Zu Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump machte das rechtsgerichtete Boulevardblatt New York Post mit einem ganzseitigen Titelblatt unter der Schlagzeile „The Donroe Doctrine. Trump’s vision for the hemisphere“ auf. Trump begann das Jahr mit der Ankündigung, Kanada als 51. Staat in die USA zu integrieren und die Kontrolle über Grönland sowie über den Panamakanal zu übernehmen. So bildete die New York Post es auf einer Landkarte ab. Den Golf von Mexiko taufte Trump kurzerhand „Golf von Amerika“.
Das erste Jahr der Herrschaft Trumps geht zu Ende, und die US-Regierung lässt Schiffe in der Karibik beschießen. Eine riesige Flotte, einschließlich des größten und modernsten Flugzeugträgers der USA, U.S.S. Gerald R. Ford, kreuzt vor Venezuelas Küste. Es ist die größte Militärpräsenz in der Region seit der Invasion in Panama 1989. Während des Sommers hat Trump nicht nur die Länder Lateinamerikas mit Zöllen überzogen, sondern mehreren Regierungen offen gedroht.
Der Präsident ließ keinen Zweifel daran, dass er das autoritäre venezolanische Regime des Nicolás Maduro am liebsten stürzen würde, notfalls auch durch Einsatz von Bodentruppen.
Der Präsident ließ keinen Zweifel daran, dass er das autoritäre venezolanische Regime des Nicolás Maduro am liebsten stürzen würde, notfalls auch durch Einsatz von Bodentruppen. Das Weiße Haus und das Pentagon betonen immer wieder, Aufgabe der Kriegsschiffe in der Karibik sei es, den Drogenschmuggel zu unterbinden. Selbst militärische Schläge gegen Mexiko schloss Trump nicht aus, wenn so der Drogenschmuggel gestoppt würde. Aber benötigt man zur Bekämpfung des Drogenhandels wirklich eine solche Armada aus einem Flugzeugträger, einem U-Boot, drei Zerstörern, vielen Versorgungsschiffen und rund 15 000 Seeleuten? Oder ist die große militärische Keule gar kontraproduktiv bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels? Inzwischen wurde die Mission in der Karibik offiziell Southern Spear getauft. Es geht nicht nur um Drogen: Trump spricht davon, dass er die Regierung Venezuelas ablehne und sich „um Venezuela kümmern“ müsse und dass das Land über riesige Ölvorkommen verfüge. Die Botschaft ist klar, wenn auch die weiteren Ziele vage bleiben.
Der Terminus „Donroe-Doktrin“ wird inzwischen von seriösen Zeitungen wie der New York Times und der Financial Times aufgegriffen, um zu verdeutlichen, dass es sich um einen deutlichen Kurswechsel in der jahrzehntelangen US-Außenpolitik handelt, nämlich um eine Hinwendung zur in den USA so benannten „Westlichen Hemisphäre“ (Nord-, Süd- und Mittelamerika).
Mit der Wortschöpfung „Donroe-Doktrin“ wird bewusst Bezug auf die Monroe-Doktrin genommen. Der damalige Präsident James Monroe überzeugte 1823 den Kongress, mit seiner nach ihm benannten Doktrin den europäischen Einfluss in Lateinamerika einzudämmen. Nach Theodore Roosevelts Weiterentwicklung der Doktrin in den Jahren 1904/1905 rechtfertigten die USA mit ihr militärische Interventionen in der Region. Lateinamerika galt fortan als US-amerikanischer Einflussbereich, als Hinterhof der USA. Kern dieser Doktrin, die die Außenpolitik der USA bis ins letzte Jahrhundert prägte, war der Anspruch, in der Westlichen Hemisphäre die dominante Rolle zu spielen – sei es als wohlwollender Hegemon, mit entsprechendem Sendungsbewusstsein, oder notfalls auch mit eiskaltem Imperialismus und militärischer Intervention.
Die USA intervenierten, um Regierungen zu stürzen und genehme Statthalter einzusetzen. Anfang des 20. Jahrhunderts führten die USA die sogenannten „Bananenkriege“. Zur Wahrung der Handelsinteressen amerikanischer Firmen (vor allem die der United Fruit Company), die Bananen und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse aus der Region importierten, intervenierten die USA in Mittel- und Südamerika in vielen Ländern bis in die 1930er Jahre: in Kuba, Panama, der Dominikanischen Republik, in Nicaragua, Mexiko, Haiti, Honduras, Grenada, Peru, Guatemala, Kolumbien und El Salvador. Während der Zeit des Kalten Krieges spielten vor allem ideologische Gründe – die Eindämmung des Kommunismus – eine wichtige Rolle für militärische Interventionen und Counter Insurgency-Aktionen in Kuba, Haiti, Ecuador, Panama, Brasilien, der Dominikanischen Republik, in Guatemala, Chile, El Salvador, Nicaragua, Grenada, Honduras und Bolivien.
Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation und aufgrund der Demokratisierung in vielen Ländern Lateinamerikas verlagerten die USA ihre Prioritäten hin zu wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit.
Washington versucht, seinen Willen in Lateinamerika wie im vergangenen Jahrhundert mit Strongman-Methoden, mit militärischer Macht, mit Geheimdienstoperationen und mit wirtschaftlichen Druckmitteln wie erpresserischen Zolltarifen durchzusetzen.
Jetzt erleben wir eine Hinwendung zur Kanonenbootpolitik des 20. Jahrhunderts. Washington versucht, seinen Willen in Lateinamerika wie im vergangenen Jahrhundert mit Strongman-Methoden, mit militärischer Macht, mit Geheimdienstoperationen und mit wirtschaftlichen Druckmitteln wie erpresserischen Zolltarifen durchzusetzen. Es geht der Regierung Trump nicht nur um den Drogenschmuggel. Auch die Unterbindung der Einwanderung in die USA ist wichtig. Trumps Politik ist weniger ideologiegeleitet als die frühere US-Außenpolitik. Sie tritt nicht mit missionarischem Eifer für eine moralisch bessere Welt ein. Vielmehr ist sie stark pekuniär orientiert: Was springt für die USA (oder auch für den Präsidenten persönlich und seine Familie) dabei heraus? Heute spielt – anders als während des Kalten Krieges – die Konkurrenz zwischen Kapitalismus und Kommunismus keine Rolle mehr. Die beiden wirtschaftlich größten Mächte, die USA und China, sind kapitalistisch ausgerichtet und konkurrieren miteinander um Märkte und Einfluss. In Washington ist man wegen der starken wirtschaftlichen Präsenz Chinas in Lateinamerika nervös. China gilt als raumfremde Macht in der Westlichen Hemisphäre. Große natürliche Ressourcen in der Region, Sicherheitsinteressen und lukrative Märkte sind vermutlich für Trumps Aktionen maßgebend.
Washington ordnet seine Beziehungen in Lateinamerika auf unterschiedliche Weise: Da ist erstens die Gruppe der autoritär regierten Länder, vor allem Kuba, Nicaragua und Venezuela. Schon vor Trumps Regierungszeit wurden diese Länder mit Sanktionen belegt und weitgehend isoliert. Wie weit Trump zu gehen bereit ist, lässt er offen. Obwohl er seinen Wählern versprach, sich aus den Kriegen der Welt herauszuhalten und Truppen nach Hause zu bringen, setzt er nun die Flotte in der Karibik ein.
Zweitens gibt es die Gruppe der Länder, deren Regierungen keine andere Möglichkeit sehen, als sich auf das Spiel Donald Trumps einzulassen. Zu groß ist in vielen Ländern die wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA. Länder wie Chile, Uruguay, Paraguay, Bolivien und Peru reagierten kritisch, aber auch mit Unsicherheit und Pragmatismus. Sie bemühen sich um alternative Handelsbeziehungen. Ecuador und Guatemala schlossen neue Handelsabkommen mit den USA, um Zollerleichterungen zu erzielen.
Drittens: Wer in Trumps Konzept passt und sich konform verhält, wie Argentiniens Präsident Javier Milei, erhält nicht nur politische Unterstützung, wie bei der vergangenen Wahl, sondern auch finanzielle Mittel, um mit der wirtschaftlichen Krise fertig zu werden. Argentinien und El Salvador begrüßten die Politik Trumps; sie schlossen ebenfalls neue Handelsabkommen. El Salvador nahm sogar von den USA deportierte sogenannte illegale Einwanderer auf und Argentinien erhielt einen 20-Milliarden-Dollar-Kredit aus den USA.
Schließlich existiert eine vierte Gruppe, zu denen Brasilien, Kolumbien und Mexiko gehören, die einerseits deutliche Kritik an der Zollpolitik und den kolonialen Attitüden der USA üben, ihre nationale Souveränität betonen und sich aber andererseits mit diplomatischen Mitteln bemühen, zu einem Ausgleich mit der US-Regierung zu kommen. Denn sie könnten nur unter großen wirtschaftlichen Verlusten auf den US-Markt verzichten. Als sich Kolumbiens Präsident Gustavo Petro gegen Abschiebeflüge aus den USA wehrte, drohte Trump mit Strafzöllen. Petro kündigte zwar Gegenmaßnahmen an, lenkte aber wegen der großen wirtschaftlichen Abhängigkeit Kolumbiens schließlich ein. Dass die USA im November die Zölle für brasilianisches Rindfleisch, für Kaffee und Früchte senkten, begrüßt Brasilien als diplomatischen Erfolg.
Die aktuelle Wiederbelebung der Monroe-Doktrin hat jetzt bereits Spuren hinterlassen: Die pan-amerikanische Diplomatie existiert zurzeit nicht mehr. Es kam zu Spannungen, und das Misstrauen gegenüber den USA ist gewachsen. Ob die Politik, Lateinamerika als geopolitischen Hinterhof zu nutzen, allerdings langfristig erfolgreich ist, bleibt abzuwarten. Zu lange haben lateinamerikanische Länder im vergangenen Jahrhundert unter dieser arroganten Politik gelitten. Ob diese Länder effektive Wege finden, die heutige US-Politik abzuwehren – beispielsweise durch eine Annäherung an China und andere asiatische Länder oder die EU –, ist zurzeit ebenfalls offen und hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Weltgemeinschaft in der Lage ist, sich nachhaltig gegen den krassen Anschlag der USA auf den Multilateralismus zu wehren.




