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Im Jahr 2015 läutete die neu gewählte kanadische Bundesregierung unter Premierminister Justin Trudeau eine neue Ära progressiver Klimapolitik ein. Nach seiner Rückkehr von der Pariser UN-Klimakonferenz handelten die Regierungen des Bundes, der Provinzen und der Territorien im Lauf des Jahres 2016 den ersten echten landesweiten Klimaplan Kanadas aus: das Pan-Canadian Framework on Clean Growth and Climate Change (PCF).
Obwohl also ein Konsens erreicht wurde, erweist es sich nun als schwierig, den Plan auch durchzuziehen. Der PCF enthält fast fünfzig Klimaschutzmaßnahmen, doch nur eine beherrscht die öffentliche Diskussion: Die CO2-Bepreisung, die weithin als die kostenwirksamste Methode für die Senkung der CO2-Emissionen gilt, steht vor der Parlamentswahl im Oktober im Kreuzfeuer der Kritik. Die politische Spaltung könnte sich gravierend auf die Zukunft des Klimaschutzes auswirken, nicht nur in Kanada, sondern weltweit – denn Länder, die die Verschmutzung noch bepreisen müssen, beobachten genau, welche Erfahrungen man in Kanada damit macht. Wie aber kam es zu der Kehrtwende?
Bis vor kurzem waren in den vier größten kanadischen Provinzen Systeme für die CO2-Bepreisung wirksam: in British Columbia, Alberta, Quebec und Ontario. British Columbia, das Nobelpreisträger William Nordhaus und andere als Vorbild für die CO2-Bepreisung nennen, führte 2008 erstmals eine Abgabe auf fossile Brennstoffe ein. Die Steuer begann mit 10 Dollar pro Tonne CO2-Äquivalente (t CO2ä) und sah ein Erhöhung von 5 Dollar pro Jahr vor, die 2013 eingefroren und 2018 wieder in Kraft gesetzt wurde. Alberta hatte Industrieemissionen seit 2007 bepreist. 2017 wurde in Erweiterung dieser Maßnahme eine Abgabe von 20 Dollar/t CO2ä für fossile Brennstoffe eingeführt; 2018 wurde diese Abgabe auf 30 Dollar erhöht und das System für emissionsintensive Unternehmen verbessert. Quebec und Ontario übernahmen 2014 beziehungsweise 2017 das kalifornische Emissionshandelssystem mit festen Obergrenzen.
Schlüsselt man die Kritik an einem CO2-Preis in seine drei wichtigsten Bestandteile auf, so ergeben sich drei nützliche Argumente, die dazu angetan sind, präventiv asymmetrischer Information zu begegnen.
Die Bundesregierung setzte auf die Führung der Provinzen, um die Verpflichtung einer landesweiten Ausdehnung der CO2-Bepreisung nach dem PCF zu erreichen. Mit Flexibilität, aber auch Konsequenz bestärkte sie nachgeordnete Regierungen, ihr jeweils eigenes CO2-Bepreisungssystem einzuführen, das ein Minimum an Anforderungen erfüllen musste, oder aber das „Backstop“-System des Bundes anzuwenden. Letzteres sieht nach dem Vorbild Albertas 2018 als Einstieg 20 Dollar/t CO2ä und eine jährliche Erhöhung von 10 Dollar/t CO2ä bis 2022 vor.
Als die kanadische Regierung dieses System ankündigte, lebten 80 Prozent der Kanadier in Provinzen, die mit ihrem CO2-Bepreisungsystem die Vorgaben bereits erfüllten. Doch im Juni 2018 ging dieser Anteil mit der Provinzwahl in Ontario erstmals wieder zurück. Nachdem sein Vorgänger die CO2-Bepreisung unterstützt hatte, versprach der Chef der Konservativen Partei Ontarios Doug Ford im Wahlkampf, den Emissionshandel mit festen Obergrenzen einzustellen. Vier Monate nach der Wahl schaffte die Regierung von Ontario die CO2-Bepreisung ab. Unternehmen verloren Milliarden von Dollar, die sie in den Emissionshandel investiert hatten, und Programme für die Förderung nachhaltiger Energien und Energieeffizienz in Unternehmen und Privathaushalten, die mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel finanziert worden waren, wurden eingestellt.
Dieses Vorgehen wirkte nun nicht etwa als abschreckendes Beispiel für den Rest des Landes, sondern entwickelte sich zu einer Blaupause für andere Regierungen. In den folgenden Monaten verklagten die Regierungen von Saskatchewan und Ontario die Bundesregierung, die eine Umsetzung ihres Backstop-Systems verfügt hatte, Manitoba verzichtete auf die geplante Einführung eines CO2-Bepreisungssystems (bislang wurde allerdings keine Klage erhoben), und New Brunswick und Alberta haben jeweils eine neu gewählte Regierung, die mit dem Kampf gegen die CO2-Bepreisung Wahlkampf machte. Im Juni schaffte Alberta sein CO2-Bepreisungsystem ab.
Trotz wachsender Widerstände und massiver Kritik hielt die Bundesregierung an der Einführung ihres Backstop-Systems fest. Es wurde in zwei Schritten umgesetzt: das OBPS (ein System für emissionsintensive Unternehmen) trat im Januar 2019 in Kraft, die Abgabe auf fossile Brennstoffe im April.
Eine der größten Aufgaben im Zusammenhang mit der Einführung eines CO2-Preises besteht darin, technische Informationen für normale Kanadier verständlich zu vermitteln. Das polarisierte Umfeld, in dem viele Fehlinformationen den öffentlichen Diskurs durchdringen, verschärft das Problem. Die Grundlagen der CO2-Bepreisung sind den Kanadiern landauf landab nur unzureichend bekannt, nur wenige wissen, wie sie funktioniert und dass sie im In- und im Ausland bereits nachvollziehbaren Nutzen gebracht hat. Zudem haben offenbar nur wenige auf dem Schirm, dass die CO2-Bepreisung auch vom Premierminister von Alberta Preston Manning und anderen führenden Konservativen in Kanada unterstützt wird. Als sich abzeichnete, dass die CO2-Bepreisung starkes Spaltpotenzial besitzt, siegte leider politischer Opportunismus über handfeste Erkenntnisse. Schlüsselt man die Kritik an einem CO2-Preis in seine drei wichtigsten Bestandteile auf, so ergeben sich drei nützliche Argumente, die dazu angetan sind, präventiv asymmetrischer Information zu begegnen.
Ein CO2-Preis bringt Kanadiern Geld zurück
Der Backstop der kanadischen Bundesregierung für die CO2-Bepreisung ist darauf ausgerichtet, den Kanadiern durch Steuerrückerstattungen wieder Geld zurückzugeben. Gegner behaupten jedoch, dass den Bürgerinnen und Bürgern Geld weggenommen werde und sie sich deshalb weniger leisten können. Da die Vorzüge eines CO2-Preises nicht ausreichend bekannt sind, hat diese Argumentation Fuß gefasst, und die CO2-Bepreisungssysteme in Ontario und Alberta wurden ohne größere Widerstände abgeschafft. Diese Erfahrungen zeigen, wie wichtig es ist, die Vorzüge für Haushalte und Unternehmen ins Bewusstsein zu rücken und die politischen Maßnahmen dadurch belastbar zu machen. Besonders wichtig ist die Einsicht, dass man die Wählerschaft schon im Vorfeld in ein Gespräch über die Vorteile einbinden muss – auch über die mögliche Verwendung der Einnahmen –, und zwar schon in den ersten Beratungsphasen der Strategieentwicklung. Eine solche Einbindung kann verhindern, dass die Wählerschaft auf die Behauptung hereinfällt, das System sei nicht bezahlbar.
Ein CO2-Preis reduziert Emissionen
Gegner einer CO2-Bepreisung ignorieren hartnäckig den wachsenden ökonomischen Konsens darüber, dass eine großflächig angewandte CO2-Bepreisung als Teil einer kostenwirksamen und effizienten Strategie zur Senkung von Emissionen unverzichtbar ist. Auf diesen Konsens kann man gar nicht oft genug verweisen. Aus der kanadischen Debatte spricht zudem eine gewisse Verwirrung in punkto Einkommensneutralität: Wie kann die Emissionsbepreisung Emissionen senken, wenn das Geld doch zurückgegeben wird? Das geht, weil über ein Preissignal Verhaltensänderungen im Konsum herbeigeführt, Haushalte jedoch durch eine jährliche Steuerrückerstattung geschützt werden. Der nationale Klimaplan Kanadas enthält 50 Maßnahmen, die durch Regulierung, Investitionen und CO2-Bepreisung Emissionen in allen Sektoren möglichst kostenwirksam reduzieren. Dennoch verengen CO2-Preis-Gegner die Klimaschutzdebatte erfolgreich auf die CO2-Bepreisung, ohne allerdings für die Erreichung der Pariser Ziele einen anderen Weg samt Preisetikett aufzuzeigen.
Ein CO2-Preis fördert Innovation und Wachstum
Gut ausgestaltete CO2-Bepreisungssysteme senken langfristig die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft nicht, sondern können sie steigern. Quebec, Alberta, British Columbia und Ontario waren 2018, als sie CO2-Preissysteme hatten, die wirtschaftlich erfolgreichsten Provinzen mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt. Die CO2-Bepreisung bietet Flexibilität zur Förderung von Innovation und Wachstum in CO2-armen Branchen – zum Nutzen der Wirtschaft. Die Bundesregierung berät sich mit der Industrie intensiv über die Ausgestaltung des Preissystems für emissionsintensive Betriebe, um Bedenken wegen der Wettbewerbsfähigkeit auszuräumen, Verluste in emissionsintensiven und handelsabhängigen Branchen zu vermeiden und Investitionen in Neuerungen, die für die Einhaltung der Vorgaben notwendig sind, finanziell zu unterstützen. Leider spricht sich die Industrie bislang nicht öffentlich für ein CO2-Bepreisungssystem aus.
Die kanadische Parlamentswahl im Oktober wird über die Energie- und Klimapolitik in Kanada entscheiden. In den kommenden Monaten müssen die Menschen in der hitzigen und polarisierenden Debatte über die CO2-Bepreisung Orientierung finden. Und sie müssen von ihren Politikern eine Vision und einen Plan für das nächste Jahrzehnt einfordern, wie wir in Kanada unseren Teil dazu beitragen können, den weltweiten Temperaturanstieg zu begrenzen und in einer Welt der Dekarbonisierung eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen.
Aus dem Englischen von Anne Emmert