Eine knappe Woche vor den Zwischenwahlen in den USA sieht alles danach aus, dass die Republikaner Boden gutmachen und die Demokraten einen Teil ihrer Sitze im Kongress verlieren werden. Der Grund ist rasch erklärt: Die Demokraten liefern kein gutes wirtschaftspolitisches Storytelling, obwohl das Thema Wirtschaft den Wählerinnen und Wählern im Land am meisten auf den Nägeln brennt. Es ist paradox: Die Demokraten haben einen wirtschaftspolitischen Plan, verpacken ihn aber nicht in eine stimmige Erzählung, die die Menschen überzeugt. Die Republikaner haben wirtschaftspolitisch bestenfalls ansatzweise einen Plan, aber dafür ein Narrativ, das an die aktuelle Lebenssituation der Menschen und ihre wirtschaftlichen Sorgen anknüpft.

Die wirtschaftliche Lage und die Inflation treiben die Wählerinnen und Wähler mehr um als alle anderen Themen. Daran hat sich laut den Umfragen seit dem Sommer nicht viel geändert. Darauf hätten die Demokraten früher reagieren müssen. Sie hätten gezielt an ihrer wirtschaftspolitischen Argumentation arbeiten und deutlich machen müssen, worin sie sich von den Republikanern unterscheiden. So hohe Inflationsraten, wie wir sie im Moment erleben, können den Parteien, die an der Regierung sind, gefährlich werden – in Amerika und überall auf der Welt.

Die Demokraten bitten die Arbeiterschicht nach wie vor zur Kasse, aber über die Themen, die die arbeitende Bevölkerung bewegen, reden ihre Kandidatinnen und Kandidaten in diesem Wahlzyklus bislang wenig. Stattdessen stellen sie das Recht auf Abtreibung, die Reglementierung des Waffenbesitzes und die Sicherung der Demokratie in den Vordergrund. Diese Themen sind wichtig und gehen auch die Arbeiterschicht an, aber mit diesem Narrativ erreichen die Demokraten diese Wählergruppe nicht auf der Ebene, auf die es ankommt.

Reichlich spät haben inzwischen manche Demokraten die Zeichen der Zeit erkannt und erinnern die Kandidatinnen und Kandidaten, dass ihre Partei die Wähler und Wählerinnen davon überzeugen muss, dass deren wirtschaftliches Wohl ihr am Herzen liegt. Ob diese Erkenntnis knapp drei Wochen vor der Wahl noch viel bewegen wird, bleibt abzuwarten.

Auf der Zielgeraden vor den Zwischenwahlen weisen Präsident Biden und die Demokraten die Menschen schließlich doch noch darauf hin, dass die Republikaner amerikanische Familien noch stärker belasten wollen. Dieser Überzeugungsversuch kurz vor Toresschluss ist wichtig, wird aber angesichts der höchsten Inflationsrate seit 40 Jahren wohl keine große Wirkung mehr entfalten. Neben den wirtschaftlichen Nöten spielt auch das Kriminalitätsproblem eine Rolle: 56 Prozent der Erwachsenen in den USA und damit mehr als jemals zuvor geben an, dass nach ihrer Einschätzung dort, wo sie leben, die Kriminalität auf dem Vormarsch ist. Wirtschaftslage und Kriminalität – zusammen erzeugen diese beiden Problemfelder bei den amerikanischen Wählerinnen und Wählern durchaus eine Wechselstimmung.

Neben den wirtschaftlichen Nöten spielt auch das Kriminalitätsproblem eine Rolle.

Noch ein weiterer Aspekt fehlt in den Botschaften der Demokraten: Der Zusammenhang zwischen den drängendsten Sorgen der US-Bevölkerung und dem, was in der Welt passiert. Die wirtschaftlichen Probleme einschließlich der Inflation resultieren aus einer Vielzahl von Faktoren wie zum Beispiel der sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach der coronabedingten Zwangspause der Wirtschaft. Zu einem beträchtlichen Teil hängen sie aber auch mit globalen Entwicklungen zusammen – unter anderem mit gestörten Lieferketten und dem durch Russlands Krieg gegen die Ukraine entstandenen Druck auf die Energie- und Lebensmittelpreise. Die Biden-Regierung bringt die Herausforderungen und Chancen auf der einen Seite und die globalen Entwicklungen auf der anderen Seite nicht in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang, obwohl die amerikanische Öffentlichkeit diesen Zusammenhang durchaus erkennt und neugierig ist auf Vorschläge, wie amerikanischen Arbeitnehmern und Unternehmen geholfen werden könnte, wettbewerbsfähig zu bleiben. 

Nur selten bewegt Präsident Biden sich aus seiner Blase heraus und wendet sich direkt an die amerikanische Öffentlichkeit – wie Anfang Juli, als er vor seiner „Magical Mystery Tour“ in den Nahen Osten nach Ohio fuhr. Dort ist es ihm gut gelungen, die Puzzleteile für die Wählerinnen und Wähler zu einem einleuchtenden Ganzen zusammenzufügen. Wenige Wochen vor den Midterms veröffentlichte sein außenpolitisches Team dann allerdings eine Reihe weitgehend unergründlicher und detailversessener Strategiepapiere zur nationalen Sicherheit, die nur in Elitekreisen diskutiert werden und in einer Sprache verfasst sind, die für den größten Teil der US-Bevölkerung nicht zu verstehen ist. Eine verpasste Chance.

Knapp eine Woche vor der Wahl ist alles noch im Fluss, und es kann durchaus sein, dass die Dinge sich für die Demokraten noch zum Positiven wenden. Zudem müssen wir uns nach der Wahl unter Umständen mehrere Wochen gedulden, bis wir das endgültige Ergebnis erfahren. Doch wenn das eintritt, was sich derzeit abzuzeichnen scheint, werden die Demokraten sich umgehend auf die Suche nach dem Schuldigen machen. Schon nach kurzer Zeit wird ein Hauen und Stechen beginnen. Die Diskussionen darüber, wer 2024 bei den innerparteilichen Vorwahlen gegen Präsident Biden in den Ring steigt, werden zunehmen. Bei diesen Nachwahlauseinandersetzungen wird der übergeordnete Gesamtzusammenhang vermutlich nicht thematisiert – zum Beispiel die Frage, warum Amerika nicht in der Lage ist, politische Koalitionen mit stabiler Mehrheit zu bilden, oder die Frage, wie das politische Duopol von Republikanern und Demokraten vom Status quo profitiert.

Manche Demokraten werden versuchen, die Stimmenverluste wegzuerklären. Sie werden behaupten, ihre Gegner und deren Wählerschaft seien eingefleischte Rassisten oder angehende Autokraten. Andere werden Wladimir Putin oder die saudische Regierung als Feindbilder bemühen und für ihr schlechtes Abschneiden bei den Midterms verantwortlich machen. Doch wenn die Demokraten wissen wollen, wer für die zu erwartende Wahlschlappe verantwortlich sein wird, brauchen sie nicht auf andere schauen, sondern in den Spiegel.

Die Originalversion des Artikels erschien zuerst beim US-Analyseportal  The Liberal Patriot.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld