Nachdem Russland im März 2014 der Ukraine die Krim abgenommen hatte, setzte die Regierung Obama ein mittlerweile beliebtes außenpolitisches Werkzeug ein: gezielte Sanktionen. Die Vereinigten Staaten froren Vermögen ein und verhängten Einreiseverbote, Maßnahmen, die mehr als hundert Personen betrafen, überwiegend Kumpane des russischen Präsidenten Wladimir Putin; die EU erweiterte diese Zahl um fast hundert weitere Personen. Es geht um hohe Beträge: In den Monaten nach Beginn der Sanktionen wurden in den USA 572 Millionen Dollar der Bank Rossija eingefroren, deren wichtigster Kunde der Kreml ist. Als dann im Juli 2014, mutmaßlich mit russischer Unterstützung, der Malaysia-Airlines-Flug 17 über der Ostukraine abgeschossen wurde, verhängte Washington weitere Sanktionen gegen Schlüsselbereiche der russischen Wirtschaft, unter anderem Waffenhersteller, Banken und staatliche Unternehmen. Damit der Kreml dort getroffen wird, wo es weh tut, blockieren die Maßnahmen den Finanz- und Technologietransfer zu russischen Öl- und Gaskonzernen, die über die Hälfte der Staatseinnahmen erzielen.

Angesichts des schlechten Zustands, in dem sich die russische Wirtschaft befindet, mag es so aussehen, als entfalteten die Sanktionen Wirkung. Der Wert des Rubels ist seit Verhängung der Restriktionen gegenüber dem Dollar um 76 Prozent gefallen, und die Inflation für Verbrauchsgüter erreichte im Jahr 2015 16 Prozent. Ebenfalls 2015 sank nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds das russische Bruttoinlandsprodukt um mehr als 3 Prozent.

In Wahrheit aber hatten die politischen Entscheidungsträger im Westen einfach nur Glück: Die Sanktionen fielen mit dem weltweiten Einbruch des Ölpreises zusammen, verursachten also die Konjunkturkrise in Russland nicht, sondern verschlimmerten sie nur. Der Wechselkurs des Rubels geht stärker mit der Ölpreisentwicklung parallel als mit der Verhängung neuer Sanktionen, und die russische Regierung ergriff ähnliche Maßnahmen wie schon in der Finanzkrise 2008, als der Ölpreis ebenfalls sank; unter anderem kürzte sie die Staatsausgaben. Die Sanktionen blockierten den Zugang zu westlichen Geldern und zwangen die russischen Banken, den Staat um Hilfe zu bitten. In der Folge schrumpften die russischen Devisenreserven, und der Kreml sah sich zu unorthodoxen finanzpolitischen Manövern genötigt. Doch die russische Regierung überstand die Krise, indem sie schwächelnden Banken Notkapital zur Verfügung stellte, um einen freien Fluss des Rubels zu gewährleisten, und gezielte Einschnitte in den Staatshaushalt vornahm, während sie gleichzeitig mit erhöhten Ausgaben für die Renten die Konjunktur ankurbelte. Selbst bei anhaltend niedrigem Ölpreis erwartet der Internationale Währungsfonds für 2016 ein Wachstum der russischen Wirtschaft, wenn auch nur um schwache 1,5 Prozent.

Die Sanktionen fielen mit dem weltweiten Einbruch des Ölpreises zusammen, verursachten also die Konjunkturkrise in Russland nicht, sondern verschlimmerten sie nur.

Auch die russischen Eliten leiden nicht sonderlich unter den Sanktionen. Zwar haben Prada und Tiffany in Moskau sinkende Umsätze zu verzeichnen, der Luxus-Immobilienmarkt schwächelt, und wegen der Einreiseverbote sind Wochenendtrips nach Manhattan nicht mehr drin. Doch als unerträglich sind diese Restriktionen wohl nicht gerade zu bezeichnen.

Bewertet man die Sanktionen nach ihrem wichtigsten Kriterium – ob sie nämlich die russische Außenpolitik verändert haben –, sind sie auf ganzer Linie gescheitert. Seit Verhängung der Sanktionen durch die USA hat Russland in der Ukraine nicht eingelenkt, und es sieht auch nicht danach aus, als werde das in nächster Zeit geschehen. Wenn westliche Spitzenpolitiker die Ukraine-Krise lösen und das Verhalten Russlands sinnvoll beeinflussen wollen, müssen sie ihre gescheiterte Sanktionspolitik aufgeben und anderen Maßnahmen ergreifen, indem sie etwa die Ukraine wirtschaftlich unterstützen, die militärische Modernisierung Russlands blockieren und Europa in seiner Energieversorgung unabhängiger machen.

 

Unbeabsichtigte Folgen

Man mag Russland mit den Sanktionen bestraft haben, doch politischen Zwang hat man damit nicht ausgeübt. Nach Verhängung der ersten Sanktionen wuchs die Aggression des Kremls sogar noch: Russland annektierte offiziell die Krim und verstärkte die finanzielle und militärische Unterstützung pro-russischer Rebellen in der Ostukraine. Es könnte sein, dass die Sanktionen ein noch brutaleres Vorgehen Russlands in der Ukraine verhinderten, aber genauso gut kann es sein, dass Russland dort von jeher nur einen schwelenden Aufstand anzetteln wollte. Jedenfalls haben die Sanktionen Russland nicht dazu gezwungen, sich aus der Krim zurückzuziehen und die Einmischung in der Ostukraine zu beenden.

Die Sanktionen hatten zudem die unbeabsichtigte Wirkung, weite Teile der russischen Wirtschaft und der Bevölkerung zu bestrafen. Dass die Sanktionen inmitten einer Rezession den Zugang zu internationalen Geldmitteln blockierten, verstärkte den Fall des Ölpreises, und Moskau musste die Ausgaben für das Gesundheitswesen, die Infrastruktur und die Beamtengehälter kürzen, was für normale Russen große wirtschaftliche Not nach sich zog.

Die Sanktionen hatten zudem die unbeabsichtigte Wirkung, weite Teile der russischen Wirtschaft und der Bevölkerung zu bestrafen.

Verschärft wurde das Elend durch die Entscheidung der russischen Regierung, ebenfalls Sanktionen zu verhängen und den Import westlicher Nahrungsmittel zu unterbinden. Das trifft osteuropäische Landwirte und Exporteure, verknappt jedoch auch die Lebensmittel in Russland und lässt die Preise steigen. Dazu kam eine unvorhergesehene Kreditklemme für normale Verbraucher. Aus Angst vor rechtlichen Folgen drehten viele US-amerikanische und europäische Banken nicht nur milliardenschweren Bankeignern, sondern auch deren Kunden den Geldhahn zu.

Während die Sanktionen die breite Bevölkerung hart treffen, bewahrt der Kreml seine wichtigsten Unterstützer vor Ungemach. So erhielten beispielsweise Unternehmen der Putin-Freunde Arkadi Rotenberg und Gennadi Timtschenko zwischen März und Dezember 2014 12 Prozent mehr staatliche Aufträge als im gesamten Vorjahr.

Der Kreml konnte zudem die Wirkung der Sanktionen abschwächen, indem er sich China zuwandte. Im Mai 2014 schloss Putin in China ein Gasgeschäft über 400 Milliarden Dollar auf 30 Jahre ab und bewies damit, dass Russland durchaus Alternativen zu den europäischen Gasmärkten hat. Sogar in Europa fanden die Russen Schlupflöcher, mit deren Hilfe sie die Sanktionen umgehen konnten: Um an Technik und Know-how für arktische Bohrprojekte zu gelangen, erwarb die Firma Rosneft 30 Prozent von North Atlantic Drilling, das dem norwegischen Unternehmen Statoil gehört.

Wenn jemand glaubt, dass die Sanktionen irgendwann, vielleicht in ein paar Jahren, doch noch wirken, dann ist das bloßes Wunschdenken. Wissenschaftliche Studien weisen vielmehr nach, dass sich Sanktionen, je länger sie gelten, umso weniger auf die jeweilige Politik auswirken. Wenn, was wahrscheinlich ist, der Ölpreis in den nächsten Jahren wieder steigt, wird im Falle Russlands die Wirkung noch weiter nachlassen.

 

Die negativen Folgen der Containment-Politik

Dank der Sanktionen konnte die Regierung Obama behaupten, dass sie etwas gegen die russische Aggression unternimmt. Aus Sicht des Weißen Hauses mag das eine Begründung für seine Politik sein, doch dann darf es zumindest keine negativen Auswirkungen geben. In Wahrheit jedoch müssen die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten für die Sanktionen wirtschaftlich und politisch einen hohen Preis bezahlen.

Die Hauptlast trägt Europa, wo nach Schätzungen der Europäischen Kommission infolge der Sanktionen das Bruttosozialprodukt im Jahr 2015 um 0,3 Prozent gesunken ist. Dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge könnten anhaltende Sanktionen gegenüber Russland in den nächsten zwei Jahren Exporteinbußen von mehr als 90 Milliarden Euro mit sich bringen und mehr als 2 Millionen Arbeitsplätze kosten. Besonders empfindlich treffen die Sanktionen Länder mit starken Handelsbeziehungen zu Russland. In Deutschland, dem wichtigsten europäischen Partner der Russen, könnten fast 400 000 Arbeitsplätze verloren gehen.

Im politischen Gefüge Russlands wirken die Sanktionen besonders kontraproduktiv, denn sie wirken einigend auf das russische Volk, das seine Not dem Westen ankreidet. Dem russischen Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum zufolge erhöhte sich die Zustimmung für Putin von 63 Prozent bei der Invasion der Krim auf 88 Prozent im Oktober 2015. In einer anderen Umfrage gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, die Sanktionen zielten in erster Linie darauf ab, Russland zu schwächen und zu demütigen. Hier ist natürlich die staatliche Propaganda am Werk, doch die Sanktionen erleichtern es Putin, seine anti-westliche Mär zu verkaufen. So kann er die Verantwortung für sein eigenes wirtschaftliches Missmanagement auf, wie er es nennt, »externe Faktoren« abwälzen.

Eine ungewollte Folge der Sanktionen ist, dass Putin seine Macht weiter konsolidiert, indem er seine engsten Freunde auf Kosten anderer Eliten belohnt. Zudem bewirken die Sanktionen, dass Russland eigene Finanzinstitutionen schafft, die auf lange Sicht den wirtschaftlichen Einfluss der Vereinigten Staaten schmälern werden. Nachdem US-Senatoren und einige europäische Regierungen vorschlugen, die Vereinigten Staaten mögen Russland aus dem Zahlsystem der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) ausschließen, kündigte die Russische Zentralbank an, in Zusammenarbeit mit den anderen BRICS-Staaten – Brasilien, Indien, China und Südafrika – eine Alternative zu entwickeln. Um die Abhängigkeit von Visa und MasterCard zu verringern, hat Russland erste Schritte zur Gründung eines eigenen Clearinghauses für Kreditkarten unternommen. Auch treibt es die Gründung der geplanten BRICS-Entwicklungsbank voran, die Funktionen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds übernehmen soll.

 

Das Scheitern eingestehen

Wenn die Vereinigten Staaten weiterhin behaupten, man brauche noch mehr Zeit, bis die Sanktionen gegen Russland wirkten, werden sich die negativen Folgen häufen, während die Wahrscheinlichkeit, dass der Kreml sein Verhalten ändert, weiter sinkt. Natürlich muss der Westen auf die politischen Abenteuer Moskaus reagieren, doch sollte das mit anderen Mitteln geschehen.

Als Erstes sollte die Regierung Obama einen letzten Versuch unternehmen, den Sanktionen noch etwas Gutes abzugewinnen, indem sie anbietet, die härtesten Sanktionen gegen den russischen Finanz- und Energiesektor aufzuheben, wenn Russland im Gegenzug das Minsk-Abkommen umsetzt. Wird dieses Angebot abgelehnt, sollten die Vereinigten Staaten die negativen Folgen möglichst gering halten und unilateral die meisten Sanktionen gegen Russland aufheben.

Sanktionen, die keinen größeren Schaden verursachen und sich gegen spezifische eng definierte Ziele richten, könnten aufrechterhalten werden. Einreiseverbote gegen einzelne Mitglieder der Elite sollten mehrere Jahre gelten. Auch Sanktionen gegen Organisationen, die unmittelbar an der Annexion der Krim beteiligt waren, sollten beibehalten werden, da mit ihnen kein Druck ausgeübt, sondern verhindert werden soll, dass Russland von der Annexion profitiert – ein Ziel, das leichter zu erreichen ist.

Natürlich muss der Westen auf die politischen Abenteuer Moskaus reagieren, doch sollte das mit anderen Mitteln geschehen.

Auch Sanktionen, die die militärische Modernisierung Russlands behindern, haben ihren Sinn. Die Vereinigten Staaten und Europa sollten nicht nur am Einfrieren der Gelder und am Finanzierungsverbot für russische Waffenhersteller festhalten, sondern auch neue Sperren gegen den Import von Waffen aus Westeuropa einführen, insbesondere bei größeren Waffenkäufen wie im Falle des Mistral-Hubschrauberträgers, den Russland in Frankreich bestellt hatte, ehe das Geschäft im August 2015 aufgehoben wurde. Keine dieser Maßnahmen wird die russische Politik zu einer Kursänderung in der Ukraine zwingen, doch sie könnten künftige militärische Abenteuer erheblich erschweren.

Wenn US-Diplomaten hinsichtlich der Sanktionen erst die Spreu vom Weizen getrennt haben, sollten sie in den Themenbereichen abseits der Ukraine-Krise mit ihren russischen Kollegen zusammenarbeiten. Beim Atomabkommen mit dem Iran haben die USA und Russland kooperiert, und trotz der jüngsten russischen Intervention in Syrien gibt es noch Raum für eine gemeinsame Beendigung des dortigen Krieges. Zwar sind sich Washington und Moskau über die Zukunft des Assad-Regimes nicht einig, doch haben beide ein Interesse daran, eine weitere Stärkung des Islamischen Staats zu verhindern, und für beide Mächte gibt es gute Gründe, eine multilaterale politische Lösung für die Syrien-Krise zu entwickeln. Die Einbeziehung Russlands bei diesem und anderen Themen verhindert, dass das Land ins diplomatische Abseits gerät und eigene internationale Institutionen entwickelt oder ihnen beitritt.

Die Vereinigten Staaten sollten außerdem die Ukraine stärker wirtschaftlich unterstützen. Zwar stößt ein Hilfsprogramm für die Ukraine unweigerlich auf Probleme mit der hartnäckigen Korruption und der staatlichen Misswirtschaft, doch die ukrainische Regierung könnte mittels solcher Wirtschaftshilfen die ökonomischen Probleme besser anpacken, das Land nach Beendigung des Konflikts wieder aufbauen und seine wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland reduzieren.

Um schließlich die russischen Staatseinnahmen langfristig zu schmälern, sollte Washington versuchen, Europa mit anderen Energiequellen zu versorgen. Obwohl die USA der weltweit größte Öl- und Erdgasproduzent sind, verbietet das US-Recht derzeit den Export von Rohöl, und für den Export von verflüssigtem Erdgas muss das Energieministerium eine Ausnahmegenehmigung ausstellen. Im Oktober beschloss das Repräsentantenhaus, diese Restriktionen aufzuheben, doch der Präsident drohte mit einem Veto. Das ist schade, denn dieses Gesetz würde nicht nur den Unternehmen und Verbrauchern in den USA nützen, sondern es den europäischen Staaten auch erlauben, sich von russischem Öl und Gas unabhängig zu machen. Wenn russische Energieunternehmen Kunden verlieren, gehen auch die staatlichen Einnahmen zurück. Und anders als die Sanktionen würde diese Politik die europäische Energieversorgung nicht gefährden, sondern sichern.

Es ist immer schwer, zuzugeben, wenn eine politische Maßnahme gescheitert ist. Die Regierung Obama hat genau das getan, als sie diplomatische Beziehungen mit Kuba aufnahm und als sie sich für Verhandlungen mit dem Iran entschied. Es ist an der Zeit, den Misserfolg auch im Falle Russlands einzugestehen. Weil sich die negativen Auswirkungen, die mit den westlichen Sanktionen einhergehen, nicht mit den geringfügigen Erfolgen rechtfertigen lassen, sollten die Vereinigten Staaten eine Politik betreiben, die weniger Nachteile und mehr Erfolgsaussichten hat.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Januar/Februar 2016 des Foreign Affairs Magazine und auf ForeignAffairs.com.