Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen und noch immer vergeht kaum eine Woche ohne neue Episode der großen Donald-Trump-Show. Zuletzt konnten sich aufmerksame Beobachter gar über eine interessante Doppelfolge freuen: Einerseits waren da die landesweiten No Kings-Proteste gegen Trumps Politikstil, andererseits die jüngsten Entwicklungen an der Ukrainefront. Das Hauptaugenmerk der Öffentlichkeit lag dabei klar auf den Protesten, die mit ihrer rekordverdächtigen Teilnehmerzahl einen Schlagabtausch besonderer Art in Gang setzten.
Zunächst konterte der Präsident den Druck der Straße nämlich mit einem gewagten KI-Video, in dem er (angetan mit einer Krone und im Kampfjet sitzend) gewaltige Mengen Gülle über erschrockenen Demonstranten auskippt. Der nur wenige Sekunden lange Clip sorgte erwartungsgemäß erst recht für Empörung, was Trump wiederum verschnupft kommentierte. Er habe die Sache offensichtlich ironisch gemeint und sei auch kein König, sondern jemand, der sich „den Arsch abrackert, um unser Land groß zu machen“. Seine Gegner mit ihren „sehr kleinen, sehr ineffektiven Protesten“ täten dagegen nichts anderes, als das Geld zu verjubeln, das sie sich „vermutlich von Soros und anderen linksradikalen Wahnsinnigen“ haben auszahlen lassen.
Ein gewisser Unterhaltungswert war also gegeben und so geriet die weitaus bedeutendere Volte beinahe zur Randnotiz. Denn neben gereizten Protestlern musste sich Trump erneut mit Russlands Präsident Wladimir Putin auseinandersetzen, dem Mann, den er zuletzt Mitte August zu einem viel diskutierten, aber wenig produktiven Gipfeltreffen in Anchorage getroffen hatte. Nun, erklärte Trump, sei es an der Zeit für ein zweites Treffen, diesmal in Budapest, doch schon wenige Stunden nach der vollmundigen Ankündigung regten sich erste Zweifel. Bei näherer Betrachtung erschienen Putins Forderungen doch zu starr, der erzielte Fortschritt mithin unbefriedigend: „Jedes Mal, wenn ich mit Wladimir spreche, habe ich ein gutes Gespräch. Aber dann passiert nichts.“ Den zu Besuch weilenden Wolodymyr Selenskyj zu Konzessionen zu bewegen, erwies sich ebenfalls als vergebene Liebesmüh.
Und spätestens nach einem Gespräch mit Finanzminister Scott Bessent – bekanntlich nicht eben ein Freund Russlands – nahm der Präsident Anlauf für die Rolle rückwärts: kein Gipfel, keine Handshakes, stattdessen das erste Sanktionspaket seiner Amtszeit. Mit Rosneft und Lukoil traf der Bannstrahl zwei eng mit dem Kreml verbundene Ölunternehmen und sorgte unter Trumps Kritikern für einiges Stirnrunzeln. Hatte man es vielleicht doch nicht mit dem russischen Manchurian Candidate zu tun, als den man ihn im Wahlkampf so behände gezeichnet hatte? Aber warum übt er dann immer wieder öffentlich Druck auf Selenskyj aus? Ist Trump ein gekränkter Russlandfreund oder vielmehr ein leicht manipulierbarer Ukraineunterstützer? Was spielt sich im Kopf eines Mannes ab, der heute hü und morgen hott sagt?
Tatsächlich lassen sich zu Trumps Verhalten auf internationalem Parkett einige Leitplanken aufstellen, die zwar keinen prognostischen, aber doch einen analytischen Wert haben. Die erste scheint banal, gehört aber aus Nachdrücklichkeitsgründen dennoch ausgesprochen: Nicht jede dahingeflapste Bemerkung des Präsidenten gehört auf die Goldwaage. Das mag zunächst ungewohnt anmuten, da in der Diplomatie seit jeher fein gewogen wird und selbst vermeintliche Kleinigkeiten mehr als einmal die große Geschichte beeinflusst haben. So führte zum Beispiel die Frage, welchem Botschafter der Vorrang bei der Begrüßung eines Kollegen gebühre, beim Londoner Kutschenstreit 1661 zu Toten und beinahe auch zur Aufkündigung des Pyrenäenfriedens. Und als der Dey von Algiers 1827 den französischen Konsul mit einer Fliegenklatsche schlug, sandte Paris eine Strafexpedition aus und trieb den impulsiven Herrscher kurzerhand ins neapolitanische Exil. Bei Trump aber zerstäubt diese Logik, denn vieles von dem, was er sagt, hat eine so geringe Halbwertszeit oder einen solchen inneren Widerspruchscharakter, dass man kaum je sicher sein kann, wie die Dinge sich tatsächlich entwickeln.
Die Fliehkräfte auf beiden Seiten des Atlantiks lassen sich von Jahr zu Jahr immer schwerer einfangen.
Heute gibt es Zölle und morgen den passenden Aufschub; heute einen Affront im Weißen Haus und morgen ein überschwängliches Lob. Diese stark erratische Art des Politiktreibens, wie sie sich auch im abgesagten Budapester Gipfel spiegelt, lebt vom Spiel mit den Erwartungen Dritter und verdichtet gewissermaßen die Kernbotschaft der Art of the Deal: Vor der Verhandlung ist nach der Verhandlung, nichts ist wirklich sicher, aber zugleich wird auch keine Brücke je ganz abgebrochen. Es ist ein unentwegtes Tasten und Taktieren, ein ständiges Vor und Zurück, auf das Trumps Verhandlungspartner meist doppelt falsch reagieren. Entweder sprechen sie jedem nonchalant dahingeworfenen Gedankenfetzen Agendacharakter zu, oder sie nehmen überhaupt nichts mehr ernst und wechseln in den politischen Blindflug.
Einer besseren Kalibrierung zuträglich wäre – und das ist die zweite Leitplanke – ein Verständnis dafür, dass Trump in allererster Linie Interessenpolitik betreibt und auch seine erratischsten Episoden häufig darauf gründen, was er in einem bestimmten Moment als interessenpolitisch sinnvoll erachtet. Kein Rückzug auf Vertragstexte, Regelgeflechte oder anderes Schmuckwerk, sondern allein das kalte Spiel mit der Macht prägen sein Vorgehen. Diese Ausformung des America First-Prinzips stößt in Europa auf besonderes Unbehagen, ist man es hierzulande doch gewohnt, der eigenen Politik ein dezidiert universalistisches Mäntelchen umzuhängen und Machtregungen stets unter einen Menschheitsvorbehalt zu stellen. Interessen ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen, gilt dagegen als ungehörig, auch wenn in der Klage über solche Rückfälle in die Barbarei immer auch ein wenig Neid mitschwingt. Denn selbst wenn man wie Trump verfahren wollte, könnte man es schon deshalb nicht, weil zwischen Berlin und Warschau oder Budapest und Brüssel noch immer erhebliche Zielkonflikte bestehen. Echte Interessenüberschneidungen sind selten und so bleibt geduldiges Papier der vorherrschende Modus Operandi.
Entsprechend unbeeindruckt reagiert Trump, wann immer seine Gesprächspartner auf ihr Floskelsortiment zurückfallen und von geteilten Werten und gemeinsamen Überzeugungen sprechen. Bezeichnenderweise liegt er damit nicht nur im innereuropäischen, sondern auch im transatlantischen Sinne richtig, denn die kulturelle Klammer, die das land of the free und seine Partner zusammenbindet, scheint gleichfalls immer brüchiger. Oder anders ausgedrückt: Die Fliehkräfte auf beiden Seiten des Atlantiks lassen sich von Jahr zu Jahr immer schwerer einfangen. So zeigen sich Amerikaner aller Lager regelmäßig irritiert über das hiesige Verständnis von Redefreiheit oder die Brüsseler Regulierungswut.
Und die Europäer wiederum schütteln den Kopf über Schusswaffengewalt, weitmaschige Sozialsysteme und den immensen Einfluss der Religion auf Politik und Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund kommt Trumps starker Interessenorientierung und seiner Zurückhaltung gegenüber allem Wertekitsch auch ein Trotzaspekt zu: Er kanalisiert ein tiefes Unbehagen gegenüber den überseeischen Besserwissern, die meinen, an ihrem Wesen müsse Amerika genesen; die nicht aufhören, zu klagen und sich als moralische Lehrmeister aufzuspielen. Die aber bei allem Pathos erst dann ihre Verteidigungsausgaben merklich hochfahren, wenn der Grobian im Weißen Haus mit der Hand auf den Tisch haut.
Entsprechend unbeeindruckt reagiert Trump, wann immer seine Gesprächspartner auf ihr Floskelsortiment zurückfallen.
Da Trump in der veröffentlichten Meinung des alten Kontinents ähnlich beliebt ist wie einst Attila der Hunne, fällt diese letzte Leitplanke – dass sein Wirken auf dem Weltparkett auch produktive Seiten hat – recht häufig unter den Tisch. Dabei ist Interessenpolitik nicht per se schlecht und ein erratischer Verhandlungsansatz kann sogar manche Tür aufstemmen, die konventionellen Taktiken verschlossen bleibt. Man erinnere sich nur, dass unter Trumps Führung sowohl die Abraham Accords verhandelt als auch Normalisierungsabkommen Israels mit Marokko und dem Sudan geschlossen wurden. In keinem dieser Fälle hat der Republikaner allerdings jene Anerkennung erhalten, die ein weniger kontroverser Präsident wohl ohne große Mühe eingeheimst hätte.
Bei seiner bedeutendsten Tat, der Beendigung des Gaza-Kriegs, konnte man gar den Eindruck gewinnen, nicht wenige seien unglücklich über dieses Husarenstück: Statt Erleichterung und Freude stieß man auf Schmallippigkeit und Bedenkenträgerei, als wäre der persönliche Erfolg der Schmähfigur Trump ein gar zu hoher Preis für den Frieden. Gewiss, die Lage in Nahost bleibt instabil, und ob die Waffen dauerhaft schweigen, steht derzeit noch in den Sternen. Ebenso gewiss ist aber auch, dass beide Seiten eine grundsätzliche Vereinbarung getroffen haben und alle noch lebenden Geiseln frei sind. Allein das ist nach zwei Jahren weitgehend ergebnisloser Verhandlungen ein gewaltiger Fortschritt und um Welten mehr wert als alle geharnischten Kommuniqués und Anerkennungsgesten aus Europas Hauptstädten.
Dass dieser Erfolg auch ein Produkt von Trumps Verhandlungsführung ist, mag eine nicht leicht zu schluckende Pille sein. Aber wie bei jeder Medizin gilt: Geschluckt werden muss sie am Ende eben doch. Und vielleicht ist es ja gerade ihr bitterer Geschmack, der die Notwendigkeit verdeutlicht, doch noch ein anderes als das sonst übliche Schlaglicht auf die politischen Entwicklungen jenseits des Atlantiks zu werfen. Denn nur weil man etwas nicht versteht (Trumps Erratismus) oder gutheißt (Trumps Interessenpolitik), muss man sich nicht schmollend in die Festungsgräben der eigenen Moral zurückziehen. Stattdessen ist heute mehr denn je ein realistischer Ansatz vonnöten, der ohne Illusionen und unnötige Häme auskommt.
Es mag leicht sein, Trump die (wohl ebenfalls nicht ganz ernst gemeinte) Ankündigung um die Ohren zu hauen, er werde auch den Ukrainekrieg in 24 Stunden beenden. Aber viel bedeutsamer ist doch, dass er sich in der Rolle des Friedensstifters gefällt – und dass es für den Ertrag dieser Rolle unerheblich ist, aus welchen Gründen man sie ausfüllt. Warum also nicht diese positive Selbstwahrnehmung fördern und offensiver in die richtigen Bahnen lenken? Warum sich in der Formensprache der Vergangenheit verlieren, anstatt den Takt anzuschlagen, den die neue Washingtoner Klaviatur offenkundig verlangt? Warum nicht auf der Ambiguität reiten, anstatt sich über ihre Unschicklichkeit zu beklagen? Ähnlich wie im Fußball kann man auch in der Politik in Schönheit sterben oder sich zu einem harten Ergebnissieg aufraffen. Was im Falle Trumps den größeren Mehrwert bietet, sollte auf der Hand liegen.




