Der südkoreanische Präsident Lee Jae-Myung, seit Juni 2025 im Amt, hat Nordkorea Gespräche über die bilateralen Beziehungen angeboten und im September bei der UN-Vollversammlung eine Initiative mit dem Titel E.N.D. vorgestellt. Sie steht für Exchange, Normalization and Denuclearization, also für Austausch, Normalisierung und Denuklearisierung, die zentralen politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen der komplexen innerkoreanischen Beziehungen.

US-Präsident Donald Trump hatte im Vorfeld seines Südkorea-Besuchs Ende Oktober durchblicken lassen, er sei durchaus an einem Treffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un interessiert. „Ich freue mich darauf, Kim Jong-un zu gegebener Zeit zu treffen“, versicherte Trump der südkoreanischen Regierung. Kim wiederum ließ verlauten, er habe „gute Erinnerungen“ an die Gespräche der Jahre 2018 und 2019 – obwohl die drei Treffen zwischen Trump und Kim ergebnislos blieben.

Pjöngjang sendet seither gemischte Signale: Gesprächsbereitschaft gegenüber den USA einerseits, strikte Ablehnung eines Dialogs mit Südkorea andererseits. Nordkorea wies bereits im Juli Lees Aufruf zu innerkoreanischen Gesprächen zurück. Kim Yo-jong, die einflussreiche Schwester des nordkoreanischen Diktators, erklärte: „Ganz gleich, welche Politik in Seoul beschlossen und welche Vorschläge auch immer unterbreitet werden, wir haben kein Interesse daran, und es gibt weder einen Grund für ein Treffen noch ein Thema, das mit der Republik Korea zu besprechen wäre.“

Als viertes Land spielt China, vielleicht der wichtigste Akteur in dieser asiatischen Gemengelage, eine zentrale Rolle. Präsident Xi Jinping ist inzwischen in das bislang informelle Gesprächsnetz eingebunden. Anfang November bat Südkoreas Präsident Lee beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Asia Pacific Organisation Xi um Unterstützung, Nordkorea stärker in Friedensgespräche einzubeziehen. Er hoffe, Südkorea und China würden die Gelegenheit nutzen, „um die strategische Kommunikation zu vertiefen und den Dialog mit Nordkorea wieder aufzunehmen.“

Steht eine überraschende Wende in den derzeit kaum existierenden Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea bevor, oder gar eine innerkoreanische Annäherung? Und welche Rolle könnte China dabei spielen?

Ein Zusammenbruch der in dritter Generation herrschenden Kim-Dynastie könnte politische Instabilität und große Flüchtlingsströme nach China auslösen.

Präsident Xi reagierte auf Südkoreas Vorstöße zurückhaltend, aber keineswegs ablehnend. China ist nicht nur an einer vertieften wirtschaftlichen Kooperation mit Südkorea interessiert, sondern sieht sich auch bei seinem Schützling Nordkorea mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Auf keinen Fall will Peking den Kollaps des Regimes in Pjöngjang riskieren. Ein Zusammenbruch der in dritter Generation herrschenden Kim-Dynastie könnte politische Instabilität und große Flüchtlingsströme nach China auslösen. Auf der anderen Seite wäre eine Wiedervereinigung der beiden Koreas unter südkoreanischer Führung – mit den USA als wichtigem Bündnispartner direkt an Chinas Grenze – für Peking ein Albtraum.

Noch wichtiger ist Chinas Einschätzung in Bezug auf die nordkoreanischen Atomwaffen, da die sicherheitspolitische Lage des Landes unmittelbar betroffen ist. Peking hat über Jahrzehnte deutlich gemacht – auch durch harte UN-Sanktionen gegen Nordkorea –, dass es das Atomprogramm nicht billigt. China fürchtet eine unkontrollierte Verbreitung von Atomwaffen, falls es nicht gelingt, Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogramm einzudämmen. Südkorea, Japan und Taiwan gelten dabei als potenzielle Kandidaten für eine eigene nukleare Bewaffnung. Ein atomares Wettrüsten in Asien will China daher auf jeden Fall verhindern.

Gegenüber der Annäherung zwischen Russland und Nordkorea zeigt sich China ambivalent. Einerseits bietet sie eine Gelegenheit, sich gegenüber dem Westen zu positionieren. Andererseits ist Peking nicht an einer zu starken russischen Präsenz in Nordkorea interessiert, da dies seinen eigenen Einfluss schwächen könnte.

Schließlich will China im globalen Wettbewerb mit den USA deren Einfluss in Südkorea begrenzen. Sollten sich die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea entspannen, könnten die USA ihr militärisches Engagement dort deutlich reduzieren. Chinas Rolle auf der koreanischen Halbinsel bleibt damit ein Balanceakt zwischen dem Streben nach Stabilität, wirtschaftlicher Kooperation und eigenem Einfluss – sowie dem Ziel regionaler Abrüstung, vor allem der Denuklearisierung der gesamten Halbinsel.

Während der jüngsten Asienreise des US-Präsidenten kam es nicht zu einem Treffen zwischen Trump und Kim. Kims öffentlich geäußerte Bedingungen bleiben für die USA bislang inakzeptabel. Am 21. September erklärte Kim Jong-un vor dem nordkoreanischen Parlament: „Ich bekräftige, dass es für uns niemals eine Denuklearisierung geben wird.“ Zugleich zeigte er sich offen für Gespräche über eine „echte friedliche Koexistenz“. Offenbar ist das nordkoreanische Atomwaffenprogramm unverhandelbar. Selbst eine Lockerung der Sanktionen würde daran nichts ändern.

Bis heute gilt für die USA der Verzicht Nordkoreas auf Atomwaffen als Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen.

Die Zukunft des nordkoreanischen Atomprogramms ist der zentrale Streitpunkt zwischen den USA und Nordkorea. Seit rund vier Jahrzehnten, lange vor Nordkoreas erstem Atomtest im Jahr 2006, haben alle US-Präsidenten, von Clinton über Bush bis Obama, Biden und Trump, versucht, Pjöngjang zur Denuklearisierung zu bewegen. Trump setzte dabei auf persönliche Gipfeltreffen, blieb damit jedoch erfolglos. Bis heute gilt für die USA der Verzicht Nordkoreas auf Atomwaffen als Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen. Nordkorea wiederum betrachtet sein Atom- und Raketenprogramm als Lebensversicherung des Regimes.

Seit den 1990er-Jahren stützt sich die US-Politik gegenüber Nordkorea auf drei Säulen: Erstens soll das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm verhindert bzw. rückgängig gemacht werden. Zweitens soll Nordkorea international isoliert und durch Wirtschaftssanktionen zur Kooperation gezwungen werden. Drittens gilt es, einen Angriff Nordkoreas auf Südkorea durch eine glaubwürdige Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie zu verhindern.

Heute gibt es für die US-Regierung gute Gründe, ihre Nordkorea-Politik zu überdenken, denn die Grundpfeiler dieser Strategie bröckeln. Die ersten beiden Maximen sind faktisch überholt. Experten schätzen, dass Nordkorea über rund 50 Atomsprengköpfe sowie über angereichertes Material für weitere verfügt. In den vergangenen Jahren hat das Land erfolgreich Trägerraketen getestet, die Japan und sogar die USA erreichen könnten. Nordkorea verfügt mittlerweile über ein militärisch glaubwürdiges, einsatzfähiges Atom- und Raketenarsenal und misst diesem, angesichts des Schicksals der libyschen und iranischen Atomprogramme, existenzielle Bedeutung bei.

Auch die zweite Säule der US-Nordkorea-Politik, die internationale Isolation Nordkoreas, steht infrage. Das Land hat sich lange mit einer „Gürtel-enger-schnallen“-Politik gegen Sanktionen behauptet, die selbst von Russland und China mitgetragen wurden. Inzwischen hat sich jedoch eine immer engere militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea entwickelt. So wurden nordkoreanische Soldaten im Krieg gegen die Ukraine als Kanonenfutter eingesetzt. Im Gegenzug liefert Russland Militärtechnologie und Wirtschaftshilfe, um die nordkoreanischen Streitkräfte zu modernisieren und Versorgungsengpässe zu beheben. Diese „Koalition der Sanktionierten“ sowie die wirtschaftliche Kooperation mit China verschaffen Kim Jong-un neuen Handlungsspielraum – sowohl in möglichen Verhandlungen als auch, um Desinteresse an südkoreanischen Friedensinitiativen zu demonstrieren. Nordkoreas geopolitische Position ist gestärkt, seine internationale Isolation weitgehend durchbrochen.

Um eine neue Rüstungskontrolle anzustoßen, sollten die USA vorerst auf die Forderung nach einer vollständigen Denuklearisierung verzichten.

Die dritte Säule der US-Nordkorea-Politik, die glaubwürdige Abschreckung, besteht weiterhin. Präsident Trump hat Südkorea jedoch, ebenso wie den europäischen NATO-Staaten, unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es für seine eigene Sicherheit verantwortlich sei. Noch sind die USA militärisch in Südkorea präsent und führen, sehr zum Ärger Nordkoreas, regelmäßig großangelegte Manöver durch. Wie lange dieses Bündnis Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Doch in ihrem Bestreben, China effektiv Paroli bieten zu können, sind die USA auf Verbündete in Asien angewiesen.

Angesichts der veränderten geopolitischen Lage befindet sich Nordkorea heute in einer besseren Verhandlungsposition als bei den gescheiterten Gipfeltreffen zwischen Trump und Kim in Singapur, Hanoi und an der innerkoreanischen Grenze 2018 und 2019. Um eine neue Rüstungskontrolle anzustoßen, sollten die USA vorerst auf die Forderung nach einer vollständigen Denuklearisierung verzichten, denn dieses Ziel ist derzeit kaum realistisch. Nordkorea ist de facto eine Atommacht. Ein Militärschlag wäre noch weniger geeignet, die nordkoreanischen Atomanlagen nachhaltig zu zerstören, als im Fall des Iran: Sie sind stärker verbunkert und über das Land verteilt. Zudem wäre nach einem solchen Angriff ein neuer verlustreicher Koreakrieg nicht unwahrscheinlich.

Es wäre sinnvoll, international – unter Einbeziehung Chinas, der USA und beider koreanischer Staaten – über einen Stufenplan zu verhandeln. Erstens sollte das Ziel sein, Nordkorea zum Wiedereintritt in den Atomwaffensperrvertrag zu bewegen, aus dem es 2003 ausgetreten ist, einschließlich der im Vertrag vorgesehenen Vor-Ort-Kontrollen. Dies entspräche zunächst einem Konfliktmanagement durch Rüstungskontrolle, nicht jedoch einer sofortigen Denuklearisierung. Auf politischer Ebene wäre es wichtig, zur Entspannung beizutragen, indem beide koreanische Regierungen gegenseitig ihre Souveränität anerkennen, ähnlich wie dies durch die Entspannungspolitik zwischen den beiden deutschen Staaten ermöglicht wurde.

Ebenso entscheidend wäre, nicht nur das Atomprogramm in den Blick zu nehmen, sondern auch die konventionellen militärischen Potenziale durch Abkommen transparenter zu machen und auf provokative Handlungen zu verzichten. Schließlich ließe sich Vertrauen durch humanitäre und wirtschaftliche Kontakte festigen. Erst auf dieser Grundlage könnte dann mit Aussicht auf Erfolg über Denuklearisierung verhandelt werden. Ein solcher langfristig angelegter Stufenplan erscheint erfolgversprechender und nachhaltiger als die von Donald Trump bevorzugte, personenbezogene Diplomatie des schnellen Deals.