Im letzten Jahrzehnt waren es überwiegend sozioökonomische Erfolge, die für – sonst eher seltene – positive Schlagzeilen über Lateinamerika in der internationalen Presse sorgten. Im Rückenwind des Commodity Booms konnten die meisten Regierungen der Region mit der weltweit größten sozialen Ungleichheit dank hoher Wachstumsraten und einer gezielten Sozialpolitik die Armut und die Einkommensunterschiede stark reduzieren. Es war die Umkehrung der traumatischen Erfahrung des Wirtschaftswachstums mit zunehmender sozialer Ungleichheit, welche die 1990er Jahre des Washington Consensus geprägt hatte.
Seit dem Millenniumswechsel brachte das Versprechen der sozialen Inklusion zahlreiche – dem eigenen Selbstverständnis nach – linke, progressive, sozialdemokratische oder sozialistische Kandidaten und Kandidatinnen nach und nach an die Macht. Und die Einlösung dieses Versprechens hat ihnen bis heute – vor allem in Südamerika – sukzessive Wahlerfolge beschert. Das „Primat der Politik“ schien nicht nur über die Wirtschaft, sondern auch an den Urnen zu triumphieren. Bei fallenden Rohstoffpreisen stellt sich heute jedoch – neben ökologischen Bedenken gegen ein auf Rohstoffabbau basierendes Entwicklungsmodell – nun die Nachhaltigkeitsfrage: Inwiefern basiert die herbeigeführte soziale Inklusion auf strukturellen Reformen etwa des Steuer- und Bildungssystems, so dass sie sich im Zeitverlauf tragen kann und soziale Mobilität zwischen den Generationen ermöglicht? Eine gewisse, je nach Land mehr oder weniger große Skepsis scheint an dieser Stelle berechtigt.
Gewalt und Straflosigkeit
Neben der sozialen Frage sehen sich die Länder Lateinamerikas nach wie vor bzw. zunehmend mit großen rechtsstaatlichen Problemen konfrontiert. Der Regionale Bericht über Menschliche Entwicklung 2013-14 (RHDR), der Bürgersicherheit zum Schwerpunktthema hat, sowie der Weltbericht des Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung 2013 (UNODC), beides Papiere der UN, verdeutlichen die kritische Lage: Trotz Verringerung der Armut und der sozialen Ungleichheit seien Gewalt und Straflosigkeit in Lateinamerika stark verbreitet. Diese Phänomene führten zu einer Privatisierung der Sicherheit, welche die sozialen Unterschiede wiederum bestärke. Über 100 000 Morde pro Jahr werden auf dem Subkontinent registriert. Das entspricht 23,4 Morden pro 100 000 Menschen.
Ein erschreckendes Niveau erreicht auch die Straflosigkeit: Lediglich in 24 von 100 Fällen kommt es in Lateinamerika zu einem Urteil.
Hinter diesem – im regionalen Vergleich höchsten – Durchschnittswert verbergen sich aber nationale Unterschiede: Während einige Länder wie Chile und Argentinien moderatere Mordraten (3,1 und 5,5) aufweisen, stellen Teile Zentralamerikas (Honduras: 90,4; El Salvador: 41,2) sowie Südamerikas (Venezuela: 53,7; Kolumbien: 30,8) extreme Fälle dar (zum Vergleich, USA: 4,7; Deutschland: 0,8). Ein erschreckendes Niveau erreicht auch die Straflosigkeit: Lediglich in 24 von 100 Fällen kommt es in Lateinamerika zu einem Urteil (Asien: 48 Prozent; Europa: 81 Prozent), was das nicht selten zu vernehmende politische Argument der „harten Hand“ für eine „spürbare Verschärfung“ der Strafen zur Bekämpfung der Kriminalität sofort entkräftet. Zwar ist Lateinamerika eine von zwischenstaatlichen kriegerischen Auseinandersetzungen sowie von Atomwaffen freie Region. Die starke Ausprägung und der strukturelle Charakter der kriminellen Gewalt und Straflosigkeit beeinträchtigen aber den sozialen Frieden.
Exklusionszonen und staatliche Verantwortung
Doch es wäre naiv hieraus abzuleiten, die Gefahr für Leib und Leben existiere vorwiegend in gewissen Stadtteilen. Gefährlich ist die Situation bisweilen über einzelne Viertel hinaus in ganzen Gemeinden, die sich unter der Kontrolle bzw. dem entscheidenden Einfluss von Drogenmafias oder paramilitärischen Gruppen befinden; gefährlich sind Justizvollzugsanstalten, in denen unmenschliche Bedingungen herrschen und Menschenrechtsverletzungen keine Einzelfälle sind – um nur einige Beispiele zu nennen. Die Bürgerinnen und Bürger leben an diesen Orten in einer Art rechtsstaatlicher Exklusion. Die Inklusionsaufgabe besteht darin, das Gewaltmonopol des Staates in diesen „rechtsstaatlich porösen Zonen“ wiederherzustellen. Wie schwer diese Aufgabe zu lösen ist, zeigt die Massenentführung und -ermordung der 43 Studierenden vom September 2014 im mexikanischen Iguala auf dramatischste Weise: In vielen Fällen werden Politik und Sicherheitsapparat zu Mittätern, sind in kriminelle Aktivitäten involviert, und die Judikative erliegt den Verlockungen oder dem Druck der politischen und ökonomischen Macht.
Die Vereinnahmung des Staates
In den meisten lateinamerikanischen Staaten gelten die Gleichheit vor dem Gesetz und die politische Gleichheit – wenn auch zu einem unterschiedlichen Grad – nur eingeschränkt. Es besteht eine große Kluft zwischen dem rechtstaatlichen und demokratischen Ideal des Schutzes bürgerlicher und politischer Rechte für alle einerseits und seiner tatsächlichen Verwirklichung andererseits. Besonders verwundbar sind dabei soziale Gruppen mit beschränktem Zugang zu Bildung, sozialer Anerkennung, ökonomischen Ressourcen und politischem Einfluss. Korruption und Nepotismus kontaminieren den Staatsapparat; sie unterminieren die Funktionslogik und -fähigkeit der Bürokratie. Klientelismus prägt die Politik; polizeilicher Schutz wird nicht selten zur Handelsware. Dabei handelt es sich weniger um die Fragilität als um die Vereinnahmung des Staates (state capture) durch partikularistische Interessen externer wie interner Akteure bzw. um die strukturelle Verschränkung öffentlicher und privater Sphären.
Autonomie und Mehrheitswillen
In der vergangenen Dekade haben viele lateinamerikanische Regierungen durch die Bekämpfung der Armut und der Einkommensunterschiede die soziale Inklusion stark vorangetrieben. Auch wurden – teilweise als Produkt einer Identitätspolitik – neue Rechte der ersten, zweiten und dritten Generation in neue bzw. reformierte Verfassungen sowie modernisierte Gesetzbücher eingeführt. Substantielle Fortschritte bei der faktischen Geltung der bürgerlichen und politischen Rechte blieben hingegen aus. Es fehlt an einer gezielten Politik, die analog zur sozialen Inklusionsstrategie darauf ausgerichtet ist, die bürgerrechtliche und politische Ungleichheit zu reduzieren. Gemeint sind damit nicht nur Defizite beim Pluralismus und der Gewaltenteilung etwa in Ecuador oder Venezuela, sondern auch beim Zugang zur Justiz und dem Schutz vor staatlicher Willkür in Ländern wie Argentinien, Brasilien oder Mexiko.
Es besteht eine große Kluft zwischen dem rechtstaatlichen und demokratischen Ideal des Schutzes bürgerlicher und politischer Rechte für alle einerseits und seiner tatsächlichen Verwirklichung andererseits.
Zweifelsohne gibt es keinen vollkommenen Rechtsstaat und keine intakte Demokratie auf Erden. Vor dem Hintergrund der autoritären Erfahrung mit den Militärdiktaturen und der langen Geschichte struktureller sozialer Ungerechtigkeit in Lateinamerika können auch – bei allen Defiziten – die Existenz gewählter Regierungen und deren sozialpolitische Leistungen des letzten Jahrzehnts nicht hoch genug geschätzt werden. Regelmäßige Wahlen und materielle Erträge können jedoch die gewaltigen Löcher des Rechtsstaates in der Region nicht stopfen; sie dürfen nicht als Rechtfertigung bzw. Kompensation für mangelnde Freiheit und politische Gleichheit fungieren. Diese können nur in dem Maße gestärkt werden, indem weitestgehend verhindert wird, dass ökonomische und soziale Privilegien sich in politische und legale Vorteile übersetzen lassen und umgekehrt. Voraussetzung hierfür ist die möglichst hohe Differenzierung der jeweiligen sozialen Systeme in der Gesellschaft – vor allem die Autonomie des politischen Systems, des Staates und seiner Institutionen bei gleichzeitiger gegenseitiger Kontrolle. Wie geht das? So einfach und so schwierig wie bei jedem demokratischen Wandel: Eine breite Bevölkerungsmehrheit muss die notwendigen Reformen hierfür fordern; eine große, überparteiliche, politische Koalition muss bereit sein, diese durch- und umzusetzen.
1 Leserbriefe
Frau Claudia Zilla
Friedrich-Ebert-Stiftung e.V.
Godesberger Allee 149
D-53175 Bonn
Sehr geehrte Frau Zilla,
Bezug nehmend auf Ihren Newsletter-Beitrag vom 8. April dieses Jahres mit dem Titel "Lateinamerikas Löcher im Rechtsstaat - Die politische und bürgerrechtliche Ungleichheit muss aufhören" korrigiere ich im Folgenden einige in Ihrem Beitrag offensichtlich oberflächlich getroffene Aussagen.
So schreiben Sie im genannten Newsletter-Beitrag, welcher als Kommentar des IPG-Journals ("Internationale Politik und Gesellschaft") veröffentlicht ist, dass es "Defizite" gebe beim "Pluralismus und der Gewaltenteilung etwa in Ecuador oder Venezuela". Dieser unbegründeten Behauptung mangelt es an einer Einordnung, welche die Proportionen der Entwicklung in Ecuador berücksichtigt. Auch fehlt eine Kontextualisierung: Der Zusammenhang der grundlegenden Demokratisierung und Stärkung des Rechtsstaats, in welchem sich die ecuadorianische Gesellschaft und der Staat Ecuadors insgesamt, auch hinsichtlich der Gewaltenteilung, befinden, ist nicht erwähnt.
Ecuador hat seit der Verfassung von 2008 nicht mehr nur die traditionellen, auf Montesquieu zurückgehenden, drei Gewalten, sondern besitzt heute fünf Staatsgewalten.
Neben Legislative, Exekutive und Judikative gibt es in Ecuador heute auch
- die Staatsgewalt zur Durchführung der Wahlen, die sich zusammensetzt aus dem Nationalen Wahlrat (Consejo Nacional Electoral) sowie dem Wahlprüfungsgericht (Tribunal Contencioso Electoral),
- und die Staatsgewalt für Transparenz und gesellschaftliche Kontrolle, welche ausgeübt wird durch den Rat für Staatsbürgerteilhabe und gesellschaftliche Kontrolle (Consejo de Participación Ciudadana y Control Social), das Amt der Bürgerbeauftragten (Defensoría del Pueblo), den Rechnungshof (Contraloría General del Estado) sowie durch die Aufsichtsbehörden wie beispielsweise die Marktaufsichtsbehörde (Superintendencia de Control del Poder de Mercado), all diese Behörden genießen administrative sowie finanzielle und organisationelle Autonomie gegenüber der Exekutive (vgl. Art. 204 der Verfassung Ecuadors).
Die Arbeit der Staatsgewalt für Transparenz und gesellschaftliche Kontrolle spiegelt den Verfassungsauftrag des Artikel 204 der Verfassung Ecuadors wider: "[...] die Kontrolle der öffentlichen Entitäten und Ämter fördern [...] und die Korruption vermeiden und bekämpfen". Somit befreit diese innovative Staatsgewalt die Gesellschaft schrittweise von Korruption, eine Voraussetzung für einen funktionierenden Rechtsstaat. Diese neue Form der Konsolidierung des ecuadorianischen Rechtsstaats ist in Ihrem Beitrag nicht berücksichtigt.
Das wichtigste Organ der Staatsgewalt für Transparenz und gesellschaftliche Kontrolle ist der oben genannte Rat für Staatsbürgerteilhabe und gesellschaftliche Kontrolle, deren sieben Mitglieder sowie sieben Stellvertreter aus Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen über eine öffentliche Ausschreibung für die Dauer von fünf Jahren bestimmt werden (vgl. Art. 207 der Verfassung von Ecuador). Dieser Rat erhöht die Rechenschaftspflicht in öffentlichen Einrichtungen und verbessert die Mitwirkungsmöglichkeiten der Staatsbürger bei der öffentlichen Verwaltung.
Zudem wird gegenwärtig bei der Neuwahl von Mitgliedern des Rats für Staatsbürgerteilhabe und gesellschaftliche Kontrolle gemäß geltendem Recht neben der staatsbürgerlichen Aufsicht auch eine internationale Aufsichtskommission, dem u.a. die multilaterale Organisation Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) angehören wird, eingerichtet. So wird diese Form der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit Ecuadors auch mit internationaler Unterstützung und Kontrolle vorangetrieben. Der Nationale Wahlrat (CNE) stellt gemäß der Verfassung und den Gesetzen Ecuadors die intensive Bewerbung der Ausschreibung sowie die transparente Durchführung der entsprechenden Schritte bei der Bestimmung der Mitglieder verschiedener solcher Aufsichtseinrichtungen sicher.
Die Judikative ist ebenfalls nach modernen rechtsstaatlichen Kriterien wie Transparenz und Effizienz seit 2011 von Grund auf reorganisiert und qualitativ wie quantitativ (neue Verwaltungsgebäude mit neuer Technologie etc.) deutlich verbessert worden. Die Auswahl der Richter ist heute ebenfalls ein transparenter Auswahlprozess. Denn infolge eines erfolgreichen Referendums begleitete eine mit Experten besetzte internationale Aufsichtsinstitution - mit dem weltweit renommierten spanischen Juristen Baltazar Garzón als Leiter dieser Institution - ab Oktober 2011 den Prozess der umfassenden Modernisierung des gesamten ecuadorianischen Justizsystems. Jeder Staatsbürger kann beispielsweise gegenüber jedem kandidierenden Richter bzw. jeder kandidierenden Richterin, die er nachweislich für ungeeignet bzw. korrupt hält, Einspruch erheben: Gemäß Art. 31 des Gesetzes über den Rat für Staatsbürgerteilhabe und gesellschaftliche Kontrolle, welches am 9.09.2009 in Kraft trat, kann innerhalb von 10 Tagen nach der Bekanntmachung der Ergebnisse der Kandidatenevaluation jegliche Person oder Organisation die ausgewählten Kandidaten für Richterämter beanstanden und mittels begründeten schriftlichen Einspruchs gegenüber dem Nationalen Wahlrat deren Ernennung als Richter anfechten. Innerhalb von sechs Tagen führt der Nationale Wahlrat dann öffentliche Anhörungen durch.
Der alle zwei Jahre vom sog. Projekt zur Öffentlichen Meinung Lateinamerikas (Proyecto de Opinión Pública de América Latina) erstellte Bericht ergibt dieses Jahr, dass das ecuadorianische Justizsystem mittlerweile zu den sechs besten ganz Amerikas gehört.
Der Rat für Staatsbürgerteilhabe und gesellschaftliche Kontrolle gewährleistet die Durchführung der staatsbürgerlichen Kontrollinstrumente (vgl. Art. 5-18 des Gesetzes zur Staatsbürgerteilhabe vom 20. April 2010) sowie die Durchführung von Programmen der politischen Bildung, u.a. über die Medien (vgl. Art. 39 bis 43 des selben Gesetzes), sodass die Menschen tatsächlich befähigt werden, ihre vielfältigen Teilhaberechte durch aktive Kenntnisnahme und begleitende Information konkret wahrnehmen zu können. Dies ist eine wesentliche Neuerung auf dem Weg zu einem volksnahen demokratischen Rechtsstaat.
Weiter schreiben Sie: "Im Rückenwind des Commodity Booms konnten die meisten Regierungen der Region mit der weltweit größten sozialen Ungleichheit dank hoher Wachstumsraten und einer gezielten Sozialpolitik die Armut und die Einkommensunterschiede stark reduzieren." Doch die auf Modernisierung und Korruptionsbekämpfung ausgerichtete Politik der Regierung Ecuadors ermöglichte bereits eine beträchtliche Verringerung der Abhängigkeit vom Rohöl: Ecuadors Staatseinnahmen (d.h. Staatshaushalt außer Kreditanteil desselben) setzen sich zurzeit zu 65% aus Steuereinnahmen zusammen, sodass die Republik Ecuador deutlich vom traditionellen extraktivistischen Entwicklungspfad sich entfernt. Nur noch etwa 23% der Staatseinnahmen kommen aus der Erdölausfuhr. Die Steuererhebung stieg bereits während der ersten Jahre der Regierungszeit des Präsidenten Rafael Correa (2007-2011) um 74% aufgrund gestiegener Besteuerung der reichsten Bevölkerungsschichten des Landes und hat sich heute im Vergleich zum Jahr 2007 verdreifacht. Im Jahr 2007 waren 144 Unternehmensgruppen unter den größten Steuerquellen des Landes, jetzt sind es bereits 270 Konzerngesellschaften.
Das Nationale Institut für Statistik und Volkszählung (INEC), welche dem Nationalsekretariat für Planifikation und Entwicklung Ecuadors (Senplades) angehört, stellte am 13. April 2015 neue Zahlen vor: Zwischen 2006 und 2014 sind 1,3 Millionen Personen aus der Armut herausgekommen und die extreme Armut konnte im gleichen Zeitraum um 55% reduziert werden, das heißt, dass etwa 900.000 Personen aus der extremen Armut herausgekommen sind. Der Zeitraum 2006 bis 2014 ist der erste seit Beginn dieser statistischen Erfassung, in welchem die soziale Ungleichheit sich verringerte: In urbanen Räumen fiel der Gini-Koeffizient im selben Zeitraum von 0,43 auf 0,39 und in ländlichen Gebieten fiel er von 0,397 auf 0,353 Punkte.
Der Nationalsekretär für Planung und Entwicklung der ecuadorianischen Regierung, Herr Pabel Muñoz, hob hervor, dass die Armut insgesamt um 12,5 Punkte reduziert werden konnte in den letzten acht Jahren der radikaldemokratischen Bürgerrevolution (Revolución Ciudadana), wobei davon 5,4 Punkte durch das Wirtschaftswachstum zu erklären sind und 7,1 Punkte aus der erfolgreichen sozialen Umverteilungspolitik der Regierung des Präsidenten Rafael Correa Delgado resultieren.
Die öffentlichen Ausgaben für Hochschulbildung betragen beispielsweise heute 2,2% des ecuadorianischen BIP. Dies liegt weit über dem Durchschnitt der OECD-Länder (1,7%), das heißt über dem Durchschnitt der Industrienationen! Hierbei befindet sich Ecuador derzeit hinter Dänemark weltweit an der Spitze. Diese Investitionen kann Ecuador gegenwärtig durchführen in Folge des Ausslandsschuldenaudits (2008) und dank der Neuaushandlung der Erdölverträge (2011) zu Gunsten des Staats und des Volks von Ecuador. Seit Amtsantritt Correas ist die Zahl der Studierenden signifikant gestiegen und der Anteil von Indigenen und Afroecuadorianern hat sich deutlich erhöht. In keinem Land Lateinamerikas Amerikas (außer Kuba) ist die soziale Herkunft ein so geringes Hindernis für Schul- und Hochschulzugang wie in Ecuador. Der gesellschaftliche Stellenwert des Lehrerberufs wurde zudem durch vielfältige Maßnahmen (unter anderem bessere Ausbildung, Evaluationen, höhere Vergütung) deutlich angehoben.
Die Eigentumsverhältnisse veränderten sich ebenso wie die staatliche Kontrolle über die Gewinne: nunmehr im Sinne des Gemeinwohls. Die wirtschaftlichen Beziehungen demokratisieren sich zunehmend (Stichwort populare und solidarische Ökonomie) und eine größere Aktivität der Binnenwirtschaft ist erreicht worden. Exporte nichtextraktiver Industrien werden wiederum im Rahmen dieser kohärenten, fortschrittlichen Wirtschaftspolitik ausgeweitet.
Der fortschrittliche Verfassungsprozess in Ecuador ist international gewürdigt: Laut
Anibal Quijano, Direktor des Zentrums für Soziale Forschungen in Lima, wählten die Ecuadorianer eine „historische Option“ zur Veränderung der Gesellschaft. Der verfassungsgebende Prozess Ecuadors von 2008 wird weit über Südamerika hinaus als Vorbild für eine staatliche Neugründung angesehen, wobei der Staat gleichsam von unten über direktdemokratische Mechanismen neu geschaffen wird. Hierdurch werden die "Löcher im Rechtsstaat", die Sie im Titel Ihres Artikels benennen, mittels wegweisender Institutionen der Staatsbürgerkontrolle schrittweise überwunden. Dieser Prozess ist jedoch weder abgeschlossen noch widerspruchsfrei: Die Auseinandersetzung mit den alten Machteliten kann nicht von heute auf morgen gelöst werden.
Aufgrund der oben genannten nicht kontextualisierten Aussagen Ihres Beitrags vom vom 8. April dieses Jahres fordere ich dringend eine Überarbeitung Ihrer Veröffentlichung im Rahmen des genannten Newsletters bzw. den Abdruck dieser Gegendarstellung in dessen nächster Nummer.
Hochachtungsvoll
Jorge Jurado
Botschafter der Republik Ecuador in der Bundesrepublik Deutschland
CC:
Referat Internationale Politikanalyse
der Friedrich-Ebert-Stiftung
Herausgeber des Newsletters der Online Zeitschrift ipg-journal
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Dr. Ernst Hillebrand
Projektverantwortlicher
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