Diplomatie, das war einmal die Kunst der Zwischentöne, des Ausgleichs und der Riten, bei denen es vor allem darum ging, dass das Gegenüber nicht das Gesicht verliert. Das ist in der Ära Trump vorbei. Davon zeugt der blaue Brief, den Brasiliens Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva kürzlich vom US-Präsidenten bekam: „Die Art und Weise, wie Brasilien den ehemaligen Präsidenten Bolsonaro behandelt, der während seiner Amtszeit in der ganzen Welt hoch angesehen war, ist eine internationale Schande. Dieser Prozess sollte nicht stattfinden. Es handelt sich um eine Hexenjagd, die SOFORT beendet werden sollte!“ Zur Strafe drohte Trump einen 50-prozentigen Einfuhrzoll für Güter aus Brasilien ab 1. August an.
Zur Erinnerung: Der Rechtspopulist Bolsonaro streute – ganz wie einst Trump – vor der Wahl im Herbst 2022 Zweifel am brasilianischen Wahlsystem und den demokratischen Institutionen des Landes, erkannte seine knappe Wahlniederlage nicht an und hetzte im Januar 2023 seine Anhänger auf, um die Amtsübernahme von Lula gewaltsam zu verhindern. Die aufgebrachte Menge wütete ein paar Stunden im Präsidentenpalast, dem Parlament und dem Obersten Gericht, während das Militär wegschaute. Dann bekam die Bundespolizei den Tumult unter Kontrolle.
Brasiliens Demokratie gelingt, was die US-Justiz nicht geschafft hat: antidemokratische Zündler aus dem Verkehr zu ziehen.
Inzwischen haben Ermittler dank Kronzeugen und tausender sichergestellter Dokumente aufgedeckt: Bolsonaros innerster Zirkel hatte damals zusammen mit einigen Generälen einen Staatsstreich geplant, um die Amtsübernahme Lulas zu verhindern. Unliebsame demokratische Querulanten wie der oberste Richter Alexandre de Moraes sollten dabei ermordet werden, das Militär bot den Putschisten Rückendeckung. Deshalb ist Bolsonaro – der damals von Trumps Expropagandist Steve Bannon beraten wurde – nun angeklagt. Er ist bereits von der Wahl ausgeschlossen, zusätzlich drohen ihm bis zu 40 Jahre Haft. Brasiliens Demokratie gelingt, was die US-Justiz nicht geschafft hat: antidemokratische Zündler aus dem Verkehr zu ziehen. Und das missfällt Trump.
Die Episode illustriert, wie Trump in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit Lateinamerika behandelt hat: wie eine subalterne Kolonie, die man mit der Zoll-Knute in die Knie zwingt. Das ist Ausdruck seiner tiefen persönlichen Verachtung des Subkontinents und seiner Politiker, die er pauschal für korrupt und unfähig hält. Dieser Neo-Imperialismus weckt in Lateinamerika zwar reflexartige Ablehnung – aber dennoch hatte Trump mit seiner Erpresser-Methode Erfolge und konnte manchen Regierungen Zugeständnisse abringen.
Zum Beispiel in Ecuador. Dort hat Präsident Daniel Noboa vom Parlament die Verfassung ändern lassen und die Sperre von ausländischen Militärbasen aufgehoben. Die USA wollen eine Militärbasis auf den Galapagosinseln im Pazifik errichten, um Marineeinheiten und U-Boote zu stationieren. Ähnlich in Argentinien: Auf Feuerland ist der Aufbau einer integrierten Marinebasis geplant – als Hub für die Antarktis. Der Pazifik ist für die Falken im US-Pentagon der nächste große Kriegsschauplatz.
Mit Panama, Guatemala, Mexiko und El Salvador wurden Quid-pro-quo-Abkommen geschlossen, das heißt, diese Länder nehmen nicht nur eigene, sondern auch abgeschobene Migranten aus Drittländern zurück. Mexiko schickte seine Nationalgarde auf Migrantenjagd, hob reihenweise Fentanyl-Labore aus und verhängte Strafzölle gegen chinesische Konsumgüterimporte wie Elektronikartikel und Mode. Acht kriminelle Gruppen aus Mexiko, Venezuela, Kolumbien und El Salvador wurden von den USA zu terroristischen Vereinigungen erklärt – was verstärkte Sanktionen, Strafverfolgung, internationale Kooperation und rechtliche Wege zu militärischen Operationen eröffnet.
Der bislang größte Coup gelang den USA jedoch in Panama: Nach Trumps Drohungen, den Kanal notfalls mit Gewalt zurückzuholen – was in Panama ungute Erinnerungen an die Invasion 1989 weckte und den konservativen Präsidenten Raúl Mulino unter Druck setzte –, beschloss das Hongkonger Konglomerat CK Hutchison, 43 Häfen weltweit zu verkaufen, darunter die beiden in Panama, an der Pazifik- und der Atlantikseite. Einer Grundsatzvereinbarung zufolge wird der US-Investmentfonds BlackRock zusammen mit anderen Partnern 90 Prozent der Anteile an der Panama Ports Company übernehmen. Peking versucht derzeit allerdings, den Deal zu verhindern und eine Beteiligung der staatlichen Reederei Cosco zu erzwingen.
Kurzfristig war diese Blitzkriegs-Taktik also erfolgreich. Mittelfristig könnte der Schuss nach hinten losgehen. Zum einen deshalb, weil Trumps ideologische Alliierte in El Salvador, Argentinien und Ecuador natürlich Zugeständnisse für ihr Entgegenkommen erwarten: Investitionen, Kredite, Entwicklungshilfe, Waffen und andere Unterstützung bei der Bekämpfung der Drogenkartelle sowie politische Schützenhilfe.
Für alle Fälle bemühen sich selbst Trump-freundliche Regierungen in Südamerika derzeit verstärkt um eine Diversifizierung ihrer Beziehungen. Europa ist ein Wunschpartner, insbesondere im Hinblick auf das EU-Mercosur-Abkommen – aber auch Indien, die Türkei, Afrika, Südostasien und natürlich weiterhin China. Trumps Abkopplung Amerikas von China hat wenig Aussicht auf Erfolg – zu eng sind die Beziehungen speziell zwischen Südamerika und Peking in den vergangenen Jahrzehnten geworden. China ist 2025 in fünf Staaten der größte Handelspartner: Brasilien, Chile, Peru, Bolivien und Panama. Für die von den USA sanktionierten Diktaturen Kuba, Venezuela und Nicaragua spielt China ebenfalls eine wirtschaftliche Schlüsselrolle.
Ecuadors Präsident Daniel Noboa beispielsweise reiste gerade erst nach Peking und legte einen alten Streit um Schadensersatzforderungen wegen eines defekten chinesischen Staudamms bei. Und selbst der Argentinier Javier Milei, der im Wahlkampf noch nichts mit Kommunisten zu tun haben wollte, wurde zum Pragmatiker und äußerte sich „positiv überrascht“ über Chinas Zuverlässigkeit als Wirtschaftspartner.
Das Problem der Trump-Regierung ist, dass sie zwar taktiert, aber keine Strategie hat.
Das Problem der Trump-Regierung ist, dass sie zwar taktiert, aber keine Strategie hat. Die US-Regierung ficht in Lateinamerika an vier Fronten gleichzeitig: Zum einen will Trump mit brutaler Grausamkeit die Migration in die USA stoppen. Zum Zweiten soll das Handelsbilanzdefizit mit einigen Ländern wie Mexiko umgekehrt und Industrie soll in die USA zurückgeholt werden. Zum Dritten soll dem Vormarsch Chinas Einhalt geboten werden. Und zum Vierten wollen die USA ihre in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpfte strategische Kontrolle zurückerlangen, insbesondere im militärischen Bereich.
Es fehlt an einer strategischen Abstimmung und Priorisierung. Das hat auch mit Trumps improvisiertem Regierungsstil zu tun: Er trägt ideologische Grabenkämpfe aus, entweder aus eigenem Antrieb heraus oder aufgrund der Einwirkung seines Umfelds. Eine Schlüsselfigur ist sein Sohn Donald jr. Er organisiert die internationalen rechten Netzwerke der US-Regierung und unterhält freundschaftliche Beziehungen zu einigen lateinamerikanischen Politikern. 2024 war er beispielsweise zur Amtseinführung des Präsidenten Nayib Bukele in El Salvador. Er ist auch mit Bolsonaros Sohn Eduardo befreundet, der als Cheflobbyist seines Vaters in den USA fungiert.
Mit Brasilien hat sich Trump nun den wichtigsten Gegenspieler in der Region ausgesucht. Um Bolsonaro geht es dabei nur symbolisch. Die nachgereichte Liste der Zugeständnisse, die er eigentlich von Lula will, ist lang. Darunter die Abschaffung der sehr erfolgreichen digitalen Gratis-Bezahl-App Pix, die von der brasilianischen Zentralbank entwickelt wurde und die Visa und Mastercard den Rang abgelaufen hat. Zudem kritisiert Trump den strengen Datenschutz und die Haftung digitaler Plattformen für die Inhalte Dritter sowie die Regenwald-Abholzung, wodurch sich die brasilianische Agroindustrie unlautere Wettbewerbsvorteile verschaffe.
Lula pokert und spielt auf Zeit. Das kann er sich leisten: Nur zwölf Prozent der brasilianischen Ausfuhren gehen in die USA, und zwar vor allem Rohstoffe. Für Erdöl, Stahl, Zellulose, Kaffee, Orangensaft, Mangos und Rindfleisch lassen sich auf dem Weltmarkt relativ schnell andere Abnehmer finden. Worüber die US-Importeure nicht glücklich sein dürften. Hinzu kommt, dass Trumps Sympathiekundgebung nicht etwa Bolsonaro nützt, sondern Lula unverhofft einen Popularitätsschub verschaffte – denn auf auswärtige Einmischung reagieren die Brasilianer sehr ungehalten. Der südamerikanische Gigant hat nicht nur eigene weltpolitische Ambitionen, sondern vertritt diese auch selbstbewusst und mit dem professionellsten diplomatischen Apparat in ganz Lateinamerika. Ob Pokerface Lula oder Dealmaker Trump am längeren Hebel sitzt, werden aber definitiv wohl erst die brasilianischen Wähler 2026 entscheiden.
Ein Problem zeigt dieses Hickhack der Trump’schen Außenpolitik aber klar: Einst pflegte die USA in der Region eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche. Trump hat bislang nur die Knute ausgepackt. Doch auf Dauer brauchen selbst Trumps Gesinnungsgenossen in Lateinamerika Investitionen und eine funktionierende Wirtschaft, um sich an der Macht zu halten. Und beides bietet bislang weiterhin vor allem China.




