Es ist noch gar nicht so lange her, da fingen zu Beginn der Pandemie einige an, panisch Nahrungsmittel zu horten. Andere fanden sich plötzlich hilflos vor leeren Marktregalen. Spätestens die Coronakrise hat uns vor Augen geführt, wie fragil die Just-in-Time-Lieferketten unseres vorherrschenden Ernährungssystems sind.
Am 23. September findet in New York der UN-Welternährungsgipfel statt. Er könnte zu einem Sprungbrett für Konzerne werden, Greenwashing-Praktiken als Mittel gegen den Klimawandel und den globalen Hunger zu legitimieren. Das ist ein gefährlicher Trend. Im letzten Pandemiejahr litt weltweit jeder Zehnte an akuten Hunger und rund 2,4 Milliarden Menschen lebten in ständiger Sorge um ausreichende und angemessene Ernährung. Profitinteressen dürfen nicht über Ernährungssicherheit und -souveränität stehen. Bereits der massive Nahrungsmittelpreisanstieg und die schlimme Hungerkrise 2007/2008 hätten Warnung genug sein sollen. Doch Streben nach Profitmaximierung wurde bislang keinen Einhalt geboten. Im Gegenteil: Landwirtschaftliche Flächen wurden als Investitionsziele noch attraktiver. Microsoft-Mitbegründer Bill Gates entpuppte sich Anfang 2021 als größter Landbesitzer der USA. Die weltweite Transparenzinitiative Land Matrix schätzte 2016, dass rund 42 Millionen Hektar der landwirtschaftlichen Nutzflächen weltweit von jeweils ausländischen Investoren aufgekauft wurden.
Im letzten Pandemiejahr litt weltweit jeder Zehnte an akuten Hunger und rund 2,4 Milliarden Menschen lebten in ständiger Sorge um ausreichende und angemessene Ernährung.
Und Landwirtschaft kann noch lukrativer für Konzerne werden. Die Idee: Ackerland als Instrument zur Kohlenstoffsenkung im Rahmen des Klimaschutzes. Landwirte können Emissionsgutschriften von einer staatlichen oder einer UN-Behörde erhalten, wenn sie auf Praktiken zur Speicherung von Kohlenstoff setzen. Dies kann z.B. durch die Umstellung auf Direktsaat erfolgen, wo zeitweise auf die Bodenbearbeitung verzichtet wird, oder durch den Anbau von Deckungspflanzen. Die Pflanzen bleiben ungeerntet und zersetzen sich auf dem Feld, was das Freisetzen von gespeichertem Kohlenstoff verhindert. Es ist allerdings eine Milchmädchenrechnung: Wird der Boden nach einiger Zeit gepflügt, entweicht das gespeicherte CO2 in die Atmosphäre – nur eben zeitverzögert.
Kritiker bemängeln an dieser Praxis auch, dass die Messung des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs äußert schwierig und stark ortsabhängig ist. Hinzu kommt der Missbrauch durch Greenwashing: Verkaufen Landwirte ihre Emissionsgutschriften an Konzerne, können diese damit ihr Konto ausgleichen, ohne etwas an ihren eigenen Ausstößen ändern zu müssen. Je höher der gespeicherte Kohlenstoffgehalt, desto höher der finanzielle Wert der Böden. Werden diese Gutschriften auf den Finanzmärkten gehandelt, steigt auch das Risiko für Lebensmittelpreisschwankungen.
Die industrielle Landwirtschaft ist für rund ein Drittel der gesamten globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Der Großteil dieser Emissionen sind jedoch auf Methan (CH4) und Lachgas (N2O) und weniger auf CO2 zurückzuführen. Methan wird vor allem in der Rinderzucht, beim Reisanbau und durch den Einsatz von chemischem Düngemittel produziert. Über die Hälfte des CO2-Ausstoßes in der Landwirtschaft stammt von Aktivitäten, die außerhalb des landwirtschaftlichen Betriebs stattfinden. Dazu zählen die Abholzung von Wäldern sowie die Produktion und der Transport von chemischen Düngemitteln, Herbiziden und Saatgut.
Verkaufen Landwirte ihre Emissionsgutschriften an Konzerne, können diese damit ihr Konto ausgleichen, ohne etwas an ihren eigenen Ausstößen ändern zu müssen.
Der Klimanutzen dieser carbon farming-Initiativen, wie sie im Europäischen Green Deal genannt werden, ist umstritten. Auch der darin angepriesene finanzielle Mehrwert für Kleinproduzentinnen hält sich in Grenzen. Denn nur jene, die tausende Hektar Land besitzen, könnten damit tatsächlich Gewinne erzielen, wie kürzlich eine Gruppe von Umweltaktivisten in den USA kritisierte.
Am diesjährigen UN-Welternährungsgipfel nehmen im Rahmen eines Multi-Stakeholder-Modells auch Konzerne, Banken und philanthropische Organisationen teil. Sie alle durften auf dem Vorgipfel Ende Juli in Rom ihre Ideen zur Transformation unserer Ernährungssysteme auf den Diskussionstisch legen. Das Argument: Wir brauchen auch diejenigen an Bord, die unsere „kostspielige“ Agrar- und Ernährungswende finanzieren können. Es überrascht nicht, dass soil health, also die Gesundheit unserer Böden, im Mittelpunkt dieses konzerngeprägten „Lösungsmenüs“ steht. Dieses Menü wird aber weder zu einer signifikanten Senkung der CO2-Emissionen noch zu einer grundsätzlichen Verbesserung der globalen Ernährungssicherheit führen.
Davor warnt auch ein aktueller Oxfam-Bericht. Das Anwerben von carbon farming-Initiativen kann einen neuen Nachfrageschub nach Ackerland – ausschließlich für die Kohlenstoffbindung – auslösen. Diese Entwicklung würde die Nahrungsmittelproduktion in den Hintergrund drängen, mit schwerwiegenden Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit. Der UN-Welternährungsgipfel droht jedoch genau diesen kohlenstoff-zentrierten Lösungsansätzen den Weg freizuräumen.
Das Anwerben von carbon farming-Initiativen kann einen neuen Nachfrageschub nach Ackerland – ausschließlich für die Kohlenstoffbindung – auslösen.
Der Gipfel ist angesichts seiner Multi-Stakeholder-Struktur kein zwischenstaatliches Treffen, bei dem legitime Beschlüsse getroffen werden können. Er ist eine Veranstaltung des UN-Generalsekretärs unter enger Mitwirkung des Weltwirtschaftsforums. Das UN-Welternährungskomitee, das partizipativste UN-Gremium, wurde erst im Verlauf in die Gipfelvorbereitungen miteinbezogen. Der starke Einfluss des Privatsektors scheint aber zu fruchten. Im Nachgang zum Gipfel sollen die in diesem Rahmen entstandenen Multi-Stakeholder-Aktionsbündnisse weitergeführt werden und Staaten zu verschiedenen Gipfelthemen, beispielsweise carbon farming, beraten. Ihre Entstehung und Legitimität werden von der im UN-Welternährungskomitee selbstorganisierten Zivilgesellschaft äußerst kritisch gesehen. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri, hat in seinem letzten Bericht auf die enormen Gefahren der aufsteigenden Konzernmacht in der UN durch den Gipfel aufmerksam gemacht.
Es gibt eine Vielzahl sinnvoller Vorschläge, wie die gegenwärtigen Herausforderungen im Bereich Ernährung angegangen werden könnten. Dazu zählen agrarökologische Praktiken, die auf den Menschen ausgerichtet, nachhaltig und kosteneffizient sind. Sie rehabilitieren nachweislich kohlenstoffarme Böden und stärken gleichzeitig die Ernährungssicherheit. Die Agroforstwirtschaft erhöht die Kohlenstoffspeicherung in den Böden durch das Pflanzen von Bäumen auf landwirtschaftlichen Flächen. Zudem ermöglicht sie Kleinbäuerinnen, sich aus der rigiden Abhängigkeit von agrochemischen Produktionsmitteln zu befreien. Chemische Düngemittel, Herbizide und Saatgut sind meist teuer und müssen jährlich erneut gekauft werden. Viele Kleinbauern geraten hierdurch in eine Armutsspirale. Carbon farming hilft ihnen nicht, sich von diesen Abhängigkeiten zu lösen. Denn ihr Mangel an Autonomie darin, wie sie Landwirtschaft betreiben wollen, wird dadurch nicht behoben. Ganz im Gegenteil: Konzerne werben mit dem Modell der Direktsaat, um durch den Verkauf von Begleitprodukten wie chemischen Düngemitteln Gewinne zu erzielen. Davon profitieren weder die Umwelt noch die Kleinbäuerinnen.
Der Einsatz von Herbiziden muss verboten, das globale Saatgutmonopol beendet werden.
Wenn wir uns auf landnutzungsbasierte Lösungen zur Hunger- und Klimawandelbekämpfung konzentrieren, müssen Sicherheit und Souveränität in der Lebensmittelkette – für Produzenten wie für Verbraucherinnen – an oberster Stelle stehen. Beim UN-Welternährungsgipfel am 23. September sollten sich die Regierungen gegen eine Fortführung des Multi-Stakeholder-Ansatzes in der UN und für den Erhalt von inklusiven Gremien wie dem UN-Welternährungskomitee aussprechen. Nur so können die UN vor einem schrittweisen Demokratieabbau geschützt werden und die UN-Mitgliedsstaaten ihre Verantwortung als Pflichtenträger beibehalten. Es darf kein „business as usual“ mehr geben, radikale Lösungsansätze werden gebraucht. Der Einsatz von Herbiziden muss verboten, das globale Saatgutmonopol beendet werden. Die Regierungen müssen der wachsenden Konzernmacht durch verbindliche Regeln zum Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten einen Riegel vorschieben.