Die seit dem 27. Februar 2016 geltende offizielle Waffenruhe in Syrien scheint weitgehend zu halten. Sie galt nicht für den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS), und so wurde vor ein paar Tagen die antike Ruinenstadt Palmyra von der syrischen Armee und ihren Verbündeten zurückerobert. Was bedeutet das für die weiteren Friedensaussichten?

Palmyra besitzt großen symbolischen Wert, der sich hervorragend politisch nutzen lässt. Als der IS im Mai 2015 Palmyra eroberte und jahrtausendealte Kulturgüter zerstörte, ging ein Schrei des Entsetzens durch die Weltöffentlichkeit. Daher erlaubt die Rückeroberung Palmyras dem Regime von Baschar al-Assad, sich als Retter einer bedeutenden Weltkulturerbestätte darzustellen und damit internationales Wohlwollen auf sich zu ziehen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon begrüßte letzte Woche die Rückeroberung Palmyras durch das syrische Militär, welches sowohl von der russischen Luftwaffe als auch von der libanesischen Hisbollah-Miliz unterstützt wurde. Assad erklärte, dass militärische Erfolge wie der in Palmyra dazu beitragen, das Zustandekommen einer politischen Lösung zu beschleunigen. Damit drückt er aus, was viele Beobachter befürchten: Dass die Rückeroberungsoffensive Teil einer Strategie des Assad-Regimes und Russlands ist, welche darauf abzielt, dem Assad-Regime auf internationaler Ebene wieder zu mehr Glaubwürdigkeit zu verhelfen und seinen Stand bei den Verhandlungen zu verbessern. Die Vertreibung des IS aus Palmyra ermöglicht Assad, sich als verlässlichen Partner im Kampf gegen den IS zu gerieren. Mit derart neuem Selbstbewusstsein ausgestattet, steht es nicht gut um die Friedensverhandlungen. Assad wird keine Zugeständnisse machen, wo er gerade einen Sieg errungen hat, der an Symbolkraft kaum zu überbieten ist.

Die PYD, der syrische Ableger der kurdischen PKK, hat die Bildung eines Föderalstaats innerhalb von sechs Monaten in den kurdisch dominierten Gebieten Nordsyriens angekündigt. Was bedeutet diese Ankündigung für den Aufbau und die territoriale Integrität eines zukünftigen Syriens?

Die Ankündigung hat zu heftigen Reaktionen sowohl seitens des Assad-Regimes als auch seitens der Opposition geführt. Beide Seiten kritisierten diesen Schritt mit äußerster Schärfe. Vor dem Hintergrund, dass die Region aufgrund ihrer beachtlichen Ölreserven wirtschaftlich sehr bedeutsam ist besteht die Sorge, dass die syrischen Kurden langfristig einen eigenen Staat anstreben. Beobachter werten die Ankündigung der PYD als einen Versuch, sich einen Platz bei den Verhandlungen in Genf zu sichern. Unabhängig davon, was sich die PYD kurz- und mittelfristig von dieser Ankündigung verspricht, so zeigt sie jedoch, dass das Thema Föderalismus über kurz oder lang in einem syrischen Übergangsprozess und vor dem Hintergrund der fortschreitenden Fragmentierung Syriens höchstwahrscheinlich eine Rolle spielen wird. Sie zeigt auch, dass es an der Zeit ist, eine substanzielle Diskussion über das Konzept des Föderalstaats zu führen und seine Vor- und Nachteile für den syrischen Kontext zu beleuchten – jenseits von emotionalen Debatten und gegenseitigen Schuldzuweisungen.

 

Es ist an der Zeit, eine substanzielle Diskussion über das Konzept des Föderalstaats zu führen.

Wie sieht die Situation derzeit für die Zivilbevölkerung in Syrien aus? Gibt es Zugang für humanitäre Hilfe?

Am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz wurde eine Task Force gegründet, die seitdem am humanitären Zugang zu belagerten Gebieten arbeitet. Mit dem Beginn der Waffenruhe konnte zwar die Versorgung von Menschen in belagerten Gebieten erhöht werden, erreicht aber nach wie vor nur einen Bruchteil der auf Hilfe angewiesenen Bevölkerung. Der humanitäre Zugang ist also nach wie vor problematisch, und das Regime behindert weiterhin die Versorgung der Zivilbevölkerung mit lebenswichtigen Gütern. Dadurch sterben Menschen weiterhin an Mangelernährung.

Die am 10. März 2016 wiederaufgenommenen innersyrischen Gespräche für eine Friedenslösung in Genf endeten vor ein paar Tagen. Sie sollen am 10. April fortgeführt werden. Wie ist der derzeitige Stand der Gespräche? Wer nimmt teil und über was müsste verhandelt werden?

An den Gesprächen unter Ägide des UN-Sonderbeauftragten für Syrien Staffan de Mistura nehmen auf der einen Seite eine Delegation des Regimes, angeführt vom syrischen UN-Botschafter Baschar al-Jaafari, und auf der Oppositionsseite eine 15-köpfige Delegation des „Obersten Verhandlungskomitees“ teil. Dieses Komitee wurde im Dezember 2015 während einer Konferenz in Riad gebildet, mit dem Mandat, eine Verhandlungsdelegation zu wählen und Verhandlungen vorzubereiten. Dem Komitee und dessen Delegation gehören Vertreter der wichtigsten syrischen Oppositionsgruppen – inländische wie ausländische –an sowie verschiedene Vertreter von Rebellengruppen. Nicht einbezogen ist die PYD, da sie von der Opposition als zu regimenah eingestuft wird.

Es ist ein Fehler, wenn humanitärer Schutz zu einem Bestandteil der Verhandlungsmasse wird.

Die Positionen der beiden Verhandlungsparteien sind weiterhin sehr weit auseinander: Während die Opposition darauf besteht, dass Assad zu Beginn eines Übergangsprozesses die Macht abgeben muss, ist die Regime-Delegation weiterhin nicht bereit, die Rolle Assads zu diskutieren. Diese Positionen finden auf internationaler Ebene ihr Spiegelbild in den USA und in Russland.

In den anstehenden Verhandlungen muss es also um substanzielle Punkte gehen, vor allem um einen konkreten Plan für die Machtübergabe. Themen, wie die Einhaltung der Waffenruhe sowie humanitäre Hilfe, dürfen nicht Teil der Gespräche sein. Völkerrechtlich ist Assad zum Schutz von Zivilisten verpflichtet, und es ist ein Fehler, wenn humanitärer Schutz zu einem Bestandteil der Verhandlungsmasse wird, und Assad somit an anderen Stellen nicht von seinen Interessen abzurücken braucht.

 

Die Fragen stellte Anja Papenfuß.