Er träume davon, eines Tages im indischen Amritsar zu frühstücken, im pakistanischen Lahore zu Mittag und im afghanischen Kabul zu Abend zu essen. Dies sagte der damalige indische Premierminister Manmohan Singh (Kongress-Partei) bei einer Rede im Jahr 2007. Dem zwar soliden, aber so drögen wie risikoscheuen Premier blieb in den zehn Jahren seiner Amtszeit stets ein Besuch in Pakistan verwehrt. Zum einen, weil von Pakistan gestützte Terroristen mit Anschlägen eine Annäherung der verfeindeten südasiatischen Nachbarn verhinderten. Und zum anderen, weil im eigenen Land die damalige Opposition der hindu-nationalistischen BJP Singh stets schnell einen „Ausverkauf nationaler Interessen“ vorwarf, sobald es nur die Spur einer Annäherung gab.

Wie scheinbar einfach sieht dagegen die Welt am 1. Weihnachtstag 2015 aus. Indiens heutiger Premierminister Narendra Modi von eben dieser hinduistischen BJP twittert am Vormittag des 25. Dezember überraschend von Kabul aus, dass er am Nachmittag mal eben zum Geburtstagstee bei Pakistans Premier Nawaz Sharif in Lahore vorbeischauen werde – als sei dies zwischen den verfeindeten Atommächten so üblich.

Aus Moskau kommend, wo er über Atomkraftwerke und Waffengeschäfte verhandelt hatte, traf Modi am Morgen – aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich angekündigt – in Kabul ein. Dort eröffnete er das mit indischer Hilfe erbaute Parlamentsgebäude, teilte in einer Rede dann noch gegen Pakistans nicht beim Namen genannte Unterstützung der Taliban aus und übergab dann drei dringend benötigte indische Kampfhubschrauber an die kleine afghanische Luftwaffe.

 

Tabubruch mit Chuzpe

Für Pakistan beging Modi einen provokanten Tabubruch. Denn bisher hatte Indien im pakistanischen Hinterhof, wie der Hindukusch von Islamabad aus gesehen wird, stets Pakistans Warnung vor einem zu großen Engagement in militärischen Fragen berücksichtigt. Doch nun übergab Modi sogar persönlich Offensivwaffen, während er zugleich nonchalant über seinen anstehenden Kurzbesuch bei Familie Sharif twittern ließ.

In Lahore musste ein Großteil von Modis mehr als hundertköpfiger Entourage im Flughafen bleiben, während er gleich mit Sharif im Helikopter zu dessen Anwesen weiterflog. Dort gab es dann zu Sharifs 66. Geburtstag Tee aus Kaschmir und Modis vegetarisches Lieblingsgericht, wie die Medien berichteten. Die beiden Regierungschefs präsentierten sich wie alte Freunde – zum Teil händchenhaltend – der perplexen Öffentlichkeit.

Nach zwei Stunden war der Spuk vorbei. Sharif brachte Modi wieder zum Flughafen und der war zum Abendessen zurück in Delhi. Manmohan Singh lässt grüßen.

Beim Treffen Modi-Sharif gab es keine offizielle Erklärung, keine Pressekonferenz und auch kein greifbares Ergebnis. Sie seien sich darin einig gewesen, dass die Außenminister beider Staaten bei ihrem Treffen Mitte Januar in Islamabad die Annäherung und bilateralen Verhandlungen fortsetzen sollten, hieß es nur lapidar.

 

Weitgehend positives Echo

Trotzdem bekamen Modi und Sharif für ihr ungewöhnliches Treffen ein weitgehend positives Echo im In- und Ausland. In Pakistan wird das mächtige Militär der Begegnung vorab zugestimmt haben, schließlich erlaubte es Modis Jet die Landung in Lahore und stellte noch eine Ehrenformation ab.

In Indien mäkelte die Kongress-Partei zwar wie ein schlechter Verlierer an der Begegnung herum. Die schärfsten Worte kamen aber von der radikal-hinduistischen und antimuslimischen Shiv Sena, dem Koalitionspartner der BJP im Bundesstaat Maharashtra. Die Partei erklärte, wer sich zu sehr auf Pakistan einlasse, bleibe in Indien nicht lange an der Macht und verwies auf die beiden BJP-Granden Atal Behari Vajpayee und L.K. Advani. Die hatten einst eine ähnliche Vita in radikalen Hindukreisen wie Modi, standen aber später für eine begrenzte Annäherung an Islamabad. Vajpayee war 2004 vor Modi der letzte indische Premier gewesen, der Pakistan besucht hatte.

Nachdem die Medien in Indien und Pakistan den vermeintlichen Überraschungscoup verdaut hatten, zeigte sich, dass er mitnichten so spontan zustande gekommen war, wie Modi den Eindruck zu erwecken versucht hatte. Vielmehr war die Annäherung schon länger wieder im Gange. Sharif hat seit Oktober 2015 mit Ex-General Naseer Khan Janjua einen neuen Sicherheitsberater. Anders als mit dessen zivilem Vorgänger ist damit der mächtige Militärchef General Raheel Sharif direkt über die Schritte seines namensgleichen, aber nicht mit ihm verwandten Premiers gegenüber Indien informiert und scheint diese soweit zu billigen.

Schlüsselrolle des pakistanischen Militärs

In Pakistan leitet das Militär aus der Existenz des zum Erzfeind erklärten Indien einen Großteil seiner dominanten Stellung und seiner Privilegien ab und reklamiert deshalb auch in der Indien-Politik für sich das letzte Wort. Schon mehrfach torpedierte es eine Annäherung der Regierungen durch Scharmützel an der Grenze der umstrittenen Region Kaschmir oder mit Hilfe von Pakistan aus operierender islamistischer Terrorgruppen. Es ist unklar, wie weit Pakistans Militär zu gehen bereit ist. An grundlegender Entspannung kann es aber eigentlich nicht interessiert sein, weil dies die eigene Rolle in Frage stellen würde.

Doch immerhin sind nun offenbar relevante Kreise in Indien und Pakistan gewillt, weiter zu gehen als bei der ersten Begegnung Modis und Sharifs als Premierminister 2014. Frisch gewählt und mit einem starken Mandat ausgestattet hatte Modi, der als Hindunationalist stets eine scharfe Rhetorik gegenüber Pakistan gepflegt hatte, im Mai 2014 Sharif überraschend zur Amtseinführung nach Delhi eingeladen. Das hatte es bis dahin noch nicht gegeben.

Als Unternehmer weiß Sharif um das Potenzial von Indiens Markt für Pakistans Wirtschaft und will deshalb mittels Annäherung die wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimat fördern. Daher hatte er einen Ausbau der bilateralen Handelsbeziehungen zu seinem Programm erklärt. Das Militär ließ ihn zwar zu Modis Amtseinführung reisen und mit ihm nette Worte wechseln. Doch für ein geplantes Wirtschaftsabkommen gab es kein grünes Licht.

Doch auch Modi blieb nach dem spektakulären Treffen nicht am Ball. Vielmehr fiel seine neue Regierung in altbekannte indische Muster zurück. Delhi bestand vor Gesprächen darauf, dass Islamabad dem Terrorismus abschwört. Pakistan seinerseits bestand darauf, dass das umstrittene Thema Kaschmir Priorität erhält. Beide Seiten wussten, was sie sagen müssen, wenn sie ernsthafte Gespräche verhindern wollen.

Modis Regierung sagte dann zwei Termine mit Vertretern Pakistans ab, einmal wegen Schießereien an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir und das andere Mal, weil Pakistans Botschafter sich vor den geplanten Gesprächen mit kaschmirischen Separatisten getroffen hatte.

 

Weder Plan noch Priorität erkennbar

Es wurde offensichtlich, dass der von seinem persönlichen Stil überzeugte Modi zwar zunächst unerwartet mutig begonnen, aber ansonsten weder einen Plan hatte noch einer Verbesserung der Beziehungen wirklich Priorität einräumen wollte.

Auch macht das Teetrinken mit Sharif per se, trotz der positiven Schlagzeilen, noch keine neue Pakistan-Politik. Doch schon in den letzten Wochen hatten sich die Vertreter Indiens und Pakistans zusammengerauft. Sharif und Modi hatten sich beim Klimagipfel in Paris kurz ausgetauscht, dann trafen sich ihre Sicherheitsberater in Bangkok, und danach hatten die Außenminister die Wiederaufnahme der seit den Terroranschlägen von Mumbai 2008 unterbrochenen Gespräche verabredet. Hinzu kamen nun noch auch die Dienste des indischen Stahlmagnaten Sajjan Jindal, der den Draht zu Sharif hielt, dessen Familie ebenfalls im Stahlgeschäft ist. 

Deshalb kann es helfen, wenn Modi und Sharif einer Annäherung erneut von oben prominent sichtbar ihren Segen geben. Modis hemdsärmeliger Stil kann Schwung in die Diplomatie bringen. Doch eine neue Politik oder gar Strategie ist dahinter bisher nicht zu erkennen.

Zu Recht verweisen Kritiker darauf, dass Modis jüngste Initiative sicher auch der Innenpolitik geschuldet ist. Denn seine Beliebtheit hat mangels bisher vorzeigbarer Ergebnisse gelitten, wie auch die Wahlniederlage der BJP in Bihar gezeigt hat. Seiner BJP wird zudem eine Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas auf Kosten religiöser Minderheiten vorgeworfen und ihm persönlich, dem nicht entgegenzutreten.

Zwar sind manche praktische Erleichterungen im Verhältnis der beiden Atommächte ohne großen Aufwand denkbar. Doch nach mehr als 67 Jahren gepflegter Feindschaft ist kaum mit schnellen Durchbrüchen zu rechnen.

Eine Gefahr von Modis effekthascherischer Politik ist, einfache und schnelle Lösungen für jahrzehntealte Probleme vorzugaukeln, deren Bearbeitung in Wirklichkeit dem Bohren extrem dicker Bretter entspricht. Überzogene Erwartungen können schnell in Enttäuschung umschlagen. Weil dies auch auf Modi zurückfallen kann, wird er schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit mehr machen müssen als mit Pakistans Premierminister symbolisch Tee zu trinken.

 

Terrorangriff testet Annäherungsprozess

Ein erster großer Test ist der Terrorangriff vom 2. und 3. Januar 2016 auf die grenznahe indische Luftwaffenbasis Pathankot im Punjab. Hinter dem Angriff eine Woche nach dem Treffen von Modi und Sharif in Lahore werden von Pakistan aus operierende militante Gruppen vermutet. Der Angriff mit mindestens elf Toten folgt einem bekannten Muster. Denn schon öfter haben solche Gruppen einen beginnenden Annäherungsprozess mit Terrorangriffen zu vereiteln gewusst. Als Oppositionspolitiker hatte Modi stets verlangt, dass parallel zu Terrorangriffen keine Gespräche mit Pakistan geführt werden dürften. Umso erstaunlicher war seine Reaktion auf die jüngsten Angriffe. Denn als Urheber beschuldigter er nicht wie früher automatisch Pakistan, sondern sprach nur von „Feinden der Menschlichkeit, die nicht wollen, dass es in Indien Fortschritt gibt“. Auch die Regierung in Islamabad beeilte sich, den Angriff deutlich und als Terrorismus zu verurteilen und zugleich den Wunsch nach Beibehaltung des Gesprächstermins mit Indien auszudrücken.

Offenbar ist das Interesse auf beiden Seiten daran so groß, dass sie sich zumindest erst einmal nicht wieder zu Geiseln militanter Gruppen machen wollen. Auf indischer Seite dürfte dazu auch beigetragen haben, dass Modi mit dem Besuch bei Sharif sein persönliches Prestige eingebracht hatte. Da er mit einem erneuten Terrorangriff hätte rechnen können, würde eine schnelle Absage des gerade wieder begonnenen Annäherungsprozesses ihn als unüberlegten Politiker aussehen lassen.