Unter den politischen Kräften des Westens stellt die Republikanische Partei in den Vereinigten Staaten eine Art Sonderfall dar. Während sich die US-Demokraten, die britischen Konservativen und die deutschen Sozialdemokraten in den letzten Jahrzehnten in ihrem fehlgeleiteten Bestreben zur Eindämmung der Staatsverschuldung für Austeritätspolitik entschieden haben, waren Haushaltskürzungen den Republikanern nie wirklich ein Anliegen. Obwohl republikanische Präsidenten von Richard Nixon über Ronald Reagan bis hin zu George W. Bush gegen Big Government zu Felde zogen, blähten sie nach ihrer jeweiligen Amtsübernahme die Defizite aufgrund von Steuersenkungen für Reiche und massive neue Militärausgaben auf.
Und doch blieb Austerität das moralische Kernziel der Republikaner. Die Kürzungen der Staatsausgaben betrafen vor allem Unterstützungsleistungen für die Arbeiterschicht, während das Defizit zugunsten der Reichen bewusst in die Höhe getrieben wurde. „Die Bestie aushungern“ hieß, Amerikas Sozialprogramme zu kürzen – und gleichzeitig mehr Kredite im Namen der Reichen aufzunehmen.
In diesem Licht betrachtet, ist Donald Trump der Inbegriff eines Republikaners der Nachkriegszeit. Er setzt die Verlockungen von Big Tech, Stablecoins, niedrige Unternehmenssteuern, angedrohte Zölle und – wie jeder seiner Vorgänger – die unangefochtene Vormachtstellung des Dollars als Anziehungspunkt für ausländisches Kapital wirksam ein und setzt darauf, mit der massiven Erhöhung des Defizits ein altbewährtes Ziel der Republikaner zu erreichen: nämlich im Kongress genug Sparwut zu schüren, um die Sozialversicherung und Medicaid auszuhöhlen.
Trumps One Big Beautiful Bill ist selbst nach den hemmungslosen Maßstäben republikanischer Klassenpolitik außergewöhnlich. Wieder einmal wurden die alten Vorwände für Austerität („fiskalpolitische Verantwortung“, „Schuldenabbau“) auf dem Altar des wahren Ziels geopfert: der Demontage staatlicher Unterstützung für viele, bei gleichzeitiger Bereicherung einiger weniger.
Trumps „One Big Beautiful Bill“ ist selbst nach den hemmungslosen Maßstäben republikanischer Klassenpolitik außergewöhnlich.
Doch hier muss der Vergleich zwischen Trump und früheren republikanischen Präsidenten enden. Die sogenannten Reagan-Demokraten, die – wie Margaret Thatchers Anhänger aus der Arbeiterschicht im Vereinigten Königreich – der Rechten in den 1980er Jahren und darüber hinaus den Machterhalt sicherten, profitierten von den höheren Durchschnittseinkommen für Beschäftigte, die das Glück hatten, ihren Arbeitsplatz inmitten massiver Arbeitsplatzverluste zu behalten. Doch dem Abstieg in das Prekariat konnten sie auf Dauer nicht entkommen.
Nach dem Finanzcrash des Jahres 2008 hat sich der US-Kapitalismus für immer verändert. Während die Banken gerettet wurden, fanden sich immer mehr Beschäftigte mit sicheren, hochwertigen Arbeitsplätzen in den Reihen jener „Abgehängten“, die in befristeten, schlecht bezahlten Jobs ohne Zukunft um ihren Lebensunterhalt kämpften. Reagan und die Bushs gewannen Wahlen, weil die abgesicherten Proletarier für sie stimmten und die Abgehängten zu frustriert waren, um überhaupt zur Wahl zu gehen, wohingegen Trump der Sieg gelang, weil er die Abgehängten hinter sich scharte, unter denen sich mittlerweile auch eine wachsende Zahl bisher abgesicherter Proletarier befand.
Vor dem Hintergrund von Bill (und Hillary) Clintons unverhohlener Anbiederung an die Wall Street, der Bankenrettungen durch Barack Obama und der selbstmörderischen Strategie Joe Bidens, den Menschen in Not zu erzählen, die Demokraten hätten eine „ausgezeichnete“ Wirtschaft geliefert, schürte Trump die Wut der Arbeiterschicht. Um die von den Demokraten längst aufgegebenen Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen, genügten ein paar zusammenhanglose Gedanken über ein „kaputtes“ Land und ein „Gemetzel“, das die unfähigen, eigennützigen Eliten über Menschen wie sie gebracht hätten.
Die Demokraten hoffen und beten, dass Arbeiterinnen und Arbeiter Trump den Rücken kehren werden, sobald die Folgen seiner One Big Beautiful Bill schmerzhaft spürbar werden. Trumps Haushalt ist fraglos das übelste Instrument der Klassenkampfpolitik seit den Reagan-Thatcher-Bush-Jahren. Wie ein Robin Hood der Reichen nutzt Trump das Mandat, das er von den ärmeren Amerikanerinnen und Amerikanern erhalten hat, um die Sozial- und Gesundheitsleistungen, auf die diese angewiesen sind, zu kürzen und gleichzeitig den reichsten Menschen in den USA großzügige Geschenke zu machen.
Auch ich hoffe und bete, dass Trumps Basis aus der Arbeiterschicht gegen einen Präsidenten rebellieren wird, der sie so schamlos verraten hat.
Auch ich hoffe und bete, dass Trumps Basis aus der Arbeiterschicht gegen einen Präsidenten rebellieren wird, der sie so schamlos verraten hat. Doch ich vermute, dass sie es nicht tun wird. Die amerikanische Arbeiterschicht hat sich auch nicht gegen Reagan aufgelehnt, als ihre kollektiven Aussichten den Bach heruntergingen, während die Reichen dank der Kreditaufnahme der Bundesregierung immer reicher wurden. Der Grund dafür? Man verkaufte ihnen zwei ineinandergreifende Träume: einerseits Kapitalgewinne aus ihren Eigenheimen, getragen von der schuldenfinanzierten Blase der Reaganomics, die 2008 mit verheerenden Folgen platzte, und, andererseits, ein wiedererstarktes, die Welt beherrschendes Amerika, das sich der Altlast des Vietnamkriegs entledigt hatte.
Heute bietet Trump ebenfalls zwei ineinandergreifende Träume feil. Zum einen den Traum vom Krypto-Reichtum, der einen neuartigen Angriff auf das Gemeinwohl darstellt – eine Kampagne zur Privatisierung des Dollars –, den sich frühere republikanische Präsidenten aufgrund fehlender technologischer Möglichkeiten nicht einmal vorstellen konnten. In Verbindung mit dem KI-Hype hat dies nicht nur einen Geldregen für die Wall Street und das Silicon Valley ausgelöst, sondern auch neuen Optimismus unter Trumps Arbeiterbasis geweckt. Ein erheblicher Teil seiner MAGA-Bewegung („Make America Great Again“) ist blind gegenüber den enormen Risiken dieser neuen Variante der „Reichtum ohne Arbeit“-Mentalität, die zur Subprime-Hypothekenkrise geführt hat. Die Bewegung träumt von künftigen lohnunabhängigen Einkommensquellen. Trump mag ihnen Lebensmittelmarken und Medicaid wegnehmen, aber er ist der Zauberer, der umgeben von „antisystemischer“ Aura magische Formen des Reichtums heraufbeschwört.
Bei dem zweiten Traum handelt es sich um das Trump’sche Äquivalent des amerikanischen Triumphs im Kalten Krieg. Auf Fox News wurde US-Finanzminister Scott Bessent zu dem jüngsten Handelsabkommen mit der Europäischen Union interviewt, das neben anderen einseitigen Zugeständnissen an Trump auch eine absurde Verpflichtung der EU enthält, bis 2029 in den Vereinigten Staaten 600 Milliarden Dollar zu investieren. Auf die Frage, ob dies einer „Aneignung ausländischer Mittel“ gleichkomme, stimmte Bessent diplomatisch zu: „Ich denke, man kann es durchaus so formulieren, dass andere Länder uns im Wesentlichen einen Staatsfonds zur Verfügung stellen.“
Zusammengenommen könnten das Versprechen eines Krypto-Geldbaums und der Glaube, dass die Welt für Amerikas Wiedergeburt zahlt, ausreichen, um Trump vor dem Zorn seiner verratenen Arbeiterbasis zu bewahren. Falls das so eintritt, stellt sich die Frage, wer die Früchte des Zorns ernten wird, wenn Trumps Betrug irgendwann auffliegt und die aufgestaute Wut eine neue populistische Erzählung hervorbringt.
© Project Syndicate
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier