Es geht um ein gutes Leben für alle. Vor einer Woche haben die Staats- und Regierungschefs der Welt in New York die neue „2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung“ verabschiedet. Aufgabe und Anspruch der Agenda ist es, einen globalen Entwicklungsfahrplan zu entwerfen, bei dem Armuts-, Entwicklungs- und Umweltagenda miteinander verknüpft werden. Die darin enthaltenen 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) treten an die Stelle der 2015 auslaufenden acht Millenniumsentwicklungsziele. Angesichts der Größe des Vorhabens und der zahlreichen beteiligten Akteure wundert es nicht, dass sich sowohl das Dokument, die Ziele, als auch der ganze Prozess vielfältiger Kritik ausgesetzt sehen.

Hier sind zunächst die Desillusionierten und Uninformierten, für die die neue Agenda lediglich alter Wein in neuen Schläuchen ist. Bis heute wird in vielen Kommentaren der Presse die 2030 Agenda als ein weiteres internationales Entwicklungshilfeprogramm abgetan, das von den Vereinten Nationen bürokratisch bestimmt wurde und von denen man schon viele kommen und (unter-)gehen sah.

Allerdings sind die nachhaltigen Entwicklungsziele keinesfalls die Wiederkehr des immer Gleichen: Sie sind das Ergebnis einer globalen politischen Unterhaltung, zu der in einem nie da gewesenen Ausmaß Regierungen, NGOs, Gewerkschaften und internationale Organisationen beigetragen haben. Sie sind universell und gelten ab sofort für alle, für klassische Entwicklungsländer wie auch für Industrieländer und damit auch hier in Deutschland. Und schließlich bildet die Agenda die komplexen Lebensumstände in der globalisierten Welt besser ab, indem sie strukturelle Herausforderungen adressiert, die in der alten Millenniumsagenda nicht oder nur unzureichend vorkamen, wie menschenwürdige Arbeit, Ungleichheit, nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster oder auch der Klimawandel. Die Ansätze der 2030 Agenda zielen somit inhaltlich wie auch in ihrem politischen Veränderungsanspruch weit über die Entwicklungspolitik wie wir sie kennen hinaus.

Die Ansätze der 2030 Agenda zielen somit inhaltlich wie auch in ihrem politischen Veränderungsanspruch weit über die Entwicklungspolitik wie wir sie kennen hinaus.

Einer Reihe von Entwicklungs- und Umweltverbänden wiederum ist die neue Agenda nicht ambitioniert genug und an vielen Stellen zu vage. Sie drücke sich um die Benennung konkreter Verantwortlichkeiten für notwendige globale Strukturreformen etwa in den Bereichen Handel, Finanzsystem und Verschuldung, sei zu wachstumsgläubig und bleibe zumindest implizit dem herrschenden neoliberalen Wirtschaftsdogma verhaftet. Außerdem besteht Skepsis, inwieweit der durchaus enthusiastischen Zustimmung zu der neuen, dem Anspruch nach transformativen Agenda eine entsprechend tatkräftige und ebenso anspruchsvolle Umsetzung folgen wird. Zwar sieht die 2030 Agenda ein umfassendes Begleitprogramm zur Berichterstattung, zum Erfahrungsaustausch und zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda durch die nationalen Regierungen vor, bemängelt wird aber seine mangelnde Verbindlichkeit. Ob „Peer Pressure“, zivilgesellschaftliches Engagement und Begleitung durch internationale Organisationen und die Wissenschaft in jedem Einzelfall ausreichen werden, den zur Umsetzung benötigten politischen Druck aufzubauen, bleibt in der Tat abzuwarten.

Vor allem von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite wird die fehlende Effizienz beim Einsatz ohnehin knapper Mittel kritisiert. Formal macht sich diese Kritik an der aus ihrer Sicht zu großen Zahl von Zielen (17) und zu ihrer Konkretisierung formulierten Unterzielen (169 „Targets“) fest, über die sich auch Björn Lomborg auf diesen Seiten mit dem Begriff der „169 Gebote“ lustig machen durfte.

Einmal abgesehen davon, dass von diesen „Targets“ rund ein Drittel alles andere als „hochfliegende Ziele“, sondern sogenannte „Mittel der Umsetzung“ sind, also Vorhaben zur Realisierung der Ziele beschreiben: Kaum ein nationales Regierungsprogramm wird über alle Ressorts hinweg mit sehr viel weniger Zielen und Vorhaben auskommen, als das globale Programm zur sozialen und ökologischen Transformation, das nun die internationale Staatengemeinschaft für die nächsten 15 Jahre beschlossen hat. Dass sich diese Kritiker (plötzlich) die Millenniumsziele zurückwünschen, scheint jedoch weniger der Sorge um eine Überfrachtung der Agenda geschuldet zu sein, als vielmehr dem Bemühen, das Karitative und die Symptombekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit weiter großzuschreiben, statt die strukturellen Herausforderungen und damit auch ihre politischen und gesellschaftspolitischen Bedingungen anzugehen. Indem unter dem Deckmäntelchen des Realismus die hohen Ansprüche und die neuen, stärker politischen Themen wie Ungleichheit als Feel-good-Ziele belächelt werden, sollen von Beginn an die transformativen Elemente sowie die Universalität der 2030 Agenda diskreditiert werden.

Auf die alten Millenniumsziele sollten in erster Linie die armen Länder hinarbeiten – mit der zugesagten, aber nicht erfüllten finanziellen Unterstützung reicher Länder. Die neuen Nachhaltigkeitsziele dagegen müssen, wenn sie erfolgreich umgesetzt werden sollen, substanziellen Einfluss auf die Politiken der entwickelten Länder nehmen.

Der Versuch, die neue Agenda wieder zu beschränken, zielt auch auf ihr Politikverständnis ab, das sich grundsätzlich von dem eher technokratischen Fokus der Millenniumsziele unterscheidet. Mit ihrer – sicher teilweise widersprüchlichen – Vision einer sozial-ökologischen Transformation erinnert die 2030 Agenda eher an andere universelle Erklärungen als an die nüchternen MDGs. Die Stärke (und das Risiko) dieser praktischen Utopie liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie auf soziale Mobilisierung setzt und setzen muss und es verschiedensten Akteuren ermöglicht, ihre politische Praxis in den Nachhaltigkeitszielen zu begründen.

Das macht deutlich, dass die politischen und ideologischen Auseinandersetzungen um die 2030 Agenda erst beginnen.

Dies macht deutlich, dass die politischen und ideologischen Auseinandersetzungen um die 2030 Agenda erst beginnen. Mit Widerstand ist zu rechnen, da sich viele der global notwendigen Veränderungen, zu denen sich die Staaten in der Agenda im Prinzip verpflichtet haben, gegen gewachsene Ordnungssysteme mit mächtigen Interessen richten. Deren Veränderung aber produziert neue Gewinner und Verlierer – und zwar potenziell nach einem anderen Muster als dem, an das wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt haben: Eine globale Energietransformation verschiebt notwendig Marktanteile, schließt Märkte und verändert Eigentumsverhältnisse; die ernsthafte Befassung mit der Frage der Ungleichheit rüttelt an den Grundfesten des Finanzkapitalismus; und die Durchsetzung von Arbeitsrechten verschiebt das Gewicht zugunsten von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Gewerkschaften, deren Rechte jahrelang marginalisiert wurden.

Die Welt wurde von den Diskussionen über die Nachhaltigkeitsziele nicht vom Kopf auf die Füße gestellt. Aber die normativen Anklänge der 2030 Agenda bieten in den kommenden Jahren gute Ansatzpunkte für eine breite Basis an Organisationen verschiedenster Milieus und Bewegungskulturen, um sich der globalen Schlechtwetterlage entgegenzustellen. Dafür sollte sie verteidigt werden.