Die Fragen stellte David Müller.

Die International Detention Coalition (IDC) wurde mit dem Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie, und welche Auswirkungen hat sie auf Ihre Arbeit?

Wenn man zu einem politisch so aufgeladenen Thema wie Migration arbeitet, speziell zur Inhaftierung von Migranten und Geflüchteten, erwartet man keine Anerkennung. In einer Zeit, in der populistische Bewegungen weltweit erstarken und sich viele Parteien der Mitte nach rechts bewegen, ist der Preis ein starkes Signal der Unterstützung und der Solidarität mit einigen der am meisten stigmatisierten Menschen. Das bedeutet uns sehr viel – symbolisch und ganz konkret für unsere Arbeit gegen die Inhaftierung von Migranten.

Die Auszeichnung hilft, das Thema stärker in die öffentliche Debatte zu bringen und als zentrales Menschenrechtsthema sichtbar zu machen. Sie stärkt unsere Advocacy-Arbeit und eröffnet neue Netzwerke und Partnerschaften. Auch im Hinblick auf die Finanzierung ist sie enorm wichtig, vor allem angesichts der aktuellen Kürzungen im Bereich Menschenrechte und Migration. Jede Form von Aufmerksamkeit und Unterstützung zählt.

Insgesamt ist der Preis ein großer Ansporn, unsere Arbeit fortzusetzen. Unser Ziel bleibt: weg von Kriminalisierung und Haft, hin zu menschenwürdigen, gemeindebasierten Lösungen. Kein Kind sollte jemals in Abschiebehaft kommen, das ist nie in seinem besten Interesse. Wir sind davon noch weit entfernt, aber diese Auszeichnung ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg dorthin.

Sie arbeiten mit Regierungen zusammen, die selbst für die Inhaftierung von Migranten verantwortlich sind. Wie gelingt der Spagat zwischen Zusammenarbeit und Komplizenschaft?

Wenn man Politik und Systeme verändern will, muss man mit Regierungen zusammenarbeiten, auch mit denen, die derzeit Menschen inhaftieren. Nur sie können Gesetze ändern. Dabei ist es wichtig, zu verstehen: „Die Regierung“ ist kein monolithischer Block. Es gibt unterschiedliche Ebenen, Ministerien und Personen. Wir suchen gezielt nach Ansprechpartnern, die offen sind für Veränderung. Wir haben viele engagierte Menschen in Verwaltungen getroffen, mit denen sich konstruktiv arbeiten lässt.
Ein Beispiel: In Thailand konnten wir zunächst nicht mit dem Innenministerium sprechen. Also begannen wir mit dem Ministerium für Kinder und Jugend, und heute arbeiten wir mit sieben Ministerien zusammen, darunter ist auch das Innenministerium. Manchmal muss man Umwege gehen, um ans Ziel zu kommen.

Wir wählen sehr sorgfältig aus, mit welchen Regierungen wir zusammenarbeiten.

Wir wählen sehr sorgfältig aus, mit welchen Regierungen wir zusammenarbeiten. Es geht nicht darum, überall präsent zu sein, sondern dort, wo Veränderung möglich ist. Mit Regierungen, bei denen das nicht der Fall ist, arbeiten wir nicht, etwa mit der Trump-Regierung. Uns ist wichtig, nicht nur Kritik zu üben, sondern auch Lösungen anzubieten. Wenn man nur sagt: „Das ist falsch“, dann endet das Gespräch schnell. Wir sagen: „Das funktioniert nicht – aber wie wäre es mit diesem Ansatz?“

So bleiben wir unabhängig, benennen Missstände offen und zeigen zugleich Wege auf. Unsere Stärke liegt in der Breite unseres Netzwerks: Einige Mitglieder machen Kampagnenarbeit, andere Forschung, Rechtsstreitigkeiten oder politische Arbeit. Diese Ansätze ergänzen sich. Unser Ziel ist es, Regierungen mit Fakten, Dialog und praktischen Lösungen zu Veränderungen zu bewegen, und zwar gemeinsam mit Zivilgesellschaft, UN-Organisationen und Betroffenen.

IDC arbeitet weltweit mit vielen Partnern. Gab es ein Projekt, das nicht wie erwartet verlief? Und was haben Sie daraus gelernt?

Wir verstehen unsere Arbeit nicht als einzelne Projekte, sondern als langfristiges Engagement für strukturellen Wandel, wie Gesetzesänderungen, politische Reformen oder die Freilassung von Menschen aus Abschiebehaft. Solche Veränderungen brauchen Zeit und verlaufen in Phasen. Angesichts der aktuellen politischen Lage haben wir zwei Aufgaben: Fortschritte sichern oder das Erreichte verteidigen. Die Stimmung ist vielerorts feindselig, Migration wird politisch instrumentalisiert. Inhaftierung ist dabei nur ein Symptom neben Abschiebungen und der Kriminalisierung von Solidarität.

Wenn Dinge nicht laufen wie geplant, liegt das oft an äußeren Faktoren wie einem Regierungswechsel. Wir haben mehrfach erlebt, dass wir kurz vor einer Reform standen und dann wieder von vorn beginnen mussten. Das gehört zur Realität von Advocacy-Arbeit. Unsere Arbeit unterscheidet sich von Organisationen, die Dienstleistungen oder Rechtsberatung anbieten – wir konzentrieren uns auf systemischen Wandel. Es geht nicht darum, Haftbedingungen zu verbessern, sondern Haft zu beenden und Alternativen zu schaffen.

Politische Bedingungen sind komplex und man muss flexibel bleiben und Strategien anpassen.

Ein gutes Beispiel ist Kolumbien: Dort werden Migranten nicht wegen ihres Aufenthaltsstatus inhaftiert. Über zwei Millionen Menschen erhielten vorübergehenden Schutz. Das zeigt, dass Migration auch ohne Haft steuerbar ist. Wir nutzen solche Beispiele, um anderen Ländern Alternativen aufzuzeigen und Peer Learning-Plattformen zu fördern. Beispielsweise in Asien, wo wir seit 2019 mit Regierungen in Australien, Thailand, Malaysia und Indonesien zusammenarbeiten. Natürlich gibt es Rückschläge. Wir sind eine lernende Organisation und reflektieren gemeinsam mit unseren Partnern, wenn etwas nicht funktioniert. Politische Bedingungen sind komplex und man muss flexibel bleiben und Strategien anpassen.

Gibt es Momente, in denen Sie an die Grenzen der Menschenrechtsarbeit stoßen? Und wie gehen Sie damit um?

Ja, es gibt viele solche Momente. Unsere Arbeit basiert vollständig auf Menschenrechten – das sagen wir jeder Regierung, auch wenn sie es nicht hören will. Wir argumentieren immer auf drei Ebenen: Rechte, Wirksamkeit und Kosten.

Erstens: Aus menschenrechtlicher Sicht ist Abschiebehaft verheerend. Für die Betroffenen, ihre Familien und ihre Gemeinschaften. Ein ehemaliger Inhaftierter sagte einmal: „Ich habe die Haft verlassen, aber die Haft hat mich nie verlassen.“ Das beschreibt die psychischen Folgen sehr treffend. Besonders bei Kindern ist Haft niemals vertretbar.

Zweitens: Alternativen sind wirksamer. Wenn Menschen Zugang zu Informationen, Rechtsberatung und Unterstützung haben, entstehen bessere Lösungen. Für sie selbst und für Regierungen. Sie verstehen ihre Optionen, treffen fundierte Entscheidungen und kooperieren bei den Verfahren. Studien zeigen, dass sich bei solchen Alternativen etwa 86 Prozent der Menschen am Verfahren beteiligen und nur rund zwei Prozent verschwinden.

Drittens: Alternativen sind kostengünstiger – bis zu 90 Prozent billiger als Haft. Inhaftierung ist teuer und oft privatisiert. Warum also öffentliche Mittel in ein System stecken, das weder funktioniert noch abschreckt? Wir wissen: Menschenrechtsarbeit hat Grenzen, weil Regierungen diese Argumente nicht immer hören wollen. Aber wir werden sie immer wieder vorbringen. Unsere Arbeit basiert auf Rechten – und daran werden wir nie rütteln, auch wenn es politisch bequemer wäre.