Der saudisch-pakistanische Verteidigungspakt verschiebt die Machtbalance im Mittleren Osten. Das Abkommen zwischen Riad und Islamabad ist ein weiteres Indiz für eine zunehmend post-amerikanische, multipolare Welt. Mit der wachsenden Verflechtung des Nahen Ostens und Südasiens steigt nicht nur die Komplexität, sondern auch die Gefahr, dass Konflikte außer Kontrolle geraten.

Auch wenn er primär so gelesen wird, ist der Pakt keine rein spontane Reaktion auf den israelischen Militärschlag gegen Katar vor nicht einmal zwei Wochen. Dieser hat das Vertrauen der Golfeliten, sich den Konflikten der Region entziehen zu können, nachhaltig erschüttert. Es war der Einbruch des nahöstlichen Chaos in die heile Glitzerwelt Arabiens.

Die saudisch-pakistanischen Verhandlungen liefen schon seit Jahren. Dass ihr erfolgreicher Abschluss beim Treffen zwischen dem saudischen Kronprinzen und dem pakistanischen Premier genau jetzt verkündet wird, ist allerdings alles andere als Zufall. Der unausgesprochene Antagonist der Allianz sitzt in Tel Aviv. Angesprochen fühlen darf sich aber auch die Weltmacht Amerika, welcher der einst enge saudische Verbündete damit unmissverständlich signalisiert: Es gibt auch andere Optionen. Für Pakistan ist vor allem die mögliche saudische Unterstützung gegen den langjährigen Rivalen Indien ein strategischer Erfolg.

Saudi-Arabien und Pakistan verbindet seit Jahrzehnten eine enge sicherheitspolitische Partnerschaft. Seit den 1960er Jahren flossen Milliarden aus der Ölmonarchie in das Land mit der weltweit zweitgrößten muslimischen Bevölkerung nach Indonesien. Ohne diese großzügige Unterstützung, zumal in Zeiten westlicher Sanktionen, hätte Pakistan seine „islamische Bombe“ wohl nie bauen können – jenen nuklearen Schutzschirm, der nun möglicherweise auch über den Hüter der heiligen Stätten gespannt wird. Das Interesse Riads an der Bombe war stets groß. Ob das Abkommen explizit den Atomschirm umfasst, ist bislang noch unklar. Diese strategische Unschärfe ist Teil des Abkommens, das bisher nicht veröffentlicht wurde.

Für Pakistan ist vor allem die mögliche saudische Unterstützung gegen den langjährigen Rivalen Indien ein strategischer Erfolg.

Völlig reibungslos waren die Beziehungen zwischen der Vormacht auf der Arabischen Halbinsel und der Republik im Nordwesten Südasiens nie. Besonders eng war die Kooperation während der Unterstützung der Mudschaheddin in Afghanistan. Zwar konnten die Sowjets besiegt werden, doch dieser Feldzug brachte auch jene besonders verhängnisvolle Variante des gewaltbereiten Islamismus hervor, die später die Zwillingstürme in New York zerstörte. Mit den Folgen kämpfen beide Seiten des Arabischen Meeres bis heute.

Auf dem Höhepunkt der konfessionell geprägten Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran verstand es Islamabad – sehr zum Ärger des Königshauses –, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Als der junge, überambitionierte Verteidigungsminister und heutige Kronprinz Mohammed bin Salman 2015 seinen Krieg gegen die mit Iran verbündeten Huthis im Jemen begann, verweigerte Pakistan die Unterstützung. Islamabad wollte seine Beziehungen zu Teheran, mit dem es eine lange und unruhige Grenze teilt, nicht aufs Spiel setzen.

Der Iran und Indien sind die beiden Mächte, die nun mit Argusaugen auf das in Riad verkündete Abkommen blicken. Der Pakt, der nach NATO-Vorbild erklärt, dass ein Angriff auf einen Vertragspartner einem Angriff auf den anderen gleichkommt, verändert zwangsläufig die strategischen Kalküle in Teheran wie in Neu-Delhi. Das Risiko liegt darin, dass Riad und Islamabad zwar ein gemeinsames Interesse an Kooperation haben, die strategische Stoßrichtung in den Hauptstädten jedoch unterschiedlich ist.

Mit dem Abkommen stärkt Pakistan seine regionale Stellung in einer Phase, in der die Rolle der USA als Garant im Nahen Osten zunehmend unsicher wirkt und Konflikte an Schärfe gewinnen. Für Islamabad erfüllt der Pakt gleich mehrere Ziele. Erstens verschafft er dem Land diplomatisches Gewicht: An der Seite des einflussreichen Golfstaates kann Pakistan demonstrieren, dass es international keineswegs isoliert ist. Zweitens eröffnet er neue sicherheitspolitische und wirtschaftliche Chancen – von verstärkter Militärkooperation über Ausbildungsprogramme bis hin zu verlässlicher saudischer Finanz- und Energiehilfe. Drittens wirkt das Abkommen innenpolitisch stabilisierend: Es stärkt den Anspruch des pakistanischen Militärs, die nationale Sicherheit im internationalen Verbund zu wahren, und bietet der Regierung einen Prestigeerfolg inmitten wirtschaftlicher Schwierigkeiten.

Sich in einen Konflikt mit Iran hineinziehen zu lassen, liegt jedoch eindeutig nicht im Interesse Islamabads. Ebenso wenig dürfte Riad daran gelegen sein, die Beziehungen zu Indien spürbar zu belasten. Nach Jahren der Annäherung verbindet Saudi-Arabien mit Neu-Delhi sogar eine eigene „strategische Partnerschaft“, die pikanterweise auch den Verteidigungsbereich einschließt. In Riad hofft man nun offenbar, dass Indien Verständnis für die Sicherheitsinteressen des Königreichs zeigt. Ob dieses Kalkül aufgeht, ist in einer geopolitisch so volatilen Welt allerdings alles andere als sicher.

Die Entspannung mit Teheran wird in Riad mit größter Hingabe gepflegt.

Bereits einen Tag nach Abschluss der Vereinbarung telefonierte der saudische Außenminister mit seinem Amtskollegen in Teheran. „Wir paktieren nicht gegen euch“ – das war offenbar die Botschaft an die „brüderliche Islamische Republik“. Die Entspannung mit Teheran wird in Riad mit größter Hingabe gepflegt. Nicht aus ideologischer Nähe, sondern aufgrund des Kalküls, man hätte den schwierigen Nachbarn durch enge Umarmung besser im Griff als durch maximalen Antagonismus.

Aus saudischer Sicht ist die angeschlagene Islamische Republik längst nicht mehr die größte Sorge. Der neue Rogue State – ein Begriff, den der pakistanische Verbündete schon seit geraumer Zeit verwendet – ist Israel. Für Tel Aviv ist der saudisch-pakistanische Deal tatsächlich ein herber Rückschlag. Schließlich verfolgt Israel die Ambition, die gesamte Region nach seinen Vorstellungen neu zu ordnen. Die Aggression gegen Doha war bislang das deutlichste Signal, dass der jüdische Staat in seiner Militarisierung weder Völkerrecht noch Grenzen anerkennt. Jederzeit und überall wollen die israelischen Streitkräfte zuschlagen können. Der 7. Oktober hat in Israel eine Doktrin der maximalen Abschreckung und Unberechenbarkeit hervorgebracht. Wie sich nun zeigt, ist es allerdings auch eine Doktrin der Hybris.

Mit dem Eintritt Pakistans in die mittelöstliche Arena endet das israelische Nuklearmonopol. Mit „Saudi-Pakistan“ gibt es nun wohl eine zweite Atommacht im Mittleren Osten. Damit rächt sich, dass Tel Aviv es versäumt hat, seine militärischen Erfolge und das Zurückdrängen Irans aus der Levante auch diplomatisch abzusichern. Trotz des desaströsen Feldzugs gegen Gaza waren die moderaten Araber bis zuletzt zu einer Normalisierung bereit – allerdings im Austausch für eine politische Perspektive für die geschundenen Palästinenser. Doch die Liquidierung der palästinensischen Frage scheint Israel wichtiger zu sein als ein umfassender regionaler Frieden. Diese Strategie maximaler Rücksichtslosigkeit hat nicht nur den Eintritt Pakistans in die Region begünstigt, sondern auch eine Annäherung jener muslimischen Regionalmächte befördert, die sich bislang misstrauisch beäugten.

War vor einigen Jahren noch von einer „Nahost-NATO“ die Rede – einer gegen Iran gerichteten Allianz aus Israel und den moderaten Arabern –, so spricht man in der Region nun von einer „muslimischen NATO“ als Verteidigungsbündnis gegen Israel. Angesichts extrem unterschiedlicher politischer Vorstellungen ist auch dieses Szenario kaum realistischer als die neokonservativen Blütenträume von einst. Dennoch lässt sich der saudisch-pakistanische Pakt als eine Art Embryo in diese Richtung deuten. Laut dem pakistanischen Verteidigungsminister sei die Vereinbarung grundsätzlich auch für weitere Staaten offen.

Unbestreitbar ist in jedem Fall, dass die Regionalmächte beginnen, Israels Vormachtstellung durch Annäherung und militärische Kooperation auszubalancieren. In der Türkei gilt Tel Aviv längst nicht mehr als Rivale, sondern als militärische Bedrohung. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi, dessen Land mit Israel eigentlich ein Friedensvertrag verbindet, bezeichnete Israel jüngst gar als „Feind“. Ägypten forciert nicht nur einen militärischen Aufmarsch auf dem Sinai mit immer mehr Stellungen in unmittelbarer Nähe zur Gazagrenze, sondern hält inzwischen sogar gemeinsame Seemanöver mit den lange Zeit ungeliebten Türken ab – mit dem einst engsten Verbündeten der 2013 von Sisis Militär gestürzten Muslimbrüder-Regierung.

Seit Jahren stellten die Amerikaner dem saudischen Kronprinzen ein Verteidigungsabkommen in Aussicht.

In Washington stößt all dies auf wenig Freude. Die Schadensbegrenzung der geopolitisch irrlichternden Trump-Regierung wirkt jedoch halbherzig. Die Kritik an Israels Grenzüberschreitung in Doha konnte die Golfpotentaten kaum besänftigen. Arabiens Herrscher mögen noch so glanzvolle Gipfel für Trump ausrichten – die bittere Erkenntnis bleibt, dass Netanjahu im Zweifelsfall den längeren Arm hat. Der weltweit verurteilte Gazafeldzug wird mit amerikanischen Waffenlieferungen am Laufen gehalten. Und die fließen weiterhin ungebremst.

Seit Jahren stellten die Amerikaner dem saudischen Kronprinzen ein Verteidigungsabkommen in Aussicht. Es sollte der krönende Abschluss der Abraham-Abkommen werden und den Weg für die diplomatische Normalisierung des Wüstenkönigreichs mit Israel ebnen. Doch dieses Ziel rückt nun in weite Ferne. Neben dem Iran ist kaum ein anderes Land radikaler in seiner israelfeindlichen Rhetorik als Pakistan. Der saudisch-pakistanische Pakt markiert eine Abwendung des seit Jahrzehnten wichtigsten arabischen Partnerlandes von den Vereinigten Staaten – ein massiver Misstrauensbeweis gegenüber Washington, das als kaum noch verlässlich gilt. Die bröckelnde Pax Americana wird im Mittleren Osten durch autonome, multipolare Strukturen ersetzt. Mehr Sicherheit entsteht dadurch nicht.

Angesichts der antiisraelisch geprägten Neupositionierung der Regionalmächte verliert Washington zwar an Einfluss, könnte aufgrund der zunehmenden Isolation des jüdischen Staates jedoch noch stärker in die Region hineingezogen werden. Zur Erinnerung: Eigentlich war die Hinwendung nach Asien und die Fokussierung auf China das erklärte Ziel. Trump selbst wollte die Forever Wars beenden.

In einer an bittere Ironie erinnernden geopolitischen Volte kehrt ausgerechnet das von der Weltmacht vernachlässigte China durch die Hintertür in den Nahen Osten zurück. Pakistan ist der militärische Premiumverbündete der Volksrepublik. Über 70 Prozent der pakistanischen Waffen stammen aus chinesischer Produktion, und mit großem Abstand ist Islamabad der wichtigste Kunde der chinesischen Rüstungsindustrie. Dass diese künftig auf saudische Milliarden zählen kann, wird man in Peking mit Genugtuung registrieren. Und so hängt in der schönen neuen Welt der Multipolarität eben alles mit allem zusammen.