Dass es schlimm werden würde, war klar. Doch die Beweise, die das Justizministerium gegen Donald Trump vorgelegt hat, sind noch schlimmer als gedacht. In der jüngst veröffentlichten Anklageschrift gegen Trump und seinen persönlichen Assistenten Walt Nauta wird die Bundesklage gegen den Ex-Präsidenten in plastischer, schockierender und stellenweise beinahe verschrobener Ausführlichkeit ausgebreitet. Eine Anklageschrift ist kein Urteilsspruch – sondern ein von Staatsanwälten zusammengestellter Katalog von Vorwürfen, der keine Gegenargumente des Beklagten enthält. Trump ist juristisch unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils und beteuert auch lautstark und beharrlich, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Die vorgebrachten Beweise zeigen allerdings, warum der Prozess gegen Trump die Gemüter so erregt und warum es für Trump schwer werden dürfte, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Denn die in der Anklageschrift dargelegten Straftaten sind unfassbar töricht.

Vor allem Sonderermittler Jack Smith macht einige gewichtige Anklagepunkte geltend. Erstens sei Trump außerordentlich schlampig und planlos mit den Verschlusssachen umgegangen und habe Dokumente in einer Dusche und einem Schlafzimmer verstaut und – wie ein frappierendes Foto zeigt – auf der Bühne eines Festsaals gestapelt, in dem häufig Veranstaltungen stattfinden. Zweitens habe Trump sich persönlich in Gespräche über die Unterlagen eingeschaltet und mehrfach angeordnet, sie von A nach B zu räumen. Drittens sei Trump klar gewesen, welche gesetzlichen Vorschriften für Verschlusssachen gelten und dass für die Unterlagen, um die es geht, die Geheimhaltungspflicht nicht aufgehoben wurde. Viertens sei Trump persönlich in die Versuche involviert gewesen, die Dokumente nicht nur vor der US-Regierung, sondern sogar vor seinen eigenen Anwälten zu verstecken. Die Vorwürfe werden in der Anklageschrift mit Bildern, Texten und Material aus Überwachungskameras sorgsam untermauert.

Alles in allem zeichnet die Anklageschrift das Bild eines Mannes, der wusste, dass er ungesetzlich handelte, und sich große Mühe gab, diesen Umstand zu vertuschen. Trump wusste genau, wie schlimm es kommen würde, wenn die Dokumente gefunden würden, und wollte, dass sie vernichtet oder versteckt werden. Seine Befürchtungen waren, wie die Anklageschrift offenbart, nur allzu begründet. In einer kurzen Stellungnahme im Justizministerium erklärte Smith dieser Tage, der unsachgemäße Umgang mit Geheiminformationen habe die Sicherheit der Nation und das Leben von Einsatzkräften und Geheimdienstlern gefährdet. „Verstöße gegen die einschlägigen Vorschriften sind ein Risiko für unser Land“, so Smith.

Trump empörte sich und erklärte, gegen ihn als Ex-Präsidenten dürfe kein Strafverfahren eingeleitet werden, doch Smith hielt dagegen: „Die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien ist ein eherner Grundsatz des Justizministeriums.“ Die USA seien dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet und damit ein Vorbild für die ganze Welt. „Wir haben in unserem Land genau eine Rechtsordnung – und die gilt für jede und jeden Einzelnen.“ In der Anklageschrift werden Trump 37 Straftaten zur Last gelegt, die sieben verschiedenen Tatbeständen zuzuordnen sind: vorsätzliche Aufbewahrung von Informationen zur Landesverteidigung, Verschwörung zur Behinderung der Justiz, Zurückhalten von Dokumenten, Verstecken von Dokumenten aus korrupten Motiven, Verstecken von Dokumenten im Rahmen bundesrechtlicher Ermittlungen, versuchte Vertuschung und Falschaussage. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine jahrelange Haftstrafe – und Nauta ebenso.

Alles in allem zeichnet die Anklageschrift das Bild eines Mannes, der wusste, dass er ungesetzlich handelte.

Als Trump seinen Platz im Weißen Haus räumte, nahm er Dutzende wahllos vollgestopfter Kisten mit. Smith behauptet, der Präsident sei in die Einpackaktion persönlich involviert gewesen. Vor lauter Eile und Achtlosigkeit gerieten einige der sensibelsten Geheimnisse der Nation in das Sammelsurium aus Zeitungsausschnitten, Fotos, Notizen und allerlei Krimskrams. Viele Fachleute beklagen, mit der Einstufung von Dokumenten als geheim werde es übertrieben und viele Materialien, die eigentlich gar nicht sensibel seien, würden trotzdem als Verschlusssachen klassifiziert. Für die Vorwürfe gegen Trump spielt das allerdings keine Rolle: Die Verschlusssachen, die Trump in seinen Kisten verwahrte, enthielten Informationen über die Verteidigungskapazitäten und Waffensysteme nicht nur der USA, sondern auch anderer Staaten, über die US-Atomprogramme, mögliche Schwachstellen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Falle eines militärischen Angriffs und über Vergeltungspläne bei etwaigen Attacken von außen. Die unbefugte Preisgabe dieser als geheim eingestuften Dokumente könnte die nationale Sicherheit und die Außenbeziehungen der USA, die Sicherheit der amerikanischen Streitkräfte, aber auch menschliche Quellen und die nachrichtendienstliche Informationsgewinnung in Gefahr bringen.

Smith macht außerdem geltend, die Vorschriften für den Umgang mit den Unterlagen seien Trump bekannt gewesen, und er erinnert daran, dass Trump im Wahlkampf 2016 seiner Kontrahentin Hillary Clinton unsachgemäßen Umgang mit Verschlusssachen vorwarf und damals seinerseits betonte, wie wichtig diese Vorschriften seien. Trump erklärte, ihm sei nichts vorzuwerfen, denn er habe vor seinem Ausscheiden aus dem Amt die Geheimhaltungspflicht für die mitgenommenen Dokumente aufgehoben. Laut Sonderermittler Smith hat Trump jedoch gleich zweimal selbst zugegeben, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Einmal habe er vor den Augen zweier Journalisten mit einem Dokument gewedelt und behauptet, es handele sich um einen von Generalstabschef Mark Milley aufgestellten Angriffsplan gegen den Iran. „Schauen Sie: Als Präsident hätte ich hierfür die Geheimhaltung aufheben können“, sagte er und brachte damit einen seiner Mitarbeiter zum Lachen. „Inzwischen kann ich das nicht mehr, aber geheim ist es nach wie vor.“ Der Mitarbeiter musste erneut lachen. „Jetzt haben wir ein Problem“, antworteten seine Zuhörer – eine prophetische Aussage.

In der zweiten Situation zeigte Trump einem politischen Mitarbeiter eine geheime Landkarte und sagte, er solle nicht zu nah herangehen, denn eigentlich dürfe er die Karte nicht zeigen. So sieht eine funktionierende Geheimhaltung natürlich nicht aus. Obwohl Trump dies alles wusste, gab er sich mit dem Dokumentenschutz keine Mühe. In Mar-a-Lago wurden die Unterlagen an wechselnden Orten gelagert. Das verblüffendste Detail der Anklageschrift ist ein Foto der Kartonstapel auf der Bühne eines Festsaals, in dem nach Aussage der Ermittler Veranstaltungen und Zusammenkünfte stattfanden und wo die Kartons von Januar bis März 2021 lagerten. Die Verschlusssachen lagen also buchstäblich auf dem Präsentierteller.

Trump ist es oft gelungen, sich Ärger vom Hals zu halten, weil er redet wie ein Mafia-Boss.

Ein anderer Vorfall: Eines Tages stellte Nauta fest, dass in einem Lagerraum Kartons umgekippt waren und sensible, nur für enge Verbündete bestimmte nachrichtendienstliche Informationen auf dem Boden herumlagen. Er machte ein Foto mit dem Smartphone und schickte es an einen anderen Trump-Mitarbeiter. Das Foto ist Teil der Anklageschrift. Textnachrichten belegen, dass Trump sich über die Örtlichkeit und den Umgang mit den Dokumenten engmaschig auf dem Laufenden halten ließ.

In der Anklageschrift ist auch nachzulesen, die Regierung habe Trump immer wieder die Möglichkeit angeboten, die Unterlagen zurückzugeben. Der Vorwurf an Trump: Er habe nicht nur die Rückgabe verweigert, sondern auch mit diversen Tricks versucht, die Dokumente zu verstecken. Seit Mai 2021 warnte die Nationale Verwaltungsstelle für Archivgut und Unterlagen (National Archives and Records Administration, kurz NARA) mehrfach, sie werde die Angelegenheit an das Justizministerium weiterleiten, wenn Trump die Unterlagen nicht zurückgebe. Im Januar 2022 ließ Trump der NARA schließlich 15 Kisten zukommen. Als die NARA feststellte, dass sie als geheim eingestufte Dokumente enthielten, schaltete sie das Justizministerium ein.

Am 11. Mai 2022 wurde Trump unter Strafandrohung aufgefordert, alle Verschlusssachen abzugeben. In den Tagen danach bewegte Nauta mehrfach Kartons hin und her. Als Trumps Anwalt Evan Corcoran die Dokumente in einem Lagerraum in Augenschein nehmen sollte, um gegenüber der Regierung zu bezeugen, dass alle Unterlagen zurückgegeben worden seien, trug Nauta erst einmal mehrere Kartons aus dem Zimmer. Mit dieser Aktion sollten, so behauptet Smith, sowohl Trumps Anwälte als auch die Regierung in die Irre geführt werden.

Dass Smith in sorgfältiger Kleinarbeit nachgezeichnet hat, dass Trump unmittelbar von den Dokumenten und den hin- und hergetragenen Kartons wusste, ist ein kluger Schachzug. Trump ist es oft gelungen, sich Ärger vom Hals zu halten, weil er redet wie ein Mafia-Boss – und suggestive Handlungsoptionen für Mitarbeitende einstreut, ohne sich selbst mit ins Spiel zu bringen. So auch in diesem Fall. Der Gedanke an Hillary Clinton ließ Trump nicht los. Er behauptete, einer ihrer Mitarbeiter hätte die Löschung von 30 000E-Mails bewusst auf seine Kappe genommen. „Sie hat keinen Ärger bekommen, weil sie gesagt hat, dieser Mitarbeiter habe die Mails gelöscht“, erzählte Trump und wiederholte die Geschichte verschiedentlich, als wollte er jemanden animieren, ihm den gleichen Gefallen zu tun.

Als Corcoran bei seiner Suchaktion auf geheim eingestufte Dokumente stieß, legte Trump ihm offenbar ohne Worte nahe, diese Unterlagen zu vernichten oder zu verstecken. „Er machte eine komische Bewegung, als ob er sagen wollte – na ja, nehmen Sie sie doch mit in Ihr Hotelzimmer, und wenn etwas wirklich Schlimmes drin ist, rupfen sie es heraus“, heißt es in den Aufzeichnungen des Rechtsanwalts. „Das deutete er aber nur mit dieser Bewegung an. Gesagt hat er es nicht.“ Aus Corcorans Notizen geht auch hervor, dass Trump in anderen Situationen weniger Vorsicht walten ließ und aus seinen Intentionen kein Hehl machte. „Wäre es nicht besser, wir würden ihnen einfach sagen, dass wir hier nichts haben?“ Laut Corcorans Aufzeichnungen soll der Ex-Präsident gesagt haben: „Ist es nicht besser, wenn es gar keine Dokumente gibt?“

Inzwischen haben die meisten Menschen in Trumps Umfeld erkannt, dass ihm nicht zu trauen ist.

Das Rätselhafte an der ganzen Angelegenheit ist und bleibt die Frage, warum Trump so an diesen Dokumenten hing. Über diese Frage gibt die Anklageschrift wenig Aufschluss, denn die Unterlagen, um die es geht, werden darin nur nebulös beschrieben. Vielleicht liefert der Prozess am Ende eine Erklärung, warum Trump so große Risiken einging für Unterlagen, die er laut Anklageschrift wahllos zusammengeklaubt und anschließend ausgesprochen schlampig aufbewahrt hatte. Nauta macht in der Geschichte eine einigermaßen tragische Figur. Dem Vernehmen nach ist er ein sanftmütiger und unpolitischer Mensch, der zunächst als Unteroffizier der US-Marine im Weißen Haus für Trump tätig war, dann seinen Abschied nahm und nach Trumps Ausscheiden aus dem Amt als Assistent weiter für ihn arbeitete.

Inzwischen haben die meisten Menschen in Trumps Umfeld erkannt, dass ihm nicht zu trauen ist. Corcoran schöpfte bei seiner Suchaktion offensichtlich den Verdacht, dass Trump ihm nicht alle Kartons zeigte, und engagierte deshalb seine Anwaltskollegin Christina Bobb als Custodian of Records (die Person, die nach US-Recht über den ordnungsgemäßen Zustand von Aufzeichnungen wacht). Bobb war wohl ebenfalls auf der Hut und schrieb zwar eine Beglaubigung, warnte aber zugleich, diese Beglaubigung „basiere auf den bereitgestellten Informationen“. Auch Corcoran sicherte sich ab und notierte sorgfältig, was Trump ihm gegenüber sagte. Diese Notizen wurden später durch richterlichen Beschluss vom Anwaltsgeheimnis ausgenommen, weil sie mit dem Begehen einer Straftat im Zusammenhang stehen könnten.

Nauta war nicht ganz so clever. Er kam Trumps Bitte, die Dokumente hin- und herzubewegen, nach und stellte keine Fragen. In einer ersten Befragung belog er zudem die Bundesermittler; in einem zweiten Gespräch zeigte er sich dann offenbar mitteilsamer. Nauta hielt in unerschütterlicher Treue zu Trump und tut dies dem Vernehmen nach bis heute; dass er mitangeklagt ist, erfuhr er zuerst durch Trump. Somit war Nauta einer der Letzten, die realisieren mussten, dass persönliche Loyalität zu Trump oftmals in den persönlichen Ruin führt.

Am 3. Juni unterzeichnete Christina Bobb die Beglaubigung, in der fälschlicherweise behauptet wurde, alle Verschlusssachen seien zurückgegeben worden. Zu diesem Zeitpunkt wusste das Justizministerium allerdings schon, dass dies nicht den Tatsachen entsprach, oder hatte zumindest diesen Verdacht. Am 8. August rückten FBI-Mitarbeiter mit einem Durchsuchungsbeschluss in Mar-a-Lago an und fanden weitere Dokumente, die Trump mutmaßlich verstecken wollte. Von diesem Moment an führte an der geschichtsträchtigen Anklage gegen Trump kein Weg mehr vorbei.

© The Atlantic

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld