Die pazifischen Inseln – eine Gruppierung, die größtenteils aus kleinen Insel-Entwicklungsstaaten besteht – befinden sich inmitten eines zunehmend umkämpften strategischen Raums. Die regionale Politik wird damit immer mehr zu einem wichtigen und genau beobachteten Schauplatz. Ende August trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Inseln zu ihrer jährlich stattfindenden Konferenz im Rahmen des Pazifischen Inselforums auf Tonga. Neben den Regierungsvertretungen der pazifischen Inseln waren auch andere wichtige Persönlichkeiten zugegen, unter anderem UN-Generalsekretär António Guterres. Dieses Gipfeltreffen ist der Höhepunkt des regionalen Kalenders und hatte eine entsprechend umfangreiche Tagesordnung, darunter Themen wie Klimawandel, transnationale Kriminalität und Gesundheitssicherheit. Aber eine der vordringlichen Fragen, vor denen das Forum steht, ist eine grundlegende, wie Debatten über die Mitgliedschaft und geopolitisches Gerangel verdeutlichen: Die Frage, wer und was das Forum repräsentiert.
In den letzten Jahren traten Risse innerhalb der Region zutage, allen voran die spürbare Randstellung der nordpazifischen Länder in dem Gremium, das anfangs Südpazifisches Forum hieß. Diese Spannungen gipfelten 2021 in der Entscheidung von fünf mikronesischen Staaten, das Forum zu verlassen, auch wenn sie diesen Schritt später wieder rückgängig machten. Und doch zeigt das Abschlusskommuniqué des Forums, dass die pazifischen Regierungen in vielen Fragen einer Meinung sind. In den Sektoren Gesundheits- und Bildungswesen, Fischerei und anderen wichtigen Bereichen konnten Vereinbarungen getroffen werden. Der Klimawandel wurde als „vorrangiges Problem in der pazifischen Region“ herausgestellt, das alle Pazifikstaaten auf besondere und weitreichende Weise betrifft. Angenommen wurde auch der Vorschlag für eine neue pazifische Polizei-Initiative: Es soll eine multinationale Pazifische Polizei geschaffen und in subregionale Zentren der Polizeiarbeit investiert werden, wobei die Regierungsvertretungen übereinstimmend betonten, dass für die Umsetzung dieser Initiative weitere Beratung vonnöten sei.
Eine Kontroverse über die endgültige Fassung des Kommuniqués macht jedoch die nach wie vor vorhandenen Risse im Forum deutlich.
Eine Kontroverse über die endgültige Fassung des Kommuniqués macht jedoch die nach wie vor vorhandenen Risse im Forum deutlich. In dem am Freitagnachmittag im Internet veröffentlichten Kommuniqué hieß es in Absatz 66 zunächst, dass die Regierungsvertretungen ihre Entscheidung von 1992 in Bezug auf „Taiwan/Republik China“ bestätigen. Dabei geht es um Taiwans Status als „Entwicklungspartner“ im Forum. Nachdem der chinesische Sondergesandte für den pazifischen Raum, Qian Bo, diese Formulierung in einer öffentlichen Erklärung kritisiert hatte, wurde das Kommuniqué wieder aus dem Netz genommen und überarbeitet. Der Absatz zu Taiwan wurde gestrichen. Die Verantwortlichen des Forums führten dieses Durcheinander später auf einen administrativen Irrtum zurück.
Drei der achtzehn Vollmitglieder des Forums erkennen Taiwan an: die Marschallinseln, Palau und Tuvalu. Taiwan konzentrierte sich in seiner diplomatischen Strategie einst sehr auf den pazifischen Raum, hat aber in den letzten Jahren Einfluss in der Region eingebüßt, da die Salomon-Inseln, Kiribati und Nauru aufgrund einer diplomatischen Offensive der Volksrepublik China nun Peking anerkennen. In einem zunehmend umkämpften geopolitischen Kontext wird Taiwans Status im Forum vermutlich auf lange Sicht ein schwieriges Thema für die Mitgliedstaaten bleiben.
Im Forum wurde der Begriff der Souveränität schon immer ziemlich flexibel gehandhabt.
Angesichts des zunehmenden strategischen Konkurrenzkampfs gehen mit den Problemen der Mitgliedschaft im Forum auch grundsätzliche Fragen für die Zukunft des Forums selbst einher. Im Jahr 2016 wurden die französischen Territorien Neukaledonien und Französisch-Polynesien Vollmitglieder. Aber ihr politischer Status wirft interessante Fragen für das Forum auf, vor allem angesichts der Unruhen der letzten Zeit und der anhaltenden Spannungen in Neukaledonien. Im Kommuniqué des Forums wurde die Entscheidung der Regierungsvertretungen bestätigt, eine Delegation nach Neukaledonien zu entsenden, was durchaus zu Konflikten führen könnte. Vor dem Treffen hatte der französische Botschafter für den pazifischen Raum erklärt, dass Neukaledonien französisches Territorium sei und Frankreich darüber entscheide, wer dort einreise.
Im Kommuniqué wurden auch die Anträge auf assoziierte Mitgliedschaft von Guam und Amerikanisch-Samoa bewilligt, zwei US-Territorien, die zukünftig den Status von Vollmitgliedern anstreben, wie ihn Neukaledonien und Französisch-Polynesien haben. Im Forum wurde der Begriff der Souveränität schon immer ziemlich flexibel gehandhabt: Zu den Gründungsstaaten gehören die Cook-Inseln und Niue, beides Länder in freier Assoziierung mit Neuseeland, die weder UN-Mitgliedstaaten sind noch eigene Pässe ausgeben. Und trotzdem stellt die Entscheidung von 2016 einen wesentlichen Wandel in den Grundsätzen über die Forumsmitgliedschaft dar, die den Ansprüchen anderer Territorien auf eine Vollmitgliedschaft Auftrieb geben dürfte.
Einerseits könnte man argumentieren, dass das Forum mit der Aufnahme weiterer politischer Gemeinwesen immer repräsentativer wird und damit die bemerkenswerte Vielfalt der politischen Status in der Region anerkannt. Andererseits könnte diese erweiterte Mitgliedschaft mit dem Problem der Einflussnahme von Mutterländern wie Frankreich und den USA auf das Forum einhergehen. Angesichts dessen, dass bereits der Einfluss von Gründungsmitgliedstaaten wie Australien und Neuseeland als zu groß wahrgenommen wird, ist das ein ohnehin vorbelastetes Thema.
Frankreich und die USA haben, wie Australien und Neuseeland, eine Geschichte als Kolonialmächte – und in den Augen vieler immer noch eine koloniale Präsenz in der Region. Vor diesem Hintergrund wurde und wird ihre gegenwärtige und zukünftige Rolle im Forum kritisiert, weil sie verhindern, dass aus dem Forum eine echt pazifische Institution wird. Angesichts des Machtgefälles und des unterschiedlichen politischen Umgangs mit wichtigen Themen wie dem Klimawandel haben die politischen Führungen im pazifischen Raum, unter anderem der damalige Regierungschef der Fidschi-Inseln Frank Bainimarama, in der Vergangenheit unverblümt ihre Kritik an der Rolle größerer Länder im Forum geäußert.
Hinter all diesen Entscheidungen und Kontroversen stecken grundlegende Fragen: Wer hat in dem Forum das Sagen und wer nicht? Wer hat die Legitimität, Einfluss auszuüben, und wer nicht? Es ist von dringlicher und existentieller Bedeutung, diese Fragen auf eine Art und Weise zu beantworten, die die eigene Legitimität des Forums als wichtigster regionaler Instanz stärkt. Bei all dem ist jedoch auch zu beachten, was nicht auf der Tagesordnung des Forums zu finden war: Obwohl mit Hilda Heine, Präsidentin der Marschallinseln, und Fiamē Naomi Mata’afa, Premierministerin von Samoa, zwei gewählte Regierungschefinnen anwesend waren und trotz der im letzten Jahr von den Regierungsvertretungen abgegebenen Erklärung, die Geschlechtergleichstellung wieder in den Blickpunkt zu rücken, wird dieser im Kommuniqué von 2024 kein einziges Wort gewidmet.
Aus dem Englischen von Ina Goertz