Hohe Wellen und ein lässiges Ambiente – das war das Markenzeichen von El Zonte, einem kleinen Surferparadies am Pazifik in El Salvador. Doch sehr diskret fand dort in den letzten zwei Jahren ein Experiment statt, das nun ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit gerückt ist. Was in Berlin, Paris oder San Diego eher noch schwierig ist, gehört in El Zonte seit geraumer Zeit zum Alltag: In dem Fischerdorf kann man seinen Kaffee mit Bitcoin bezahlen oder im Tante-Emma-Laden damit einkaufen. Es gibt einen Bitcoin-Automaten, und sogar auf den verrosteten Fässern, die als Mülleimer dienen, prangt das Symbol der virtuellen Kryptowährung.
Sie macht dem US-Dollar Konkurrenz, der seit 2001 die offizielle Währung des Landes ist. In El Zonte ist vor allem die Jugend begeistert dabei. Auch ein paar Unternehmer konnten dank der Bitcoin-Preisrallye 2020 Gewinne machen. Andere hielten das Ganze allerdings für ein Teufelswerk oder bestenfalls für eine exotische Spinnerei – bis Präsident Nayib Bukele Anfang Juni über Nacht den Bitcoin legalisierte. Was bewegte den 39-jährigen zu diesem Schritt?
Die Spurensuche führt in das Surferdorf – und in die USA. Mike Peterson, ein Surfer aus Kalifornien, war 2005 nach El Zonte übergesiedelt. Der überzeugte Christ baute ein Jugendprojekt namens Hope House auf und bildete unter anderem Rettungsschwimmer aus. Vor zwei Jahren – ungefähr zeitgleich mit dem Amtsantritt Bukeles – erzählte er der Los Angeles Times, sei er von einem anonymen Spender kontaktiert worden, der ihm 100 000 US-Dollar zugesagt habe – in Bitcoin und unter der Bedingung, das Geld in der Bevölkerung zu verteilen und aus El Zonte ein „Bitcoin-Labor“ zu machen.
Hope House verteilte fortan Bitcoins für das Müllsammeln, Bitcoins für gute Noten oder für in der Pandemie krank oder arbeitslos gewordene Anwohner. Lokale Geschäfte akzeptierten nach mühseliger Überzeugungsarbeit von Peterson die Bitcoins. Hope House installierte sogar einen Bitcoin-Automaten, an dem man via einer App Dollar in Bitcoin tauschen oder sich überwiesene Bitcoins gutschreiben bzw. in Dollar auszahlen lassen kann.
Für die Jugend war der Bitcoin der Einstieg in die Finanzwelt, in Konzepte wie Sparen und Investieren.
Das Experiment löste praktische Probleme. In El Zonte leben viele Salvadorianer, die Dollars von Verwandten aus den USA bekommen. Doch es gibt keine Bankfiliale. Die Hälfte der Salvadorianer hat sowieso kein Bankkonto und hebt das Geld – gegen saftige Gebühren – bei Vermittlungsstellen wie Western Union ab. Dafür mussten sie von El Zonte ins Nachbardorf fahren.
Für die Jugend war der Bitcoin der Einstieg in die Finanzwelt, in Konzepte wie Sparen und Investieren. Die 100 000 US-Dollar, konvertiert in Bitcoin, fluteten das Dorf mit Liquidität. Das Experiment funktionierte – so ähnlich wie überall auf der Welt Solidarwährungen funktionieren – weil es eine lokale Kreislaufwirtschaft in Gang brachte. Wer der Spender war und woher das Geld stammte, habe er nie erfahren, so Peterson.
Bitcoin-Insider vermuten, dass dahinter der Kryptowährungs-Guru Jack Mallers stecken könnte. Mallers entwickelte unter anderem Strike, eine App, mit der man Bitcoins zahlen und empfangen und diese dann sofort in eine an den Dollar gebundene virtuelle Stablecoin namens Tether tauschen und damit vor Schwankungen absichern kann. Yusuf Bukele, ein Bruder und gleichzeitig Berater des Präsidenten, habe Mallers im Februar kontaktiert, hat die Los Angeles Times herausgefunden. Man habe sich getroffen und über ein Bitcoin-Gesetz diskutiert. Vier Monate später legalisierte das Land von der Größe Israels als erstes der Welt den Bitcoin.
Viele hielten das zunächst für einen PR-Gag oder ein Ablenkungsmanöver des impulsiven, narzisstisch veranlagten Staatschefs. Bukele regiert seit 2019 das Land mit 6,5 Millionen Einwohnern. Er ist modebewusst und pflegt sein nonchalantes Millenial-Image mit Lederjacken, falsch herum aufgesetzten Baseball-Kappen und mit gut kalkulierten Tabubrüchen. Seine jährliche Ansprache vor der UN-Vollversammlung etwa begann er mit einem Selfie und erklärte, dem Rest der Welt sei es schnurzpiepegal, was er hier sagen werde, aber sein Foto, das werde um die Welt gehen, denn das wahre Leben spiele sich in den Netzwerken ab.
Einen ähnlichen Überraschungseffekt erzielte seine Bitcoin-Ankündigung per Zoomschalte zum Bitcoin-Kongress in Miami am 5. Juni. Die dort Anwesenden hatten zwar keine Ahnung, wo genau El Salvador liegt, aber der junge Staatschef war ihnen sofort sympathisch. Vor allem brach er eine Lanze für die von vielen Staaten eher argwöhnisch betrachtete Kryptowährung. Nachdem China zuvor Kryptowährungen verboten hatte und Bitcoin-Farmen schließen ließ, war die Legalisierung in El Salvador eine willkommene gute Nachricht, um die abstürzenden Kurse aufzufangen.
Bukele will Bitcoin-Investoren ein Goldenes Visum gewähren und stellt sie von Kapitalertragssteuern frei.
Bukele – in seiner Heimat wegen seines autoritären Führungsstils heftig kritisiert – badete im Applaus einer Gemeinschaft, die sich selbst eher als antiautoritär, dezentralistisch und libertär versteht. Begeistert fügte er seinem Twitter-Profil „Laseraugen“ hinzu – das Symbol der Anhänger der Kryptowährungen – und beruhigte zugleich die Umweltschützer, die Bitcoins wegen des hohen Energieverbrauchs verpönen: Die Energie fürs Bitcoin-Schürfen werde nachhaltig aus Geothermik der heimischen Vulkane gewonnen, versprach er.
Drei Tage später lag das gerade einmal zwei Seiten umfassende Gesetz dem Kongress vor, am nächsten Morgen wurde es verabschiedet. Bukeles Partei „Neue Ideen“ stellt 64 der 84 Abgeordneten. Viele sind jung, politisch unerfahren und kritiklose Fans des Staatschefs. Ab September sollen die Salvadorianer nun ihre Steuern in Bitcoin bezahlen und im Supermarkt damit einkaufen können. Ein staatlicher Treuhandfonds über 150 Millionen US-Dollar soll das Währungsrisiko abfangen und den Händlern auf Wunsch die Bitcoins sofort in Dollar absichern. Außerdem will Bukele Bitcoin-Investoren ein Goldenes Visum gewähren und stellt sie von Kapitalertragssteuern frei.
Zwei Argumente für den Bitcoin führt Bukele an: Die Kryptowährung habe eine Marktkapitalisierung von 680 Milliarden US-Dollar. „Wenn davon ein Prozent in El Salvador investiert wird, würde unser Bruttoinlandsprodukt um 25 Prozent steigen“, sagte er, unter anderem mit Blick auf Mining-Farmen, die nun nach dem Verbot in China andere Standorte suchen. Doch das sei nur dann der Fall, wenn Bitcoins neue, zusätzliche Wertschöpfung generierten, führen Experten wie der Australier John Hawkins an. Für viele Anleger seien Bitcoins aber nur ein Mittel der Wertaufbewahrung.
Das zweite Argument Bukeles zielt auf einen Sektor ab, der seit einigen Jahren im Visier der alternativen Finanzdienstleister ist: die Auslandsüberweisungen von Migranten in die Heimat, im Jargon als „Rimessen“ bekannt. Sie sind ein Milliardengeschäft weltweit. Alleine in den USA leben rund 1,5 Millionen Salvadorianer. Sie überwiesen im Vorjahr fast sechs Milliarden US-Dollar an ihre Familien in der Heimat. Das sind 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).
Doch nicht einmal die Hälfte der Salvadorianer hat ein Bankkonto, denn die Kontoführungs- und Überweisungsgebühren sind hoch. Die übrigen greifen auf Geldtransferdienste zurück. Doch auch diese kassieren zwischen vier und 50 US-Dollar je nach überwiesener Summe. Es ist ein lukratives Geschäft – und eines, an dem internationale und lokale Eliten gut verdienen. Denen wolle er zum Wohle der Armen das Wasser abgraben, so das Narrativ Bukeles.
Die Weltbank lehnte es ab, El Salvador bei der Umsetzung zu unterstützen.
Das Problem ist real und hat schon Institutionen wie die Weltbank beschäftigt, aber auch windige Geschäftsideen wie zum Beispiel Wirecard befeuert. Der Bitcoin als Rimesse wirkt auf den ersten Blick verführerisch: Geldtransfer per App in wenigen Sekunden. Doch auf den zweiten ist das eine Schimäre, warnen Finanzexperten. Gerade einmal 33 Prozent der Salvadorianer hätten Internetzugang, schreibt Hawkins. „Wie viele Straßenhändler oder Bauern sind technisch ausgerüstet für Bitcoins?“, fragte er.
Das Argument, Bitcoin-Transfers seien gratis, sei falsch, gibt der Finanzexperte Steve Hanke zu bedenken. Auch für virtuelle Bitcoin-Transaktionen im Netz oder für den Umtausch in Dollar würden Gebühren fällig – Geld, das statt bei den Banken dann bei App-Entwicklern wie Mallers (und seinen Geschäftspartnern) landen würde. Hinzu kommen bekannte Probleme der Kryptowährungen wie die hohe Volatilität. Im vergangenen Monat schwankte der Bitcoin zwischen 58 000 und 31 000 US-Dollar. In einem Land, in dem 35 Prozent der Menschen arm sind, können solche Schwankungen soziale Katastrophen auslösen. Die 150 Millionen des staatlichen Fonds wirken niedrig gemessen am Gesamtaufkommen der Rimessen.
„Bitcoins sind zwar Zahlungsmittel, aber es gibt damit keinen Kreditmarkt. Wirtschaftliche Entwicklung wird somit schwierig“, gab außerdem der Finanzexperte Carlos de Sousa zu bedenken. Gerade jetzt aber braucht der hoch verschuldete Staat zur Pandemiebewältigung frisches Kapital. Das jedoch ist nun gefährdet. Der IWF, mit dem El Salvador über einen Kredit von einer Milliarde US-Dollar verhandelt, bezeichnete das Bitcoin-Gesetz als „unkalkulierbares Risiko“. Die Weltbank lehnte es ab, El Salvador bei der Umsetzung zu unterstützen.
Internationale Fahnder beunruhigt das Gesetz als mögliches Einfallstor für Geldwäsche – zumal sich El Salvador gerade erst aus einem regionalen Anti-Korruptions-Pakt verabschiedet hat und Drehscheibe für den Kokainschmuggel ist. „Technikfreaks anzulocken ist das eine, sich in eine Geldwäscher- und Steuerhinterzieher-Hochburg zu verwandeln das andere“, warnte etwa Julia Yansura vom Global Financial Integrity Institute in Washington.
Internationale Fahnder beunruhigt das Gesetz als mögliches Einfallstor für Geldwäsche.
Der staatliche Fonds, fürchten Experten, habe keinerlei Möglichkeit nachzuprüfen, woher die Bitcoins stammten, für die er seine Dollars hergebe. Vermutlich werde er innerhalb kürzester Zeit abgezapft – und nicht von salvadorianischen Straßenhändlern. Für wenig Vertrauen sorgen in dem Zusammenhang Hinweise auf geheime Verhandlungen zwischen der Regierung und den kriminellen Banden des Landes. Und auch die Tatsache, dass gegen einen von Bukeles Beratern, José Luís Merino, Ermittlungen wegen Drogen- und Waffenschmuggel laufen.
Davon abgesehen gibt es für Bukele zwei Gründe, weshalb er sich auf dieses Abenteuer eingelassen hat. Er steht zunehmend unter Druck aus Washington wegen seiner autoritären Amtsführung und der Korruption in seiner Regierung. Sanktionen sind zwar momentan nicht angedroht, aber in der Zukunft auch nicht auszuschließen. In so einem Fall ist der US-Dollar ein Korsett.
Der Bitcoin würde es Bukele erleichtern, mögliche US-Sanktionen zu umgehen. Der zweite Grund ist wirtschaftlicher Art. Bukeles hohe Popularität von 90 Prozent gründet sich auf eine großzügige staatliche Ausgabenpolitik ohne Steuererhöhungen. Wegen der Dollarbindung kann das wachsende Defizit aber nicht durch die Notenpresse kompensiert werden. Und auch für die staatlichen Schuldpapiere wird ein immer höherer – und für die Regierung immer teurerer – Risikoaufschlag fällig.
Der IWF-Kredit wäre ein Rettungsanker. Doch falls er – etwa durch Widerstand der USA – scheitert, könnte der Bitcoin der Plan B sein. So vermutet es jedenfalls der Bitcoin-Kritiker David Gerard. „Bukele käme so an die Dollar-Rimessen. Er schöpft sie ab und schreibt den Leuten dafür Tethers gut“, vermutet Gerard in seinem Blog. „Richtige Dollars werden durch synthetische ersetzt“, für deren Wert niemand geradestehe. Gerard hält das Ganze deshalb für das Hirngespinst realitätsfremder, libertärer Technikfreaks und für ein politisches Spiel mit dem Feuer. „Vermutlich glauben sowohl die Bitcoin-Jungs als auch Bukele, sie könnten den jeweils anderen über den Tisch ziehen. Es ist wahrscheinlich, dass beide verlieren.“