Mit dem Aufruf „Let’s make Europe stronger by buying European!“ sorgte der finnische Desinformationsexperte Pekka Kallioniemi Ende Februar auf X für Aufsehen. Seine Botschaft trifft einen Nerv: Der Beitrag, dem eine Liste europäischer Alternativen zu US-Produkten beiliegt, wird binnen weniger Tage über 5 600 Mal geteilt. Kurz darauf gründet sich auf Reddit die Gruppe BuyFromEU, die inzwischen fast 200 000 Mitglieder zählt.

Die digitale Buy European-Bewegung nimmt damit konkrete Formen an. Ihr Ziel: europäische Produkte und Dienstleistungen stärken – und die wirtschaftliche Abhängigkeit von US-Konzernen verringern. In Zeiten geopolitischer Unsicherheiten und wachsender wirtschaftlicher Spannungen erscheint dieser Ansatz vielen europäischen Verbrauchern als sinnvoll.

Aus der Reddit-Gruppe heraus entsteht die Go European-Datenbank, eine Online-Plattform, die es Verbrauchern ermöglicht, europäische Alternativen zu US-Produkten zu finden. Ob Galaxus statt Amazon, Filmin statt Netflix oder über 1 200 weitere Vorschläge: Die durchsuchbare Datenbank verzeichnet rund 20 000 Aufrufe pro Tag. Offiziell ist nicht von einem Boykott die Rede. „Go European wurde zwar von den jüngsten politischen Ereignissen inspiriert, soll aber lediglich ein konstruktiver Versuch sein, all die wunderbaren Dinge zu feiern, die in Europa hergestellt werden“, betonen die Betreiber auf ihrer Website. Die zugrunde liegende Motivation ist dennoch klar: Die europäische Wirtschaft soll gestärkt und die Abhängigkeit von US-Konzernen reduziert werden.

Mit den „jüngsten politischen Ereignissen“ spielen die Initiatoren auf die zunehmende Unsicherheit an, die Europa durch die US-Politik erfährt. Seit Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump wird sich Europa zunehmend seiner Abhängigkeit von den USA bewusst. Die aggressive Handelspolitik unter Trump hat das Vertrauen in die transatlantischen Beziehungen weiter erschüttert: Ab März 2025 gelten neue Strafzölle auf europäische Produkte, darunter 25 Prozent auf Stahl und Aluminium. Trumps aktuelles Zoll-Feuerwerk beinhaltet einen Zollaufschlag von 25 Prozent auf Autoimporte in die USA, der die EU erheblich belastet. Besonders die deutsche Automobilindustrie, die mit ihren Fahrzeugen über die Hälfte der europäischen Autoexporte in die USA stellt, wird die Auswirkungen deutlich zu spüren bekommen. Eine Analyse der Unternehmensberatung Kearney prognostiziert, dass die US-Zölle auf importierte Autos zu Umsatzverlusten von bis zu 9,8 MilliardenUS-Dollar für europäische Hersteller führen könnten und bis zu 25 000 Arbeitsplätze in Europa gefährden könnten. Die EU plant, entschlossen mit Gegenzöllen auf die Handelsmaßnahmen zu reagieren. Die neuen Strafzölle heizen die Buy European-Bewegung weiter an.

Ein Blick nach Kanada zeigt, dass Verbraucherbewegungen reale wirtschaftliche Auswirkungen haben können.

Ein Blick nach Kanada zeigt, dass Verbraucherbewegungen reale wirtschaftliche Auswirkungen haben können. Die Buy Canadian-Kampagne, entstanden als Reaktion auf die protektionistische Zollpolitik der Trump-Regierung, hat bereits Spuren in der US-Wirtschaft hinterlassen. Im kanadischen Lebensmittelhandel ist eine deutliche Verschiebung hin zu heimischen Produkten zu beobachten: Loblaw, der größte Lebensmitteleinzelhändler des Landes, verzeichnete einen Anstieg der Verkaufszahlen kanadischer Produkte um zehn Prozent. Auch Sobeys Inc. meldete einen Rückgang des Anteils US-amerikanischer Waren in den Regalen.

Aber sind europäische Verbraucher tatsächlich bereit, ihre Kaufgewohnheiten umzustellen? Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt: 64 Prozent der Deutschen meiden bereits bewusst Produkte von US-Herstellern. Und Einzelhändler reagieren: Die dänische Salling-Gruppe kennzeichnet bereits gezielt europäische Produkte. CEO Anders Hagh erklärte auf LinkedIn: „Wir machen es Verbrauchern einfacher, europäische Produkte einzukaufen.“ In Deutschland befürworten laut einer YouGov-Umfrage77 Prozent der Befragten eine Kennzeichnung europäischer Produkte. Die Reaktionen der deutschen Lebensmittelhändler fallen jedoch unterschiedlich aus: Rewe spricht sich gegen Sonderkennzeichnungen aus, da die Herkunft bereits auf den Verpackungen angegeben sei. Edeka hingegen will eine Umsetzung prüfen, falls die Nachfrage nach einer Kennzeichnung steigt. Kaufland und Lidl sehen momentan keinen Bedarf, ihre Preisauszeichnung zu ändern, da sie bereits auf regionale und deutsche Produkte setzen. Hinter verschlossenen Türen räumen Händler jedoch ein, dass eine Kennzeichnung europäischer Produkte problematisch sein könnte, da viele Artikel Bestandteile aus verschiedenen Ländern enthalten.

Und genau hier liegt das Problem. Globale Lieferketten sind ein großes Hindernis für die Buy European-Bewegung, da in vielen europäischen Produkten weiterhin US-Bestandteile stecken oder Teile der Wertschöpfung in den USA stattfinden. Das trifft nicht nur auf die Lebensmittelbranche zu. Ein anschauliches Beispiel liefert die Automobilbranche: Die Verkaufszahlen von Tesla sind im Januar und Februar 2025 in der EU im Vergleich zum Vorjahr um 49 Prozent gesunken, wie Zahlen des europäischen Autoherstellerverbands Acea belegen. In Deutschland sanken die Verkaufszahlen von Tesla im Februar sogar um 76 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Viele Verbraucher meiden die US-Marke bewusst und greifen stattdessen zu europäischen Alternativen wie Volkswagen, BMW oder Mercedes-Benz. Doch ein genauerer Blick auf die Produktionsstrukturen zeigt, dass dieser Trend die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Europa und den USA kaum auflöst. Die meisten deutschen Automobilhersteller unterhalten große Werke in den USA. Dort gefertigte Fahrzeuge werden nicht nur in den USA verkauft, sondern auch nach Europa exportiert. Wer also einen BMW statt eines Tesla kauft, unterstützt unter Umständen dennoch die US-Wirtschaft.

In der Lebensmittelbranche ist Europa kaum auf US-Importe angewiesen.

Dieses Problem kann auch die Go European-Datenbank nicht lösen. Sie listet ein Produkt dann, wenn das Unternehmen seinen Hauptsitz in Europa hat. Doch das garantiert nicht, dass die Produktionsstätten auf europäischem Boden stehen und dass alle Materialien ebenfalls aus Europa stammen. Zudem bleiben US-Technologie, Patente oder Software in vielen europäischen Produkten weiterhin unverzichtbar. Auch die Handelsbilanz der EU zeigt, dass der Einfluss einzelner Konsumenten begrenzt ist. Besonders in hoch spezialisierten Industriebereichen wie Luft- und Raumfahrt, Pharmazie und Maschinenbau spielen US-Importe eine zentrale Rolle.

Anders sieht es bei Konsumgütern aus: In der Lebensmittelbranche ist Europa kaum auf US-Importe angewiesen – im Gegenteil, die EU erzielte 2023 einen Exportüberschuss von 23,5 Milliarden Euro im Handel mit den Vereinigten Staaten. Besonders bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, verarbeiteten Lebensmitteln und Getränken überstiegen die EU-Exporte die Importe aus den USA deutlich. Europäische Produkte wie Wein, Käse und Olivenöl sind auf dem US-Markt stark nachgefragt. Verbraucher können das Importvolumen aus den USA also durch einen Boykott von US-Produkten im Supermarkt nur sehr bedingt steuern. Trotz der Herausforderungen spiegelt sich in der digitalen Buy European-Bewegung der Wunsch der Europäer wider, wirtschaftliche Abhängigkeiten von den USA zu verringern. Doch wie kann dies in die Tat umgesetzt werden? Eine europaweite Herkunftskennzeichnung für Produkte und Dienstleistungen wäre ein Ansatzpunkt.

Aktuell konzentriert sich die EU-Herkunftskennzeichnungspflicht vor allem auf Lebensmittel wie Fleisch, Obst und Gemüse. Zwar müssen bei einigen Produkten Aufzucht- und Schlachtorte angegeben werden, doch Produktionsstandorte und Zulieferer bleiben meistens unberücksichtigt. Eine erweiterte Kennzeichnung, die Transparenz über vollständige Lieferketten schafft, ist angesichts globaler Verflechtungen dringend notwendig. Das Label sollte nicht nur auf die Lebensmittelbranche ausgeweitet werden, die weitgehend unabhängig von den USA ist, sondern auch auf stark US-abhängige Sektoren wie Technologie. Eine solche Kennzeichnung würde es Verbrauchern und Unternehmen ermöglichen, gezielt europäische Alternativen zu wählen. Sie könnte zudem Anreize für europäische Firmen schaffen, ihre Produktionsstätten und Zulieferketten innerhalb Europas auszubauen.

Besonders in Bereichen wie Chips, Software und digitaler Infrastruktur, die derzeit oft aus den USA oder Asien stammen, würde eine stärkere europäische Präsenz die Abhängigkeit reduzieren und gleichzeitig Arbeitsplätze sowie Innovationen in der EU fördern. Die Buy European-Bewegung könnte so zu mehr als einer digitalen Bewegung werden – sie könnte eine langfristige wirtschaftliche Strategie sein, die Europas Souveränität in Zukunftsbranchen stärkt.