Die Fragen stellte Philipp Kauppert.

Wie zufrieden ist man in China mit den Ergebnissen des Gipfels der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) in Tianjin? Welche Beschlüsse standen dabei öffentlich im Mittelpunkt?

Sehr zufrieden. Die Bilder der demonstrativen Solidarität mit den zahlreichen angereisten Staats- und Regierungschefs sprechen für sich. Der Gipfel ist eingebettet in einen längeren Prozess, in dem Länder des globalen Südens mehr Mitsprache einfordern und sich gegen eine empfundene Bevormundung durch den Westen stemmen. Peking bietet ihnen dafür eine eindrucksvolle Plattform.

In den deutschen Medien wurde eher der symbolische Charakter des Treffens betont. Oder gab es neue Entwicklungen, vielleicht auch Konfliktlinien zwischen den Mitgliedstaaten?

Hinter der orchestrierten Optik und der großen Symbolik steckte durchaus Substanz und eine Botschaft an die Welt. China konnte sich als Führungsmacht des globalen Südens darstellen, das eine Reform der Weltordnung anstrebt. Xi Jinping bezeichnet diese Agenda euphemistisch als eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen. Damit verbunden ist der in Richtung USA geworfene Fehdehandschuh – man möchte sich dem Druck Washingtons nicht mehr beugen und die globale Führungsrolle der USA sowie die Hausregeln einiger weniger Länder herausfordern.

Xi rief in Tianjin zu einer neue Ära globaler Governance auf, die die Interessen der Entwicklungsländer schützen und Blockkonfrontationen verhindern soll. China bekannte sich dabei zur UN-Charta und sprach sich erneut für ein WTO-basiertes Handelssystem aus. Für die nächsten zehn Jahre bis 2035 soll eine SCO-Entwicklungsstrategie formuliert werden, mit Schwerpunkten in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur, Energiekorridore und Handel mit digitalen Dienstleistungen. In Zentral- und Südostasien finanziert Peking bereits Eisenbahnlinien, Energieprojekte und digitale Netze – oft in Ländern, die Europa bisher kaum beachtet hat.

Differenzen wurden beim Tianjin-Gipfel nicht öffentlich ausgetragen.

Neu war auch die Initiative zur Gründung einer neuen SCO-Entwicklungs-Bank, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Sicherheit der Mitgliedstaaten unterstützen soll. Als Alternative zum US-Dollar wird die neue SCO-Bank wahrscheinlich Finanzierungen in Yuan bereitstellen, um das Risiko westlicher Sanktionen zu umgehen. Ein Erfolg chinesischer Gastgeber-Diplomatie, der in Tianjin präsentiert wurde, war zudem die gemeinsame Verurteilung der israelisch-amerikanischen Bombardierung des Iran. Noch im Juni hatte Neu-Delhi eine vergleichbare Erklärung abgelehnt.

Differenzen wurden beim Tianjin-Gipfel nicht öffentlich ausgetragen. Unterschiedliche Einschätzungen gibt es etwa zur militärischen Eskalation zwischen Indien und Pakistan sowie bei Israels Militärkonflikt mit dem Iran. In der gemeinsamen Erklärung wurde festgehalten, dass die acht Länder Belarus, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan alle Chinas Belt and Road Initiative (BRI) unterstützen, während Indien dies nicht tut. So betrachtet Neu-Delhi die BRI nicht als multilaterales Projekt, sondern als ein Instrument chinesischer Interessen.

Inwiefern haben sich China und Indien im Kontext des Treffens angenähert? Welche Rolle hat dabei Trumps Zollpolitik gespielt, die für Indien und Modi ein Affront war?

Überraschend war, dass Indiens Premierminister Modi erstmals seit sieben Jahren wieder nach China kam. Nach einer langen Phase der diplomatischen Eiszeit infolge des Grenzkonflikts 2020. Ein Abkommen zum Grenzmanagement im Oktober 2024 hatte den Weg geebnet. Modi verkündete seine Teilnahme am Gipfel in Tianjin just am 6. August – dem Tag, an dem Trump die Zölle auf indische Waren auf 50 Prozent verdoppelte. Die Wiederannäherung an China und die Symbolik des Händchenhaltens von Indiens Premier mit Putin dürfte eine klare Reaktion auf die Diplomatie der Trump-Administration sein. Trump behandelt auch bisherige Verbündete wie ein Schutzgeldeintreiber und treibt sie in die Arme Pekings und Moskaus.

Gleichzeitig intensiviert Modi mit beeindruckend hoher Geschwindigkeit den Austausch mit China und Russland. Eine Dynamik, die Washington offenbar unterschätzt hat. Dennoch dürfte das strategische Misstrauen zwischen China und Indien weiter bestehen bleiben. Das zeigte zuletzt auch der Konflikt mit Pakistan: Dort kamen chinesische Waffensysteme zum Einsatz, und Peking soll den all-weather friend Pakistan zusätzlich mit militärisch relevanten Daten versorgt haben.

Blicken wir nun auf die Militärparade in Peking, an der unter anderem auch Wladimir Putin und Kim Jong-un teilgenommen haben. Welche Signale will die Kommunistische Partei Chinas senden?

Chinas Führung hat mit der Militärparade am 3. September der Welt und insbesondere seinen Rivalen die eigene militärische Stärke demonstriert. Die neuen Waffensysteme wurden ins Schaufenster gestellt: von der nuklearen Triade über moderne Kampf-Flugzeuge und KI-gesteuerte Drohnen bis hin zu Hyperschallraketen und Raketen-Abwehrsystemen.

Xi wurde bei seinem Einzug auf den Tiananmen-Platz von Staatschefs flankiert, die im Westen größtenteils isoliert sind.

Offizieller Anlass war der 80. Jahrestags des Sieges über das imperiale Japan im Zweiten Weltkrieg. Erstmals hatte Peking 2015 eine solche Militärparade ausgerichtet, welche die Rolle der Kommunistischen Partei stärker in den Fokus gerückt hat. Xi wurde bei seinem Einzug auf den Tiananmen-Platz von Staatschefs flankiert, die im Westen größtenteils isoliert sind. So marschierten Putin und der nordkoreanische Machthaber Kim in der ersten Reihe gemeinsam mit Xi. Auch der belarussische Präsident Lukaschenko, der iranische Präsident sowie der Chef der Militär-Junta in Myanmar waren anwesend.

Auffällig: Kim war erstmals seit sechs Jahren wieder in China, nachdem die Beziehungen in den vergangenen Jahren als angespannt galten. So betrachtet Peking zwar die Sicherheits-Allianz zwischen Russland und Nordkorea mit Skepsis und befürchtet spill-over-Effekte des Ukraine-Krieges an seiner Landesgrenze. Kims Besuch bot neben der erneuten Gelegenheit für ein Präsenzgespräch mit Putin auch eine seltene Gelegenheit für bilaterale Gespräche mit Xi. Unter den 26 anwesenden Staats- und Regierungschefs fanden sich kaum westliche Politiker. Mit Ausnahme von Serbiens Präsident Vučić sowie des slowakischen Ministerpräsidenten Fico, der damit das kollektive demonstrative Fernbleiben von EU-Vertretern untergrub.

Worum ging es beim mehrtägigen Staatsbesuch des russischen Präsidenten in China? Wie steht es um das bilaterale Verhältnis zwischen China und Russland?

Xi und Putin vermitteln den Eindruck, im Gegenüber jemanden gefunden zu haben, der eine vergleichbare Verantwortung, vergleichbare Risiken und Herausforderungen zu meistern hat und gleichzeitig die Dominanz der USA im internationalen System brechen will. Putin warb auf dem SCO-Gipfel für ein neues System internationaler Beziehungen, das die obsoleten eurozentrischen und euroatlantischen Strukturen ablösen soll.

Wirtschaftlich ist Russland der Juniorpartner Chinas, mit der Wirtschaftsstärke einer chinesischen Provinz. Aber Putin lässt Xi immer wieder spüren, dass Russland in manchen Militärtechnologien immer noch führend ist und mit dem weltweit größten Nuklearwaffen-Arsenal den größeren roten Knopf hat. Nach dem Treffen zwischen Xi und Putin wurde der Ukraine-Krieg in Chinas offizieller Darstellung nicht erwähnt. Putin selbst erklärte jedoch erneut, die Krise sei das Ergebnis eines vom Westen angezettelten Staatsstreichs. Außerdem gehörten die Versuche, die Ukraine in die NATO zu ziehen, zu den Hauptursachen des Konflikts. Russland schätze die Bemühungen und Vorschläge Chinas, Indiens und anderer strategischer Partner, die auf eine Entschärfung der Krise abzielen, so Putin.