Wenn am 3. April die Bürgerinnen und Bürger in Serbien einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament wählen, wird dies unter äußerst zweifelhaften Rahmenbedingungen geschehen. Die Wahlgesetze stammen zwar aus einer Zeit, in der die Demokratische Partei an der Macht war. Das Problem ist, dass sie derzeit nicht eingehalten werden.
Von Freiheit und Demokratie kann in Serbien derzeit keine Rede sein. Im Parlament gibt es keine Opposition: die demokratischen Oppositionsparteien boykottierten die letzte Wahl 2020 wegen der unfairen Bedingungen. Für die Wahlen 2022 baten sie daher die EU um Unterstützung. Den Oppositionsparteien ging es damit nicht um Bevorzugung oder Vorteile – sie wollten lediglich unter den gleichen Voraussetzungen antreten. Abgeordnete des Europäischen Parlaments begleiteten in der Folge einen mehrmonatigen Dialog zwischen der Opposition und der Regierung zur Verbesserung der Wahlbedingungen. Doch Verbesserungen wurden nicht erzielt, in manchen Bereichen haben sich die Bedingungen für die Wahlen sogar noch verschlechtert. Nichts, was von der EU kommt, wird von der aktuellen serbischen Regierung respektiert.
Es ist dabei essentiell, dass wir keine Simulation einer Demokratie zulassen, schon gar nicht von demjenigen, der ihr Henker ist: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić.
Auch wenn der Vermittlungsversuch der europäischen Partner erfolglos war, sind wir dafür dankbar. Wir müssen weiter mit allen Mitteln für die Wiederherstellung der Demokratie und der europäischen Idee in Serbien kämpfen. Es ist dabei essentiell, dass wir keine Simulation einer Demokratie zulassen, schon gar nicht von demjenigen, der ihr Henker ist: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. Das politische Umfeld in Serbien hat sich erheblich verändert. Daher muss die Opposition einen anderen Handlungsansatz finden als bisher. Nicht nur der aktuelle Wahlprozess zeigt, dass wir vom Regen in die Traufe gekommen sind.
Es fängt damit an, dass die Sozialistische Partei, die der regierenden Fortschrittspartei nahesteht, sowie die Radikale Partei nicht mal einen Gegenkandidaten aufstellen. Stattdessen richten sie ihren Wahlkampf ganz auf den Posten des Ministerpräsidenten aus, auf den sie im Gegenzug für die Unterstützung Vučićs spekulieren. Präsident Vučić und seine seit zehn Jahren regierende Fortschrittspartei erhoffen sich, auf diese Weise im ersten Wahlgang einen Sieg zu erringen.
Wie genau hat sich die Lage in Serbien verschlechtert? Vielleicht erklärt das Beispiel von István Pásztor, wie sehr sich die politische Kultur im Land gewandelt hat. Pásztor ist der Vorsitzende der Allianz der Vojvodina-Ungarn (SVM), der stärksten unter den Minderheitenparteien, die die Interessen des ungarischen Bevölkerungsanteils vertreten. Von ihm stammt der Satz: „Es obliegt den Serben, einen Präsidenten zu wählen, und es obliegt mir, mit ihm zusammenzuarbeiten“. Doch für die anstehenden Wahlen hat Pásztor eine Wahlempfehlung für Vučić abgegeben. Der Druck auf die Minderheitenparteien ist so groß, dass erstmals ein Politiker der ungarischen Minderheit in Serbien einen Präsidentschaftskandidaten unterstützt. Einfach nur „zusammenzuarbeiten“ reicht in Serbien unter Vučić offensichtlich nicht mehr aus.
Zur Liste der Dinge, die sich verschlimmert haben, muss auch die schon bisher verbreitete Praxis gezählt werden, die in die Richtung eines staatlich sanktionierten Stimmenkaufs geht: Maßnahmen zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger, finanziert aus dem Staatshaushalt, die das Regime üblicherweise kurz vor den Wahlen genehmigte. Jetzt geht das Ganze so weit, dass Vučić angekündigt hat, im April Zahlungen an jüngere Menschen zu leisten – natürlich unter dem Vorbehalt seines Sieges und eines guten Wahlergebnisses.
Vučić hat angekündigt, im April Zahlungen an jüngere Menschen zu leisten – natürlich unter dem Vorbehalt seines Sieges und eines guten Wahlergebnisses.
Ein weiterer Tiefpunkt für ein Land, das erklärtermaßen in die EU strebt, war die Verkündigung des Ergebnisses des Verfassungsreferendums im Januar – und das nach all den Appellen und Bemühungen zur Verbesserung der Wahlbedingungen. Entgegen seinen Befugnissen verkündete Präsident Vučić das Ergebnis des Referendums aus den Räumlichkeiten seiner Partei. Die hierfür eigentlich zuständige Institution, die Staatliche Wahlkommission, hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ergebnisse vorgelegt. Auch sie kann man nun zur wachsenden Gruppe der lahmgelegten Institutionen zählen. Zwar zweifelten wir auch bislang schon an ihrer Glaubwürdigkeit – nicht jedoch an ihrer formalen Existenz. Ein weiterer Beleg dafür, warum mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Korruption zurecht die Hauptkritikpunkte der EU im Beitrittsprozess Serbiens sind.
Dass dieses Regime immer noch schlimmer sein kann, zeigen auch die Daten des Referendums aus einem Wahllokal in der Gemeinde Sjenica, wo nach offiziellen Angaben von insgesamt 771 registrierten Wahlberechtigten 771 Wählerinnen und Wähler zur Wahl gegangen sind. Das ist eine Wahlbeteiligung von 100 Prozent, die absolut unwahrscheinlich ist. In Serbien liegt die Wahlbeteiligung selten bei mehr als 50 Prozent. Auf den Wahllisten finden sich immer wieder bereits Verstorbene oder Personen, die schon Jahre nicht mehr im Land leben. Zweifel an der Wahlbeteiligung in Sjenica sind angebracht: Dieses Wahllokal war eines von vielen, bei dem keine Wahlbeobachter zugegen waren.
Das Vorgehen der serbischen Regierung unter Präsident Vučić hat sich in den vergangenen Jahren verfestigt: Wahlen werden vorgezogen, Amtsperioden verkürzt. Kommunalwahlen werden unregelmäßig angesetzt. Wichtige Wahlen werden am selben Tag abgehalten. Das Gesetz, das den Wahlkampf von Amtsträgern einschränkt, wird missachtet. Vučić und die Fortschrittspartei dominieren das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die weit verbreiteten Boulevard-Medien. Wählerinnen und Wähler werden auf unterschiedliche Weise unter Druck gesetzt, beispielsweise durch den aggressiven Einsatz von Propagandamitteln und durch die Beteiligung von Personen aus dem kriminellen Milieu an der Wahlwerbung für die Regierungspartei. Oppositionelle werden stigmatisiert, Aktivisten verhaftet. Die Korruption hat alle Teile der Gesellschaft erfasst. Der Wahlprozess bildet keine Ausnahme.
Die Korruption hat alle Teile der Gesellschaft erfasst. Der Wahlprozess bildet keine Ausnahme.
Zum Schluss aber doch eine positive Entwicklung. Sie ist jedoch nicht das Ergebnis politischer Verhandlungen oder von Zugeständnissen dieser oder jener Seite. Man kann sie eher als eine Reaktion auf das langjährige undemokratische Verhalten des Regimes erklären – und dem Wunsch der Bürger und Bürgerinnen, sich diesem endlich widersetzen zu wollen. Eine neue Energie ist ersichtlich – die Energie von jungen Menschen, in deren Namen wir die Lage in Serbien verändern wollen. Viele junge Menschen haben sich als Wahlbeobachter beworben. Sie wollen nicht zulassen, dass der Wille der serbischen Bürgerinnen und Bürger wie oft zuvor missachtet wird. Den Oppositionsparteien stehen eigene Wahlbeobachter zu. In der Vergangenheit hatten sie jedoch Schwierigkeiten, diese Posten zu besetzen. Das hat sich nun spürbar geändert.
Wenn ich mir unter den Wahlbedingungen, für die wir kämpfen, eine aussuchen könnte, dann wäre es, das Vertrauen der jungen Menschen zu gewinnen. Die jüngeren Generationen müssen verstehen, dass Wahlen der wichtigste Schritt im Kampf für die Erneuerung der Demokratie sind. Und sie müssen sich an diesem Prozess beteiligen. Nur dann sind wir als Gesellschaft auf dem richtigen Weg, Vučić zu schwächen. Ich denke, wir sind jetzt ganz nah dran.
Aus dem Serbischen von Sanin Hasibović