Während wir noch damit beschäftigt sind, den Trümmerhaufen der US-Wahl von Anfang November zu ordnen, ist eines offensichtlich geworden: Donald Trump hat im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2020 in fast jedem Bundesstaat und bei fast jeder demografischen Gruppe hinzugewonnen. Selbst bei den verlässlichsten demokratischen Wählergruppen, etwa ethnischen Minderheiten, gab es eine Verschiebung in Richtung Trump. Für die Demokraten ist das ein unheilvolles Zeichen dafür, dass ihre Wählerbasis möglicherweise nicht so solide ist wie von ihnen angenommen. Das Ergebnis zeigt, dass die Demokraten darauf reduziert wurden, eine Partei der Elite zu sein. Auch wenn es schwer zu glauben ist, dass dieses Schicksal die Partei Franklin D. Roosevelts ereilt hat: Dieser Wandel kam nicht über Nacht.
Während der letzten Jahrzehnte haben die Demokraten nach und nach ihre Unterstützung bei der Arbeiterklasse eingebüßt. Ihre Zugewinne in der multiethnischen Wählerschaft sowie bei den Wählern der Oberschicht konnten diesen Verlust ihrer Kernidentität nie ganz ausgleichen. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie tiefgreifend diese Verschiebung ist.
Lange Zeit wurden die Demokraten von vielen Amerikanerinnen und Amerikanern als die Partei der einfachen Leute angesehen. Mark Brewer, Professor an der University of Maine, hat herausgearbeitet, dass bei jeder Präsidentschaftswahl zwischen 1952 und 2004 das von den Wählern am meisten geschätzte Merkmal der Demokraten darin bestand, dass sie als „die Partei der Arbeiterklasse“ wahrgenommen wurden. Im Gegensatz dazu war der größte Kritikpunkt an den Republikanern, dass sie als Partei der Großunternehmer und der Oberschicht galten.
Diese Wahrnehmung führte in dieser Zeit zu einer deutlichen Kluft zwischen der jeweiligen Wählerschaft der Parteien: Die Demokraten gewannen eher Wähler mit niedrigerem Bildungsstand und geringerem Einkommen, während die Republikaner die bevorzugte Partei vieler wohlhabender Amerikaner mit Hochschulbildung waren.
Während der letzten Jahrzehnte haben die Demokraten nach und nach ihre Unterstützung bei der Arbeiterklasse eingebüßt.
Gleichzeitig hatten die Parteien auch begonnen, entlang ethnischer Gruppen zu polarisieren. In Folge der Verabschiedung des Civil Rights Act (1964) und des Voting Rights Act (1965) unter Präsident Lyndon B. Johnson versammelten sich schwarze Amerikaner fast einheitlich hinter den Demokraten, während weiße Wähler – insbesondere weiße Wähler aus den Südstaaten – sich in Richtung der Republikaner orientierten. Eine Zeit lang bedeutete dies einen entscheidenden Vorteil für Letztere: Zwischen 1968 und 1988 gewannen die Demokraten nur einmal die Präsidentschaft – 1976 mit Jimmy Carter.
In den 1990er Jahren wurde das Land allerdings immer vielfältiger und gleichzeitig stieg das Bildungsniveau. Der demokratische Präsident Bill Clinton war ein Nutznießer dieser neuen Wirklichkeit, da er bei Frauen, jungen Menschen, People of Color (insbesondere bei Hispanics) und Wählern mit College-Abschluss weitreichende Zugewinne verzeichnen konnte. Doch für Clintons Wahlsiege war der Fakt wichtig, dass er auch von weißen Amerikanern und Wählern mit niedrigerem Bildungsniveau bedeutende Unterstützung erhielt, da diese die große Mehrheit der Wählerschaft ausmachten. Mithilfe dieser Wählerbündnisse erreichte Clinton seine zwei Siege – und damit als erster Demokrat seit Franklin D. Roosevelt zwei volle Amtszeiten als US-Präsident. Einige politische Beobachter erkannten darin den Beginn einer neuen Mehrheit – eine, mit der man dauerhaft Wahlen gewinnen könnte, wenn man sich an die von Clinton angewandte Formel hielt.
Im Jahr 2008 baute Barack Obama auf der Clinton-Basis auf und konnte die Unterstützung fast aller wichtiger Wählergruppen, darunter Schwarze, Hispanics, Asiaten, junge Menschen und Frauen, sogar noch steigern. Doch im Jahr 2008 zeichnete sich auch ein anderer Trend ab: Obama war der erste demokratische Kandidat seit 1988, der Bachelor-Absolventen entscheidend für sich gewinnen konnte. Zudem schnitt er auch deutlich besser als frühere Demokraten bei den Besserverdienenden ab. Hier zeigten sich erste Anzeichen für eine wachsende Gruppe von gut gebildeten Beschäftigten, die aus kulturellen Werten heraus die Demokraten wählten – eine Abkehr von der Vergangenheit.
Obamas zwei Wahlsiege veranlassten Demokraten und Republikaner gleichermaßen, an die These von einer neuen demokratischen Mehrheit zu glauben. Vorbei waren die Zeiten, in denen die Demokraten eine Mehrheit der weißen Wähler gewinnen mussten – ein Kunststück, das ihnen seit den 1960er Jahren kaum gelungen war. Nun sollte die Partei, die Amerikas demografische Zukunft repräsentierte, das Land auch anführen.
Trump beschleunigte eine Neuordnung der politischen Landschaft.
Kaum hatte sich dieser Konsens etabliert, betrat Donald Trump die politische Bühne und durchkreuzte die Pläne der Demokraten, ein dominantes gesellschaftliches Bündnis zu schmieden. Trump beschleunigte eine Neuordnung der politischen Landschaft, die sowohl wirtschaftliche als auch soziale Aspekte umfasst. Mit seiner Fähigkeit, den demografischen Vorteil zugunsten der Republikaner zu wenden, versetzte er die Demokraten in eine prekäre Lage: Sie stehen nun vor der realen Gefahr, genau jene Wählergruppen zu verlieren, von denen bis vor Kurzem noch erwartet worden war, dass sie ihnen eine dauerhafte Mehrheit sichern würden.
Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 schwenkte die Wählergruppe ohne Hochschulbildung mehrheitlich zu Trump um und stattete ihn mit sechs Prozentpunkten Vorsprung im Vergleich zu Hillary Clinton aus. Und das, obwohl diese Gruppe sich noch vier Jahre zuvor mit vier Prozentpunkten Vorsprung hinter Barack Obama versammelt hatte. Dieser Umschwung war einer der Hauptgründe für Trumps Sieg, denn Nicht-Akademiker machten bei den Wahlen 2016 satte 63 Prozent der Wählerschaft aus. Hillary Clinton gewann unterdessen bei den Hochschulabsolventen erheblich an Boden: Hatte in dieser Gruppe Obama zuvor vier Punkte Vorsprung erreichen können, stieg dieser Wert 2016 auf 15 Prozentpunkte. Die Wahl 2016 war also ein frühes Anzeichen dafür, dass die Demokraten ohne eine kritische Masse von Wählern aus der Arbeiterklasse im Rücken kaum gewinnen würden.
Als vier Jahre später Joe Biden Trump besiegte, wurde die Kluft im Wahlverhalten der beiden Gruppen noch größer. Biden konnte Clintons Vorsprung bei den Wählern mit College-Abschluss um drei weitere Punkte ausbauen, während Trumps Vorsprung bei den Wählern ohne College-Abschluss praktisch unverändert blieb. Doch selbst bei Bidens Sieg gab es klare Anzeichen dafür, dass die traditionellen Bündnisse der Demokraten nicht mehr halten. Am deutlichsten war der Rechtsruck bei den hispanischen Wählern, die mit 38 Prozentpunkten Vorsprung Clinton unterstützt hatten – ein Vorsprung, der unter Biden auf 26 Prozentpunkte schmolz. Ebenso, wenn auch weniger offensichtlich, gab es erste Anzeichen für eine schwindende Unterstützung unter schwarzen und asiatisch-stämmigen Wählern. Ein entscheidender Faktor für Bidens Sieg war sein Aufschwung bei den weißen Amerikanern: Er verlor in dieser Gruppe gegenüber Trump nur mit 13 Prozentpunkten Rückstand, während Clintons Defizit ihrerzeit 17 Punkte betragen hatte.
Es erscheint plausibel, dass die Demokraten aufgrund ihres Erfolgs im Jahr 2020 und des unerwartet guten Abschneidens bei den Wahlen zum Kongress 2022 die Probleme übersehen haben, die sich innerhalb ihrer Wählerbasis entwickelten. Genau diese Probleme aber holten sie bei der diesjährigen Wahl ein.
Erste Daten aus der AP VoteCast-Umfrage für 2024 zeigen, dass Kamala Harris bei weißen Wählern mit Biden gleichziehen konnte, während Trump bei nicht-weißen Wählern historische Zugewinne erreichte. Er erzielte für die Republikaner den höchsten Anteil an asiatischen Wählern seit 2004, den höchsten Anteil an schwarzen Wählern seit 1976 und den zweithöchsten Anteil an hispanischen Wählern überhaupt; er gewann sogar die Mehrheit der Stimmen hispanischer Männer. All dies deutet darauf hin, dass die amerikanische Wählerschaft in ihrem Wahlverhalten immer weniger entlang ethnischer Linien gespalten ist. Das mag gesellschaftlich eine willkommene Entwicklung sein, geht aber eindeutig zu Lasten der Demokraten, die gehofft hatten, dass diese Wählerblöcke ihnen helfen würden, ihre demografisch fundierte Stammwählerschaft aufzubauen.
Unterdessen scheint die Transformation der Parteien entlang sozialer Linien ungebremst voranzuschreiten.
Unterdessen scheint die Transformation der Parteien entlang sozialer Linien ungebremst voranzuschreiten. Harris kam mit 14 Punkten Vorsprung fast an Bidens Rückhalt bei den Wählern mit College-Abschluss heran. Ebenso aufschlussreich ist jedoch, dass sie bei den Wählern mit einem Einkommen von jährlich über 100 000 US-Dollar einen Vorsprung von sieben Prozentpunkten erzielte – der bei weitem größte Vorsprung für einen demokratischen Kandidaten in der jüngeren Geschichte.
Auf der anderen Seite war Trump der erste republikanische Kandidat, der Wähler mit niedrigem Einkommen für sich gewinnen konnte, wenn auch nur mit einem knappen Vorsprung von drei Prozentpunkten. Er baute auch seinen Vorsprung bei den Wählern ohne College-Abschluss weiter aus und gewann in dieser Gruppe mit 13 Punkten Vorsprung – der größte Vorsprung für die Grand Old Party seit mindestens 1988. Auch 44 Prozent der Haushalte mit Bindung zu einer Gewerkschaft unterstützten Trump und sicherten ihm damit den höchsten Anteil in dieser Gruppe für einen Republikaner seit Ronald Reagan.
In der Gesamtschau wird deutlich, dass die Demokraten inzwischen genau das geworden sind, was sie einst bekämpften: eine Partei der Eliten. Dies steht in starkem Widerspruch zu ihrem traditionellen Selbstverständnis als Vertreter der Arbeiterklasse – ein Image, das zunehmend in den Hintergrund rückt. Laut dem Politikwissenschaftler Matt Grossmann stellen weiße Wähler mit College-Abschluss in diesem Jahr erstmals die Mehrheit innerhalb der demokratischen Wählerschaft dar – und haben damit sowohl Weiße ohne College-Abschluss als auch People of Color als einflussreichste Wählergruppen überholt.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass diese neue Koalition die Demokraten insgesamt auf eine unsichere Wählerbasis stellt. Zwar sind Hochschulabsolventen verlässlichere Wähler als Nicht-Akademiker, aber sie machen einen viel geringeren Anteil der Bevölkerung aus. Ohne einen nennenswerten Anteil an Wählern aus der Arbeiterklasse werden die Demokraten kaum wettbewerbsfähig sein.
Strategen und Experten werden sich in den kommenden Monaten darüber streiten, wie die Demokraten am besten vorankommen. Klar ist jedoch: Sowohl aus strategischen als auch aus moralischen Gründen sollte die Partei anstreben, zu ihren Wurzeln als Partei des Volkes zurückzukehren.
Dieser Artikel erschien zuerst im US-Onlinemagazin Persuasion.
Aus dem Amerikanischen von Lucie Kretschmer