Der liberale Comedian Jimmy Kimmel hat einen schlechten Witz gemacht. Das passiert schon mal in einer Late-Night-Show. Normalerweise folgen daraufhin empörte Tweets, ein paar Negativschlagzeilen, doch dann geht es schnell wieder zur Tagesordnung über. Nicht so in dieser Woche. Der Fernsehsender ABC hat Kimmel suspendiert – nicht wegen mangelnder Qualität oder sinkender Quoten, sondern schlicht, weil der Witz aus dem falschen politischen Lager kam.
Der Witz bezog sich auf den Mord an Charlie Kirk, der je nach Lesart als republikanischer Aktivist oder rechtsradikaler Agitator galt. Kimmel suggerierte in seiner Show, der Täter sei ein MAGA-Anhänger gewesen. Das war sachlich nicht korrekt, und wirklich lustig war es auch nicht. Doch die Reaktion hatte es in sich. Brendan Carr, Vorsitzender der Federal Communications Commission, ließ ABC ausrichten: Entweder man „finde Wege, um Kimmel zu bestrafen“, oder es gebe „Probleme“ mit der Behörde. Wenige Stunden später war Kimmel suspendiert – unter großem Beifall von US-Präsident Donald Trump. Dieser hatte bereits im Juli das Sende-Aus von Late-Night-Host Stephen Colbert gefeiert und damals schon Kimmels Skalp gefordert.
So sieht Cancel-Culture im Jahr 2025 aus. Nur dass diesmal nicht progressive Campus-Aktivisten oder wütende Twitter-Nutzer zur Cancel-Keule greifen, sondern konservative Akteure bis hin zum mächtigsten Mann in Washington. Jahrelang wetterten Konservative unermüdlich gegen Cancel-Culture. Jede Uni-Leitung, die eine Einladung zurückzog, jeder Social-Media-Shitstorm gegen ein unliebsames Statement wurde als Angriff auf die Meinungsfreiheit inszeniert. Und damit hatten sie nicht ganz Unrecht: Auch progressive Milieus griffen gern zum Mittel der Zensur, wenn es unbequem wurde.
Auch progressive Milieus griffen gern zu Zensurreflexen, wenn es unbequem wurde.
Doch die einst berechtigte Kritik der Republikaner entpuppt sich nun als blanke Doppelmoral. Was sich jetzt abspielt, ist von ganz anderem Kaliber. Trump, Vizepräsident J.D. Vance, der erst kürzlich die Europäer in Sachen Meinungsfreiheit belehrte, Justizministerin Bondi und mehrere republikanische Gouverneure haben in den vergangenen Tagen ein ganzes Arsenal an Maßnahmen losgetreten, das an autoritäre Systeme erinnert. Komiker, die sich über Kirk äußern, sollen auf schwarze Listen gesetzt werden. Schülern wird offen gedroht, sie würden „nie wieder einen Job bekommen“, falls sie Kirk verunglimpfen. Der frühere US-Botschafter Richard Grenell forderte gar, den Washingtoner ZDF-Studiochef Elmar Theveßen wegen seiner falschen Aussagen über Kirk des Landes zu verweisen. Und selbst große Medienhäuser wie die New York Times oder Penguin Random House sehen sich plötzlich mit Milliardenklagen aus dem Trump-Lager konfrontiert. Das ist nicht mehr die Empörungskultur der Linken von einst. Es ist staatlich orchestrierte Einschüchterung.
Der US-Journalist Zaid Jilani beschreibt diese Entwicklung hinsichtlich der republikanischen Grand Old Party treffend: „Die GOP scheint vollständig zur zensorischen Haltung zurückgekehrt zu sein, die sie während der Bush-Jahre hatte.“ Damals reichte schon ein kritisches Wort gegen den Irakkrieg, um von Radiostationen verbannt zu werden. Der entscheidende Unterschied: Während Bush auf patriotischen Überschwang setzte, steht Trump eine ganz andere Infrastruktur zur Verfügung. Mit Social Media, einer loyalen Anhängerschaft und der Kontrolle über Schlüsselbehörden verfügt er über ein Zensurarsenal, das weit über moralische Entrüstung hinausgeht.
Die Demokraten haben sich dieses Problem selbst eingebrockt. Auf dem Höhepunkt der Black-Lives-Matter- und Wokeness-Debatten verabschiedeten sich viele Linke von einem klaren Bekenntnis zur Meinungsfreiheit. Zu groß war die Versuchung, missliebige Stimmen zu „deplattformen“ – immer mit dem Hinweis, es gehe um den Schutz vulnerabler Gruppen.
Das Argument war mitunter nachvollziehbar, aber schon damals brandgefährlich. Denn wer einmal anfängt, Meinungsfreiheit zu relativieren, macht sie angreifbar für alle. Genau das erleben wir jetzt: Die Republikaner haben die Logik übernommen, wenden sie aber noch deutlich brutaler an.
Die Demokraten haben sich dieses Problem selbst eingebrockt.
Die Lage ist ernst. Wenn weder die eine noch die andere große Partei der USA bereit ist, Meinungsfreiheit konsequent zu verteidigen, dann bleibt sie schutzlos. Gerade darin liegt aber auch eine Chance: Die Demokraten könnten das Thema neu besetzen und sich als kompromisslose Verteidiger der Meinungsfreiheit profilieren – gerade jetzt, da die Republikaner sich selbst entlarvt haben.
Dafür müssten die Demokraten aber auch eigene Fehler einräumen. Wer glaubwürdig für Meinungsfreiheit eintritt, kann nicht gleichzeitig dafür plädieren, missliebige Online-Posts löschen zu lassen oder Komiker für geschmacklose Witze abzustrafen. In einer pluralen Gesellschaft ist es den Menschen zuzutrauen, ihr eigenes Urteil zu bilden. Wer antisemitisch pöbelt oder krude Verschwörungstheorien verbreitet, wird ohnehin im öffentlichen Diskurs sanktioniert und verschwindet meist von selbst in der Versenkung, ganz ohne Gerichtsurteil. In den USA spricht man hier vom Court of Public Opinion – dem Gericht der öffentlichen Meinung. Es muss klar sein: Meinungsfreiheit gilt nicht nur für die Gebildeten, Empathischen oder Faktentreuen, sondern ebenso für die Unbequemen, Unsensiblen oder jene, die gelegentlich übers Ziel hinausschießen. Eine Message, die auch in Deutschland nicht ignoriert werden sollte.
Das vorläufige Aus von Jimmy Kimmel Live ist ein schlechtes Zeichen für die Meinungsfreiheit in den USA. Es zeigt eine bittere Ironie: Jahrelang inszenierten sich die Republikaner als Opfer der „liberalen Cancel-Culture“, nun aber haben sie ihre Maske fallen lassen. Die Republikaner sind nicht die Verteidiger der Meinungsfreiheit, als die sie sich lange gaben. Sie sind die neuen Zensoren.
Das Anliegen, ungestört sagen zu können, was man denkt, ist absolut legitim. Doch wehe, der politische Gegner nutzt dieselben Rechte. Dann wird die volle Staatsmacht mobilisiert. Der Wolf im Schafspelz ist enttarnt. Und er ist gefährlicher, als es die „woken“ Sprachpolizisten je waren. Gerade in einem Land, das sich traditionell auf die Freedom of Speech beruft, braucht es nun jemanden, der den Kampf um die Meinungsfreiheit neu aufnimmt. Ob die Demokraten diese Chance ergreifen?