Nach den grausamen Angriffen der Hamas, bei denen 1 200 Menschen im Süden Israels ermordet wurden, war die Welle der Empathie groß. Das war wichtig, für die Angehörigen der Opfer, für das ganze Land, das sich in Schockstarre und Angst befindet. Auch in Deutschland und der EU sicherten Politiker aller Couleur Unterstützung zu.

In die Beileidsbekundungen und Zusicherungen von Solidarität mischte sich jedoch bald eine irritierende Forderung: Die finanzielle Unterstützung für die Palästinenser sei auf den Prüfstand zu stellen, forderten gleich mehrere Ministerinnen und Minister der Bundesregierung. Aus den Reihen der Opposition wurde gar die Forderung laut, jegliche Zahlungen einzustellen – inklusive der Beiträge über die Vereinten Nationen oder das Rote Kreuz. Ähnlich populistisch äußerte sich der ungarische EU-Erweiterungskommissar und Orbán-Vertraute Olivér Várhelyi: Auf X, ehemals Twitter, verkündete er, die EU werde ihr gesamtes Entwicklungs-Portfolio überprüfen und alle Zahlungen sofort einstellen.

Doch schnell widersprach die EU, humanitäre Mittel seien nicht betroffen. Das ist wichtig, denn diese Hilfe ist angesichts des laufenden israelischen Angriffs auf den Gazastreifen und der drastischen Folgen für die Zivilbevölkerung notwendiger denn je. Infrastruktur, Wohngebäude, Energie- und Gesundheitsversorgung sind erneut massiv beschädigt, Hunderttausende intern vertrieben. Und schon vor der laufenden Offensive waren 80 Prozent der Menschen im Gazastreifen von Lebensmittelhilfen abhängig. So verständlich der Wunsch ist, angesichts großer Hilflosigkeit in Aktion zu treten: Zur Symbolpolitik taugt das Thema der Hilfsgelder nicht, denn die realen Folgen könnten gravierend sein.

Zur Symbolpolitik taugt das Thema der Hilfsgelder nicht.

Um welche Gelder geht es in der aktuellen Auseinandersetzung? Die über den humanitären Rahmen hinausgehende finanzielle Unterstützung geht auf den Friedensprozess der 1990er Jahre zurück, in dem die EU die Rolle der finanziellen und institutionellen Förderung der neu geschaffenen palästinensischen Autonomiebehörde übernahm. Mit der Prinzipienerklärung von 1993 war beabsichtigt, innerhalb von fünf Jahren ein „Ende der Jahrzehnte der Konfrontation und des Konflikts“ zu erreichen. Wie dies passieren sollte, wurde allerdings unzureichend und nicht verbindlich festgelegt. Nach und nach sollte Territorium an die Palästinenser übertragen werden, doch nach der Ermordung Yitzchak Rabins Ende 1995 entgleiste der Prozess unter der Ägide eines gerade frisch gewählten, entschiedenen Gegners des Friedensprozesses – Benjamin Netanjahu.

Bundesregierung und die EU mochten die Hoffnung, dass aus der palästinensischen Autonomiebehörde doch noch ein überlebensfähiger Staat erwachse, seitdem nicht aufgeben. Daher investierten sie bis heute mehrere Milliarden Euro, vor allem in den Aufbau der Institutionen und der Verwaltung. Ein großer Teil der deutschen Mittel von derzeit jährlich rund 340 Millionen Euro fließt an das UN-Flüchtlingshilfswerk, das die Schulbildung und Gesundheitsversorgung für Palästinaflüchtlinge nicht zuletzt in Gaza übernimmt. Dazu kommen Projektmittel, die zum Beispiel von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder den deutschen politischen Stiftungen an ihre oft langjährigen Partner in verschiedenen Bereichen gezahlt werden. Diese kommen auch den Kommunen und der palästinensischen Zivilgesellschaft zugute, die in unterschiedlichsten Bereichen aktiv ist, etwa Demokratieförderung, Menschenrechtsbildung, Frauenrechte oder Kunst und Kultur.

Die Infragestellung dieser Gelder ist gleich aus mehreren Gründen nicht nur falsch, sondern schlichtweg kontraproduktiv und gefährlich. Zunächst überrascht die Ankündigung, dass das „gesamte Engagement für die Palästinensischen Gebiete auf den Prüfstand“ gestellt werde, um sicherzustellen, dass Gelder auch indirekt nicht an Terroristen fließen. Das provoziert die Frage, ob dies denn in der Vergangenheit nicht gewährleistet war! Doch in Wirklichkeit enthalten Zuwendungsverträge der Bundesregierung und der EU längst sogenannte „Terrorismusklauseln“, denen Partnerinnen und Partner zustimmen müssen. Weil gerade die Mittel, die Bundesregierung und EU an die Palästinenser auszahlen, immer wieder Gegenstand von nicht selten polemischer Kritik und von Nachfragen waren, werden die betroffenen Organisationen und Individuen vor einer Förderung akribisch untersucht. Eine Prozedur, die von palästinensischen Organisationen immer wieder kritisiert wurde, die um ihre Unabhängigkeit fürchten.

Allein in der aktuellen Legislaturperiode waren Hilfszahlungen an Palästina Gegenstand von zehn schriftlichen Anfragen aus dem Bundestag an die Bundesregierung. Statt eines Mangels an Aufmerksamkeit könnte man eher beklagen, dass in der Vergangenheit palästinensische Organisationen unter Generalverdacht gestellt wurden – so wie im Falle der sechs palästinensischen Menschenrechtsorganisationen, die der israelische Verteidigungsminister im Oktober 2021 in Israel auf die Terrorliste setze, ohne stichhaltige Belege für Anschuldigungen anzubringen. Die Folgen für die Arbeit der betroffenen Organisationen waren massiv. So fließen bis heute aus Deutschland keine Gelder mehr an diese Organisationen. Besonders bedenklich: Betroffene wie die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq sind nicht nur wichtige Säulen innerpalästinensischer Demokratie, sondern sie kritisieren seit langem auch palästinensische Menschenrechtsverletzungen seitens der Hamas oder der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA).

Ein auf Dauer unbewohnbarer, verelendeter Gazastreifen ist ebenso inakzeptabel wie der Zusammenbruch aller Strukturen in der Westbank.

Wenn Gelder nicht nur auf den Prüfstand gestellt, sondern auch tatsächlich zurückgehalten würden, könnte dies aber noch viel weitreichendere Konsequenzen haben: Fallen die Unterstützungsleistungen für den Aufbau von Verwaltung und Regierungsführung sowie für das UN-Flüchtlingshilfswerk und dessen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen weg, droht ein Kollaps dieser bereits schwer angeschlagenen Strukturen. Die Finanzierung war bereits in der Vergangenheit wackelig, auch weil die israelische Rechtsregierung immer wieder der PA zustehende Steuereinnahmen einbehielt oder gegen das Flüchtlingswerk hetzte. Dabei wissen viele israelische Politiker genau, wie gefährlich ein Ende der Unterstützung sein könnte. Zerbricht die PA, steht Israel wieder alleine in der Verantwortung: Dann wäre Israel als Besatzungsmacht wie vor 1993 für die gesamte Versorgung der Palästinenser zuständig. Auch die Sicherheitskoordinierung würde dann enden, ein Horrorszenario in der aktuellen Bedrohungssituation. Ein neuer Aufstand mit einer weiteren ungebremsten Gewalteskalation wie in der Zweiten Intifada könnte die Folge sein.

Richtig ist, dass sich die EU angesichts des Scheiterns der Zweistaatenlösung grundsätzlich fragen muss, inwieweit die Palästinensische Autorität noch ein geeigneter Partner für die angestrebten Ziele einer friedlichen Konfliktregelung ist. Denn die Palästinensische Autonomiebehörde ist in den Augen der palästinensischen Gesellschaft längst diskreditiert und seit 2006 nicht mehr durch Wahlen demokratisch legitimiert. Allerdings wäre Voraussetzung einer Kursänderung eine neue Gesamtstrategie, die auch einen alternativen politischen Horizont schaffen müsste. Unterstützungsleistungen für die palästinensische Zivilgesellschaft, die Vereinten Nationen und die Sicherstellung notwendiger humanitärer Hilfe müssten dann erst recht weiter gestärkt werden.

Die Forderung nach Überprüfung oder gar einem Ende der Unterstützung kommt daher angesichts der aktuellen Eskalation zur absoluten Unzeit. Ihre Wirkung ist kontraproduktiv, das Signal fatal. Zwar hört man sie in der Hardliner-Regierung Netanjahus zweifelsohne gern, aber diese hat auch keine Antwort, wie es nach der von Verteidigungsminister Gallant angekündigten Totalblockade des Gazastreifens und den zu erwartenden weitgehenden Zerstörungen weitergehen soll.

Ein auf Dauer unbewohnbarer, verelendeter Gazastreifen ist ebenso inakzeptabel wie der Zusammenbruch aller Strukturen in der Westbank. Die Folge wären noch mehr Chaos und Terror. Der Moment der Solidarität mit Israel muss jetzt genutzt werden, um auch all jene palästinensischen Akteure zu stärken, die für ein friedliches Miteinander auf der Grundlage der Verwirklichung der Rechte aller Menschen in der Region eintreten.