Die Fragen stellte Philipp Kauppert.

In deutschen Medien war nach der Oberhauswahl von einer politischen Krise in Japan die Rede. Wie sieht das nun vor Ort aus?

Von einer Regierungskrise zu sprechen, wäre wirklich übertrieben. Die Morgen-Nachrichten heute begannen mit einem Bericht über den 37. Homerun von Shôhei Ôtani bei den Los Angeles Dodgers. Danach folgte ein langer Beitrag über das heiße Wetter – das übrigens für diese Jahreszeit nichts Ungewöhnliches ist. Erst danach kam man zur Politik. Das Wort „Krise“ fiel dabei nicht.

Man muss bedenken: Kurzlebige Regierungen sind in Japan eher die Regel als die Ausnahme. Seit Einführung des modernen Kabinettsystems im Jahr 1885 gab es 101 Kabinette, seit Ende des Zweiten Weltkriegs allein 61. Das heißt, im Schnitt regiert ein Kabinett etwas über ein Jahr. Langlebige Regierungen wie die des als korrupt geltenden Shinzô Abe, der von 2012 bis 2020 an der Macht war, oder des mediengewandten Junichirô Koizumi von 2001 bis 2006, sind Ausnahmen – und zwar mit jeweils sehr spezifischen politischen Umständen.

Dennoch: Es kursierten Gerüchte, Premierminister Shigeru Ishiba wolle zurücktreten. Ist da etwas dran?

Die Niederlage bei der Oberhauswahl vom 20. Juli hat Ishibas Regierung auf jeden Fall geschwächt. Bereits bei der Unterhauswahl im Oktober 2024 hatte seine Liberaldemokratische Partei (LDP) Stimmen verloren. Seitdem regierte er mit einer Minderheitsregierung – und nun hat die LDP im Oberhaus keine Mehrheit mehr. Sie bleibt aber stärkste Kraft, und die Opposition ist weiterhin fragmentiert. Im Hintergrund versuchen verschiedene LDP-Gruppierungen, Ishiba abzulösen. Manche Parteimitglieder haben den Rücktritt öffentlich gefordert. Ishiba selbst hatte am Wahlabend erklärt, er wolle im Amt bleiben – und entsprechende Rücktrittsgerüchte seither stets dementiert.

Anders als viele westliche Staaten hat Japan unter Ishiba das israelische Vorgehen in Gaza und den Angriff auf den Iran öffentlich kritisiert.

Offen ist ohnehin, wer ihn überhaupt ersetzen könnte. Ishiba genießt parteiübergreifend hohes Ansehen – vor allem weil er sich für die Aufklärung der Spendenskandale starkgemacht hat. Er pflegt einen sachlichen Stil und hat ein offenes Ohr für die Opposition. Dieser Politikstil unterscheidet ihn deutlich vom rabiaten Regierungsstil von Shinzô Abe. Er war lange Mitglied einer parteiübergreifenden Parlamentariergruppe für Humanitäre Außenpolitik, die sich mit Myanmar, der Ukraine und Gaza befasst. Anders als viele westliche Staaten hat Japan unter Ishiba das israelische Vorgehen in Gaza und den Angriff auf den Iran öffentlich kritisiert.

Wie gelingt ihm die Regierungsarbeit ohne Mehrheit?

Seit letztem Jahr arbeitet Ishiba in Sachfragen mit Teilen der Opposition zusammen. Den Haushalt konnte er trotz Minderheitsstatus verabschieden – erstmals allerdings mit Revisionen, die die oppositionelle Restaurationspartei durchgesetzt hat. Kaum ein anderer LDP-Politiker könnte so eine Dynamik erzeugen. Auch ein neuer LDP-Vorsitzender hätte wohl kaum bessere Wahlaussichten. Das eigentliche Problem ist nicht Ishiba, sondern die Partei selbst – mit ihren nach wie vor undurchsichtigen Finanzierungsmethoden.

Fast zeitgleich mit den erwähnten Entwicklungen gab es eine Einigung im Zollstreit mit den USA. Verleiht dieser laut Trump „massive Deal“ Ishiba wieder Rückenwind?

Auf jeden Fall. Ishiba zeigte sich nach dem Verhandlungserfolg sichtlich erleichtert. US-Präsident Trump hat einer Senkung der geplanten Zölle von 25 auf 15 Prozent zugestimmt. Im Gegenzug soll Japan seinen Markt für amerikanische Autos und amerikanischen Reis weiter öffnen, mindestens 100 Boeing-Flugzeuge kaufen, mehr Flüssig-Erdgas aus Alaska importieren sowie 500 Milliarden Dollar in den USA investieren. Trotzdem erwartet man durch die Einführung der Trump-Zölle ein Minus von etwa einem Prozent des japanischen BIP. Aber: Angesichts der monatelangen, teils aggressiven Verhandlungen mit heftigen Drohgebärden Trumps ist das ein respektables Ergebnis.

Angesichts der monatelangen, teils aggressiven Verhandlungen mit heftigen Drohgebärden Trumps ist das ein respektables Ergebnis.

Der Deal dürfte auch für die EU interessant sein – er stand wohl auch im Zentrum des Treffens zwischen Ishiba und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie nahm am 23. Juli am EU-Japan-Gipfel teil und reiste am 24. zum EU-China-Gipfel weiter. Ishibas Kritiker und Gegner interpretieren den Erfolg in den Verhandlungen mit den USA allerdings anders: Für sie hat er seine wichtigste Aufgabe erfüllt – und könne nun abtreten. Sanae Takaichi, seine schärfste innerparteiliche Konkurrentin und Zögling von Shinzô Abe, hält sich derzeit noch bedeckt. Sie hatte bei der Wahl zum LDP-Parteivorsitz im Oktober 2024 nur knapp gegen Ishiba verloren. Allerdings gilt sie parteiintern als zu radikal, um mehrheitsfähig zu sein – eine Zusammenarbeit mit der Opposition wäre mit ihr wohl kaum denkbar. Ein politischer Stillstand wäre die Folge.

Nochmal zurück zur Wahl des Oberhauses, bei der eine rechtsextreme Partei stark zugelegt hat. Was erklärt den Erfolg der Rechtspopulisten in Japan?

Die Sanseitô hat ihre Sitze von einem auf 14 gesteigert – das klingt beeindruckend, aber im Gesamtbild bleibt sie bei insgesamt 248 Sitzen irrelevant. Für eine Koalition mit rechten LDP-Politikern reicht das nicht aus. Ihre Popularität ist trotzdem besorgniserregend. Es gibt viele Ähnlichkeiten mit westlichen populistischen Parteien. Die Partei entstand während der Corona-Pandemie und gewann erste Anhänger mit Verschwörungstheorien zum Ursprung der Pandemie und zu der Frage von Impfungen. Im Wahlkampf standen Wirtschaft oder Außenpolitik kaum auf der Agenda. Stattdessen war „Japaner First“ ihr zentraler Slogan.

In Japan leben derzeit rund 3,7 Millionen Ausländer – also etwa drei Prozent der Bevölkerung. So viele Touristen besuchen das Land im Schnitt monatlich. Doch die Sanseitô unterscheidet nicht zwischen Touristen und dauerhaft ansässigen Ausländern. Die Partei behauptete, Ausländer würden das Sozialsystem ausnutzen – obwohl sie selbstverständlich einzahlen und daher auch Anspruch auf Leistungen haben. Zwar haben Faktenchecks diese Aussagen widerlegt, doch der Schaden ist angerichtet: Die Rhetorik hat zur Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit beigetragen, die so einfach nicht mehr unter Kontrolle zu bringen sein wird.