungen, diese Konkurrenz zur Stärkung ihres Einflusses zu nutzen: Sie handeln bei Infrastrukturprojekten, Umschuldungen und Technologietransfers bessere Konditionen aus, indem sie die Ambitionen der einen Großmacht gegen die der anderen ausspielen. Exemplarisch für diesen neuen Pragmatismus ist Kenias Balanceakt zwischen Pekings Seidenstraßen-Investitionen und der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Washington. Das Gleiche gilt für Angolas bewusste Entscheidung, seine Ölpartnerschaften zu diversifizieren, sich von chinesischen Kreditgebern zu lösen und sich Investoren aus der Golfregion und aus dem Westen zuzuwenden.

Die jüngste Erweiterung des BRICS-Verbunds, dem nun unter anderem auch Ägypten und Äthiopien angehören, spiegelt dieses Streben nach größeren Handlungsspielräumen wider – den Versuch, sich in multilateralen Foren zu engagieren, die eine Reform oder zumindest eine Abschwächung der asymmetrischen Strukturen des globalen Finanzsystems versprechen. Solche Plattformen mögen unvollkommen und politisch nicht immer konsistent sein, doch sie stehen für den wachsenden Wunsch nach einer Weltordnung, in der Afrika bei globalen Entscheidungsprozessen nicht dauerhaft an den Rand gedrängt wird.

Im Zuge dieser außenpolitischen Neuausrichtung ist die Wirtschaftsdiplomatie zu einem weiteren Instrument afrikanischer Staaten geworden. Die führenden Politiker des Kontinents haben erkannt, dass ihre Märkte – über 1,4 Milliarden Menschen und enorme natürliche Ressourcen – zusammengenommen eine erhebliche Verhandlungsmacht entfalten können, wenn sie strategisch eingesetzt werden. In der Praxis zeigt sich dies in einem selbstbewussteren Auftreten bei Verhandlungen über Infrastrukturkredite, Handelsabkommen und Energieprojekte. Sambia, Ghana und selbst Nigeria nutzen auf unterschiedliche Weise den globalen Wettbewerb, um Schulden neu zu verhandeln und eine größere Vielfalt der Investitionsströme zu erreichen. In ähnlicher Weise positionieren sich nordafrikanische Staaten als Energiepartner Europas, während sie zugleich um Kapital aus staatlichen Fonds aus der Golfregion und um chinesische Investoren werben.

So vielversprechend die multipolare Ordnung erscheinen mag – sie ist nicht frei von Risiken.

Nirgendwo tritt Afrikas pragmatische Neuorientierung deutlicher zutage als im Bereich der Sicherheit. Da das Vertrauen in westlich geführte Interventionen schwindet, überlegen viele Regierungen inzwischen neu, wo – und mit wem – sie ihre Verteidigungspartnerschaften aufbauen. Der Zusammenbruch der französischen Operation Barkhane und der Rückzug der UN-Friedensmissionen aus Mali und der Demokratischen Republik Kongo haben ein Vakuum geschaffen, das nichtwestliche Akteure rasch zu füllen wussten. Russland leistet mit Einsätzen nach Wagner-Vorbild in Mali, der Zentralafrikanischen Republik und im Sudan militärische Hilfe und kombiniert sie mit politischem Rückhalt – ein attraktives Angebot vor allem für Regierungen, die sich der Steuerung durch den Westen entziehen wollen. Die Türkei, inzwischen ein wichtiger Akteur im Rüstungssektor, liefert Drohnen und schickt Ausbildungsmissionen nach Äthiopien, Libyen und Somalia und nutzt ihre Rüstungsindustrie, um ihre breiter aufgestellten diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu festigen. Gleichzeitig finanzieren Golfstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien still und leise Operationen zur Aufstandsbekämpfung sowie Infrastrukturvorhaben im Sahel und am Horn von Afrika – und schnüren Sicherheitspolitik und Investition zu einem strategischen Gesamtpaket.

So vielversprechend die multipolare Ordnung erscheinen mag – sie ist nicht frei von Risiken. Bröckelnde Allianzen und konkurrierende Einflusssphären könnten den innerafrikanischen Zusammenhalt schwächen. Die Friedens- und Sicherheitsstrukturen der Afrikanischen Union, die bereits an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angelangt sind, drohen von bilateralen Ad-hoc-Absprachen verdrängt zu werden, die kurzfristigen Nutzen über langfristige Stabilität stellen. Durch die globale Machtkonkurrenz könnte Afrika erneut zum Schauplatz von Stellvertreterkonflikten werden – etwa am Horn von Afrika, wo sich aufgrund der geopolitischen Bedeutung des Roten Meeres die Interessen der USA, Chinas, der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabiens und der Türkei überlagern. Weitere Gefahren liegen darin, dass viele Abkommen intransparent sind, dass in innerstaatlichen Konflikten Söldner eingesetzt werden und dass es an regionalen Rechenschaftsmechanismen fehlt. All das verstärkt die Instabilität eher, statt sie zu verringern. Wie sich in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik zeigt, kann das Zurückgreifen auf private Militärunternehmen zwar kurzfristig Sicherheit schaffen – dies geht aber zu Lasten langfristiger institutioneller Reformen.

Strategische Handlungsfähigkeit erfordert mehr, als die Interessen des einen gegen die des anderen auszuspielen.

Die Herausforderung ist also nicht die Diversifizierung an sich, sondern die Frage, in welche Richtung sie geht. Entscheidend ist nicht nur, wer Afrikas Partner sind, sondern wie die Beziehungen zu diesen Partnern gestaltet werden – und wessen Interessen sie dienen. Afrikas Engagement in einer multipolaren Welt muss sich an Prinzipien orientieren, welche die Souveränität schützen, die regionale Integration stärken und die gemeinsame Entwicklung fördern – und sich nicht von kurzfristigem, transaktionalem Opportunismus leiten lassen. Damit dies gelingt, müssen die Afrikanische Union und regionale Bündnisse im Rahmen von globalen Foren die gesamtafrikanischen Interessen entschlossener bündeln – etwa bei Fragen der Klimafinanzierung, des Schuldenerlasses, der technologischen Regulierung oder der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit.

Ohne Transparenz, institutionelle Reformen und eine auf kontinentaler Ebene abgestimmte Politik besteht die Gefahr, dass die mit der Multipolarität verbundene wirtschaftliche Diversifizierung in neue Abhängigkeiten führt. Wenn Afrika wirtschaftlich souverän werden will, muss es die globalen Hierarchien abbauen, die den Wert des Kontinents noch immer an der Rohstoffgewinnung und seinen schuldenfinanzierten Fortschritten messen. Initiativen wie die Afrikanische Freihandelszone (AfCFTA) und die Reformagenda der Afrikanischen Union sind erste Schritte auf dem Weg zur Verwirklichung dieser Vision.

Das Versprechen der Multipolarität bringt sowohl Befreiung als auch Risiken mit sich. Befreiend wirkt sie, weil sie mit der illusorischen Vorstellung aufräumt, Macht könne nur vom Westen ausgehen. Das Risiko liegt darin, dass die Fülle an neuen Partnern mit echter Souveränität verwechselt wird. Strategische Handlungsfähigkeit bedeutet mehr, als die Interessen des einen gegen die des anderen auszuspielen. Sie setzt eine gemeinsame gesamtafrikanische Vision voraus – getragen von Transparenz, Rechenschaft und einer Regierungsführung, die den Menschen ins Zentrum stellt.

Multipolarität ist kein Endpunkt, sondern ein Scheidepunkt. Afrikas weiteres Vorgehen wird darüber entscheiden, ob diese neue Ära tatsächlich mit den Abhängigkeiten der Zeit nach dem Kalten Krieg bricht – oder ob sie nur das letzte Kapitel einer alten Geschichte aufschlägt.

Aus dem Englischen von Christine Hardung