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Am 24. Januar 2018 wurde das erstinstanzliche Urteil im Korruptionsverfahren gegen den brasilianischen Ex-Präsidenten Lula da Silva von den Berufungsrichtern in Porto Alegre bestätigt, das Strafmaß auf zwölf Jahre und einen Monat erhöht. Sollten die anvisierten Revisionsmöglichkeiten vor dem 15. August ausgeschöpft sein und die Berufung abgewiesen werden, droht Lula nicht nur eine Freiheitsstrafe, sondern er wird nicht bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst kandidieren dürfen.

Die Bestätigung des Urteils gegen Lula da Silva wegen passiver Bestechung wird politisch sehr unterschiedlich bewertet, als Erfolg im Kampf gegen Korruption oder als ein Fall von politischer Justiz. Wie schätzen Sie das ein?

Die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen ist in einem demokratischen Rechtsstaat von großer Bedeutung. Sie darf nicht vor bekannten Persönlichkeiten oder deren politischen Verdiensten haltmachen. Allerdings muss eine Verurteilung auf stichhaltigen Beweisen basieren und darf nicht von Sympathien oder Antipathien geleitet sein. Im Falle des Urteils gegen Lula, das nun in zweiter Instanz sogar noch verschärft wurde, gibt es leider starke Indizien dafür, dass es nicht Ergebnis eines fairen, rechtsstaatlichen Prinzipien genügenden Prozesses ist. In einem Klima politischer Polarisierung scheint das Urteil nicht von strafrechtlich relevanten Vorwürfen getragen zu sein, sondern vielmehr von einer über die großen brasilianischen Medien angefachten Welle der Diffamierung Lulas und der Arbeiterpartei. Aus rechtsstaatlicher Perspektive bedenklich ist vor allem ein Argument der Anklage: Alleine die Tatsache, dass Lula als Präsident Einfluss auf die Geschicke des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras gehabt hat, sei ein Beleg dafür, dass er von Korruptionsfällen innerhalb des Konzernes gewusst und diese auch gebilligt habe. Ich habe zumindest große Zweifel, dass das Urteil gegen Lula ein Erfolg im Kampf gegen die Korruption ist.

Das Urteil selbst folgt eher dem Muster: „Da der Angeklagte schuldig ist, muss seine Schuld nicht nachgewiesen werden“.

Wenn Zweifel dominieren, dass das Urteil gegen Lula rechtsstaatlichen Prinzipien genügt, was sind dann die treibenden Motive für das Verfahren gegen ihn?

Es gibt eine Vielzahl von Hinweisen, die an der Unparteilichkeit der Staatsanwaltschaft und des leitenden Richters, aber auch übergeordneter Instanzen der brasilianischen Justiz zweifeln lassen. Die Staatsanwaltschaft hat den Prozess bewusst medialisiert und somit zu einer von den Medien geschürten Vorverurteilung beigetragen. Dies war eindeutig abträglich für einen fairen Prozess. Dazu kommen viele Entscheidungen des Richters, die die Prinzipien eines rechtstaatlichen Verfahrens verletzen. Das Urteil selbst folgt eher dem Muster: „Da der Angeklagte schuldig ist, muss seine Schuld nicht nachgewiesen werden“. Da fragt man sich schon, ob ein fairer Prozess und ein gerechtes Urteil überhaupt gewollt waren oder ob es nicht vielmehr darum ging, das Ansehen eines Politikers systematisch zu untergraben. Lula steht für ein beispielloses Projekt des sozialen Fortschritts in Brasilien. Nun wird er durch die Verurteilung politisch eliminiert. Vieles deutet in dem Verfahren gegen ihn also auf eine Instrumentalisierung der Justiz für politische Zwecke hin.

Welche Konsequenzen hat das Urteil für die brasilianische Politik?

Das Urteil gegen Lula muss auch in Zusammenhang mit der fragwürdigen Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff gesehen werden. Mit dem Impeachment gegen Rousseff wurde in Brasilien der Weg frei gemacht für das Projekt eines neoliberalen Rollbacks, das zuvor an den Wahlurnen keine Mehrheit gefunden hatte. Die seither verfolgte Politik in Brasilien zerstört die sozialen Errungenschaften aus der Zeit Lulas und Rousseffs. Unter dem Vorwand, für die Wirtschaft notwendige Reformen umzusetzen, wird der Staat einseitig in den Dienst der reichen Eliten gestellt. Die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung heißt diese Politik jedoch nicht gut. Trotz der Hetzkampagne in den Medien haben die Arbeiterpartei (PT) und Lula wieder an Zustimmung gewonnen. In allen Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen im Oktober liegt Lula klar vorne. Um eine Rückkehr der PT an die Macht zu verhindern, brauchen ihre Gegner sowohl die moralische als auch die strafrechtliche Verurteilung Lulas. Dies würde eine Kandidatur Lulas unmöglich machen. Für das Erreichen ihres Zieles scheint den Eliten in Brasiliens jedes Mittel recht, auch das der Beugung rechtsstaatlicher Prinzipien.

 

Auch die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin prangert das Verfahren an. Lesen Sie ihren Beitrag dazu hier.