Die extreme Rechte hat sich in vielen Ländern der Welt zur dynamischsten politischen Kraft entwickelt, und zwar auch deshalb, weil sich Rechtspopulisten geschickt als Beschützer einer bedrohten nationalen Identität und Souveränität präsentieren.

US-Präsident Donald Trump ist das offensichtlichste Beispiel. Kurz nach seinem Amtsantritt insistierte er, es sei seine „Pflicht als Präsident“, die Amerikaner vor „der über unsere Grenzen schwappenden Flutwelle illegaler Ausländer und Drogen“ zu schützen. Seine Einwanderungs- und Handelspolitik stellte er dabei als eine Form der nationalen Rettung dar.

Andere rechte Staats- und Regierungschefs wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, Indiens Premier Narendra Modi und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sowie prominente Politiker wie Nigel Farage in Großbritannien und Marine Le Pen in Frankreich bedienen sich ähnlicher nationalistischer und fremdenfeindlicher Tropen.

Die liberalen Eliten, die den Nationalismus seit langem ablehnen, neigen dazu, eine derartige Rhetorik als rückschrittlich zu betrachten. Vor allem im Westen war der Nationalismus nach dem Zweiten Weltkrieg diskreditiert, und Appelle an die nationale Identität wurden weitgehend zugunsten der Betonung individueller Autonomie aufgegeben.

Doch zeigen Umfragen immer wieder, dass das Selbstverständnis der meisten Menschen nach wie vor stark durch die Nationalität geprägt wird. Das mag paradox erscheinen. Doch die wichtigsten politischen Einheiten der modernen Welt sind die Nationalstaaten, sodass die nationale Identität gewissermaßen strukturell vorgegeben ist. Studien zeigen zudem, dass die Zugehörigkeit zu einem großen Kollektiv uns hilft, die Welt zu kategorisieren und uns in ihr zu verorten, was unser Selbstwertgefühl stärkt und das Risiko sozialer Entfremdung verringert.

Die wichtigsten politischen Einheiten der modernen Welt sind die Nationalstaaten.

Die reflexhafte Ablehnung nationaler Identität hat diese nicht weniger bedeutsam gemacht. Vielmehr schuf sie ein Vakuum, das politische Unternehmer eilig füllten. In Ermangelung einer überzeugenden liberalen Konzeption des Selbst griffen viele auf traditionelle und oftmals ausgrenzende Merkmale wie Ethnizität, „Rassenzugehörigkeit“ und Religion zurück. Rechtsextreme Politiker nutzten diese Form der Identitätspolitik, um Ängste zu schüren: vor Einwanderern, vermeintlich unassimilierbaren Minderheiten und supranationalen Organisationen, die unerwünschte Gesetze erlassen.

Die progressiven Kräfte haben diese Ängste allzu oft ignoriert oder ihre Ursachen als Probleme behandelt, die sich durch eine technokratische Politik lösen lassen, aber nicht erkannt, wie eng sie mit der kulturellen Identität der Wähler verbunden sind. So ist es nicht verwunderlich, dass das politische Geschehen in so vielen Ländern heute gekennzeichnet ist von einem Wiedererstarken der extremen Rechten und einem liberalen Establishment, das Mühe hat, wieder Tritt zu fassen.

Um dem ausgrenzenden Nationalismus und der unablässigen Panikmache der extremen Rechten etwas entgegenzusetzen, müssen die Liberalen ein einendes politisches und kulturelles Narrativ entwerfen. Doch auf welchen Idealen sollte dieses beruhen? Zwar ist die Betonung gemeinsamer Werte wichtig, doch ist der Verfassungspatriotismus allein zu abstrakt, um einen echten sozialen Zusammenhalt zu schaffen. Ein enger Fokus auf gute Regierungsführung ist ebenfalls riskant, da selbst gut geführte Systeme ins Wanken geraten können.

Drei Kriterien sind wesentlich für die Entwicklung einer dauerhaften politischen Überzeugung. Erstens muss sie einen emotionalen Kern haben. Ihre konkrete Form wird sich wahrscheinlich von Land zu Land unterscheiden, aber Emotionen sind unerlässlich.

Die progressiven Kräfte im Westen könnten sich von der Protestbewegung inspirieren lassen, die sich 2023 in Israel Bahn brach. In Massenkundgebungen im ganzen Land stellten sich patriotische Demonstranten als die wahren Verteidiger der nationalen Identität Israels dar und beschuldigten Premierminister Benjamin Netanjahu, eine autoritäre Vision durchsetzen zu wollen, die mit dem demokratischen und jüdischen Charakter des Landes, wie er in der Unabhängigkeitserklärung skizziert ist, unvereinbar sei.

Die reflexhafte Ablehnung nationaler Identität hat diese nicht weniger bedeutsam gemacht.

Eine ähnliche Dynamik gab es in Polen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen von 2023 stellten die Oppositionsparteien die EU-Mitgliedschaft als integralen Bestandteil der westlichen Identität des Landes dar und warnten, die autoritäre Wende der damals regierenden Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) gefährde diese.

Die brasilianische Erfahrung zeigt, dass alternative Narrative auch durch externen Druck befeuert werden können. Als Reaktion auf Trumps Angriffe auf die brasilianische Souveränität präsentierte sich Präsident Luiz Inácio Lula da Silva als Verfechter eines unabhängigen, pluralistischen Brasiliens und stellte seine rechtsextremen Gegner – insbesondere den ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro – als unterwürfig gegenüber US-Interessen dar.

Zweitens: Ein erfolgreiches liberal-nationalistisches Narrativ muss wirklich inklusiv und in der Lage sein, ein breites Wählerbündnis zu mobilisieren, indem es demografische, soziale und schichtbedingte Unterschiede überwindet. Wie Lula es ausdrückte: Ein Land gehört „dem Militär, dem Lehrer, dem Arzt, dem Zahnarzt, dem Anwalt, dem Hot-Dog-Verkäufer, dem Kleinunternehmer und dem Mittelständler“.

Drittens: Da Menschen ein angeborenes Bedürfnis nach Zugehörigkeit haben, muss jedes wirksame politische Narrativ ein Gefühl der Gemeinschaft und des gemeinsamen Schicksals fördern. Dazu müssen von der extremen Rechten vereinnahmte nationale Symbole zurückerobert und mit demokratischen Werten besetzt werden. Der jüngste Sieg von Rob Jetten über den rechtsextremen Geert Wilders bei den niederländischen Parlamentswahlen, der zum Teil auf seinen strategischen Einsatz nationaler Symbole zurückzuführen ist, bietet ein nützliches Modell. Auch in Israel, Polen und Brasilien haben zivilgesellschaftliche Gruppen und Oppositionsparteien Nationalflaggen in den Mittelpunkt ihrer Kampagnen gestellt.

Jedoch sollte sich ein liberaler Nationalismus nicht auf eine einzige Erzählung stützen, sondern aus mehreren Narrativen erwachsen, die sich gegenseitig verstärken und eine gemeinsame staatsbürgerliche Vision widerspiegeln. Dabei geht es nicht darum, hartgesottene Fremdenfeinde für sich zu gewinnen, sondern gemäßigte und konservative Wähler zu erreichen, denen ihr Land am Herzen liegt und die möglicherweise aus Angst illiberale Politiker unterstützen. In der heutigen polarisierten politischen Landschaft können selbst kleine Verschiebungen in der öffentlichen Meinung darüber entscheiden, ob die Zukunft den Autoritären oder den Befürwortern offener, demokratischer Gesellschaften gehört.

© Project Syndicate

Aus dem Englischen von Jan Doolan