In Uruguay geht das Trinkwasser aus – mit dieser Meldung schaffte es das kleine Land im tiefen Süden Lateinamerikas kürzlich in die Nachrichten. Nach anhaltender Dürre führen der Stausee und der Fluss, die die Hauptstadt Montevideo versorgen, nur noch zehn Prozent des normalen Wasserpegels. Bleibt der Regen weiterhin aus, kann die Wasserversorgung nur noch bis maximal Mitte Juni sichergestellt werden. Dabei liegt Uruguay in einer Region, die über mehr als 30 Prozent der weltweiten Süßwasserreserven verfügt. Grundwasser ist da. Dass aber nur noch Trinkwasser hat, wer es sich in Plastikflaschen leisten kann, macht politische Prioritäten sichtbar, die inmitten der Klimakrise kurzfristige Wirtschaftsinteressen vor Prävention, Mitigation und Adaptation setzen.
Die Wasserversorgung ist in Uruguay schon länger ein Thema. Bereits 2004 stimmten 65 Prozent der Wahlberechtigten in einem Referendum für eine Verfassungsänderung, die das Grundrecht auf Zugang zu Trinkwasser festschreibt und die Verantwortung für Aufbereitung und Versorgung ausschließlich in staatliche Hände legt. Geübt in direktdemokratischen Verfahren verhinderten die Uruguayerinnen und Uruguayer so die Beteiligung französischer und spanischer Firmen an den öffentlichen Wasserwerken und eine mögliche Privatisierung, wie sie in anderen Ländern der Region erfolgte.
Uruguays Wirtschaft ist abhängig vom Export von Rohstoffen wie beispielsweise Zellulose, Rindfleisch, Reis und Soja. Alles Sektoren, in denen die Produktion hochgradig wasserintensiv ist. Die jüngste Dürre der letzten Monate verursachte enorme Verluste, ist aber kein isolierter Einzelfall. Meteorologen bescheinigen bereits seit mehr als drei Jahren einen enormen Niederschlagsrückgang. Nicht ohne Grund übergab 2020 der scheidende Präsident Tabaré Vasquez der neu gewählten Regierung unter Luis Lacalle Pou die Baupläne für einen weiteren Stausee, mit dem absehbare Versorgungsengpässe vermieden werden sollten. Dieser wurde jedoch nie gebaut. Auch Diskussionen über eine Transformationsstrategie für ein Entwicklungsmodell, das wegen des Klimawandels ein absehbares Verfallsdatum hat, blieben aus.
Stattdessen wurden unter der neuen neoliberalen Regierung ausländische Investitionsvorhaben beschlossen, die extrem wasserintensiv sind und die sich aus Grundwasserbohrungen speisen. So begann Google 2021 den Bau eines riesigen Daten-Centers, das für die Kühlung der Rechner täglich sieben Millionen Liter Süßwasser braucht. 2022 wurde man mit einer deutschen Firma über die Produktion von grünem Wasserstoff im Norden Uruguays handelseinig, die täglich 600 000 Liter Süßwasser erfordern wird. Beide Vorhaben kamen nicht im Parlament zur Abstimmung, erfolgten also ohne demokratische Mitbestimmung.
Meteorologen bescheinigen bereits seit mehr als drei Jahren einen enormen Niederschlagsrückgang.
Trotz des jüngsten Ausbleibens von Regen wurde jedoch zur Trinkwasserversorgung der Hauptstadt keineswegs Grundwasser angezapft. Seit Anfang Mai wurde den verbliebenen Reserven schlicht Brackwasser aus dem Rio de la Plata beigemischt, wodurch das Trinkwasser die vom Gesundheitsministerium festgelegten Natrium- und Kaliumwerte um einiges überschreitet. Die Bevölkerung bemerkte diese Beimischung jedoch erst durch den deutlichen Salzgeschmack. Nach widersprüchlichen Aussagen zur Trinkbarkeit des Leitungswassers empfahl das Ministerium schließlich Alten und Kranken, Flaschenwasser zu kaufen. Wie Krankenhäuser, Schulen und Kindertagesstätten an Trinkwasser kommen sollten, blieb zunächst offen. Auf die Frage, wie Arme das Problem lösen sollten (zehn Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze), antwortete die Vize-Vorsitzende der staatlichen Wassergesellschaft, statt einer Flasche Coca-Cola, solle man doch einfach Wasser kaufen. Marie Antoinette lässt grüßen.
Die Problematik der Wasserqualität überträgt sich nun auch auf Handwerk und Industrie. Kann das salzhaltigere Wasser in bestimmten Produktionsprozessen genutzt werden, ohne Maschinen zu schädigen? Kann beispielsweise der Bäcker die Kosten für den Trinkwassereinkauf auf die Brotpreise umlegen, ohne die – ohnehin covidbedingt eingebrochene – Nachfrage zu beeinträchtigen? Ähnlich wie in Europa haben auch die Menschen in Uruguay mit einer hohen Inflation zu kämpfen, die zwischenzeitlich zweistellig war und sich nun bei neun Prozent eingependelt hat. Doch selbst dieses Niveau dürfte schwer zu halten sein. Das Versprechen der Regierung, die Preise für Tafelwasser in Plastikflaschen zu kontrollieren, wurde gebrochen: Das blaue Gold ist vielerorts ausverkauft und, wenn erhältlich, dann zu ähnlich hohen Preisen wie die Cola daneben. Es wird nun auch über den Import von Flaschenwasser aus den Nachbarländern nachgedacht.
Obgleich der politische Druck auf die Regierung wächst, versteht diese, die Situation zu nutzen. Die aktuelle Lage nährt das neoliberale Narrativ der Unfähigkeit öffentlicher Unternehmen. Weiterhin schafft der Salzgeschmack des Trinkwassers Akzeptanz für Verhandlungen der Regierung über den Bau einer Entsalzungsanlage des Flusswassers mit vier Unternehmen. Gegen das Projekt „Neptuno“ gibt es jedoch heftige Proteste wegen Umweltschäden, hohen Kosten und einer faktischen Teilprivatisierung der Ressource Wasser.
Der Verlust des Vertrauens in die staatlichen Behörden ist enorm.
Doch das Problem ist nicht neu. Auch die Vorgängerregierungen des progressiven Parteienbündnisses Frente Amplio verpassten es, konsequent an der Transformation des Entwicklungsmodells zu arbeiten. Zwar wurde die Energiematrix binnen weniger Jahre fast vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt, doch der Sojaanbau- und die Weideflächen sowie die Eukalyptusplantagen für die Zelluloseherstellung wuchsen ebenfalls unter progressiver Führung. Auch die Erneuerung alter Leitungen wurde verschleppt, sodass derzeit 50 Prozent des Trinkwassers versickern. Zudem wurden dem privaten Wasserverbrauch keine Anreize zur Sparsamkeit gegeben. Erst jetzt rufen Radio-Spots dazu auf, Autos nicht zu waschen und Gärten nicht zu bewässern. Eines war während der 15 Regierungsjahre der Frente Amplio jedoch gewährleistet: die Zuständigkeit des Staates für Wasser und andere essenzielle Güter. Heute glauben die Bürgerinnen und Bürger den Wasserwerken nicht mal mehr bezüglich der Messwerte des Leitungswassers. Der Verlust des Vertrauens in die staatlichen Behörden ist enorm.
Auch in Europa sind die Effekte des Klimawandels auf die Wasservorräte bemerkbar. So muss man nur auf die Krise der spanischen Landwirtschaft oder auf austrocknende Gewässer vom Aral- bis zum Gardasee blicken. Trotzdem ist für viele Menschen in Europa die Vorstellung, dass einmal kein Wasser mehr aus dem Hahn käme, unvorstellbar. Doch der Kampf um das blaue Gold hat längst begonnen. Und wie in jedem Verteilungskampf bedarf es der politischen und gesetzlichen Regulierung der Krise. Dies gilt natürlich insbesondere für die Regierungen und Parlamente der betroffenen Länder. Allein das Missmanagement im Globalen Süden zu kritisieren, hilft jedoch nicht.
Da der Klimawandel bekanntlich keine Staatsgrenzen kennt, müssen wir auch unsere nationale und gemeinschaftliche Politik diesbezüglich hinterfragen. Welche Signale setzen Handelsabkommen, die die Rolle Lateinamerikas als Rohstofflieferanten zementieren? Wie kann Ernährungssicherheit wassersparend sichergestellt werden? Welche Beratung, Investitionen und Technologien bräuchte es in den Produktionsländern? Und welche Anreize würden den Wandel des Konsums und somit Nachfrage bewirken?
Globale öffentliche Güter wie Süßwasser brauchen globalen Schutz und eine internationale Regulierung ihrer Nutzung. Wenn wir es nicht schaffen, die sozioökologische Transformation global zu denken und zu fördern, bleibt Klimagerechtigkeit lediglich ein Narrativ, und in der Verteilung der Lebensgrundlagen wird das Gesetz der Märkte herrschen. Unsere Freude über grünen Wasserstoff aus Uruguay statt eines Windrads am Ortsrand dürfte so von begrenzter Dauer sein.