Wladimir Putins erste Personalentscheidung nach der offiziellen Einführung in seine fünfte Amtszeit als Präsident war die erneute Nominierung von Michail Mischustin als Ministerpräsident – die russische Verfassung schreibt vor, dass vor der Amtseinführung des Präsidenten die Regierung zurücktreten muss. Auch die meisten Minister werden ihre bisherigen Ressorts behalten. Eine Überraschung hatte Putin allerdings doch auf Lager: Der Wirtschaftsfachmann Andrej Beloussow, bisher stellvertretender Ministerpräsident, wird Verteidigungsminister. Sein Amtsvorgänger Sergej Schoigu rückt an die Spitze des Sicherheitsrats und löst dort den mächtigen Nikolaj Patruschew ab.
Die Ersetzung Schoigus durch Beloussow ist die entscheidende Veränderung im neuen Kabinett Putins. Alle anderen Umbesetzungen dienen nur dazu, für die durch diese Änderung ausgetauschten Personen neue Posten zu finden. Putin konnte mit dem Stühlerücken zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er entledigt sich des unpopulären Schoigu und beauftragt Beloussow mit der Optimierung der Kriegswirtschaft.
Schoigus Entlassung ging ein Konflikt zwischen Verteidigungsministerium und militärisch-industriellem Komplex voraus, der immer weitere Kreise zog. Generäle der Armee klagen über schleppende Produktion, Qualitätsmängel bei Waffen und Ausrüstung sowie über Schwierigkeiten bei der Wartung und Instandhaltung. Die Chefs der Rüstungsindustrie wiederum werfen der Armee vor, sie sei korrupt und habe unrealistische Erwartungen. In solchen Streitigkeiten schlägt Putin sich ungern auf eine Seite und versucht stattdessen, die Beziehungen neu auszutarieren und die Beteiligten mit Macht dazu zu bringen, dass sie produktiver zusammenarbeiten.
Beloussows Nominierung hat ganz offenbar eine gewisse Logik, dürfte aber gleichwohl ein Experiment sein.
Beloussow, der bis dahin für „technologische Souveränität“, Innovation und die Beaufsichtigung der Drohnenproduktion zuständig war, rückt nun in den Fokus. Von ihm weiß man, dass er nicht nur ein erfahrener Ökonom, sondern auch – ungewöhnlich für einen Wirtschaftstechnokraten – tief religiös ist. Zudem ist er bekannt für seinen Patriotismus (2014 war er einer der wenigen öffentlichen Figuren, die die Annexion der Krim sofort unterstützten) und seine Loyalität. Aus langjähriger Erfahrung weiß er, wie es ist, mit Putin zu arbeiten. Seine Nominierung hat ganz offenbar eine gewisse Logik, dürfte aber gleichwohl ein Experiment sein. Nun muss Beloussow unter Beweis stellen, dass er zu Recht nominiert wurde.
Beloussows Beförderung als kometenhaften Aufstieg zu werten, wäre allerdings übertrieben. Sie ist nicht zwangsläufig ein Beweis, dass Putin ihm vertraut, sondern hat mit seiner Außenseiterrolle im bisherigen Kabinett zu tun. Er ist seit dem Großangriff auf die Ukraine 2022 nicht der erste Wirtschaftstechnokrat, der aufgestiegen ist: Dmitri Patruschew (Sohn des bisherigen Sekretärs des Sicherheitsrats) wurde Landwirtschaftsminister; Finanzminister Anton Siluanow verdankte seinen Aufstieg dem Exodus westlicher Unternehmen; und Handels- und Industrieminister Denis Manturow rückte zum stellvertretenden Ministerpräsidenten auf. Beloussow hingegen war bis jetzt eine Randfigur. Seine staatszentrierte Vorstellung von Wirtschaft passt eigentlich nicht zu dem in Russland eingeführten Kriegswirtschaftsmodell, das auf Krisenbekämpfung ausgerichtet ist.
Dass die Wahl zum neuen Verteidigungsminister auf Beloussow fiel, gibt allerhand Rätsel auf. Er wird nicht dafür zuständig sein, die Wirtschaft mobilzumachen und zu militarisieren. Sich erfolgreich in die Bedürfnisse der Armee hineinzudenken, wird für ihn keine leichte Aufgabe, denn er bringt keine Militärerfahrung mit. Das Militär wird mit Skepsis registrieren, dass ein Wirtschaftsfachmann die Zuständigkeit für die Verteidigung übernimmt, und ablehnend reagieren, sobald er ihnen verstärkt auf die Finger schaut, sie kontrolliert und personelle Veränderungen vornimmt. Hinzu kommt Beloussows eher angespanntes Verhältnis zu den oft instinktiv liberal eingestellten Ministern, die in der Regierung für Wirtschaft und Finanzen zuständig sind.
Klar ist: Putin will deutlich machen, dass er einen pragmatischeren und professionelleren, weniger korrupten Umgang mit den Bedürfnissen der Streitkräfte braucht. Doch sein Schritt ist ein Experiment ohne Erfolgsgarantie.
Durch Schoigus Entlassung hat Putin sich allerdings selbst unter Zugzwang gesetzt.
Besonders erstaunlich ist, dass Patruschew durch Schoigu ersetzt wird. Durch dessen Entlassung hat Putin sich allerdings selbst unter Zugzwang gesetzt. Hätte er Schoigu einen allzu nachrangigen neuen Job gegeben, wäre dies eine Demütigung gewesen und hätte die Kritik am scheidenden Minister so laut werden lassen, dass die Schwachpunkte der Armee in den Fokus gerückt wären – was es in Kriegszeiten zu vermeiden gilt.
Entsprechend wichtig war ein ehrenvoller Abgang für Schoigu. Putin machte ihn nicht nur zum Sekretär des Sicherheitsrats, sondern auch zu seinem eigenen Stellvertreter in der Kommission für Rüstungsfragen (als Putins erster Stellvertreter fungiert in diesem Organ Ex-Präsident Dmitri Medwedew). Zugleich übernimmt Schoigu die Aufsicht über den Föderalen Dienst für militärtechnische Zusammenarbeit, der informell vom staatlichen Rüstungskonzern Rostech kontrolliert wird und inzwischen nicht mehr dem Verteidigungsministerium, sondern dem Präsidenten unterstellt ist.
Dennoch ist klar, dass die Versetzung für Schoigu zweifellos eine Degradierung und keine Beförderung ist. Als Sekretär des Sicherheitsrats hat er weder großes administratives Gewicht noch eine üppige Personalausstattung und auch keine Exekutivbefugnisse. Gesetzesinitiativen kann er ebenfalls nicht auf den Weg bringen. Wie viel Einfluss ein Sicherheitsratschef entfaltet, hängt vom Amtsinhaber selbst ab.
Unter Putin gab es zwei Sicherheitsratschefs, die großen Einfluss hatten: Sergej Iwanow, der das Amt von 1999 bis 2001 ausübte und anschließend Verteidigungsminister wurde, und Nikolai Patruschew. Anders als bei Schoigu gab es zwischen Patruschew und Putin jedoch immer eine große Nähe, was an ihren ideologischen Übereinstimmungen und ihrer gemeinsamen Arbeit lag. Als früherer Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB unterhält Patruschew nach wie vor enge Beziehungen zum Sicherheitsapparat. Zudem übernahm Patruschew für Putin wichtige diplomatische Missionen und war für das Regime sowohl ideologisch als auch außenpolitisch eine prägende Figur.
In den zwei Jahren seit Beginn des Großangriffs auf die Ukraine ist Schoigu für Russlands Führungsriege regelrecht zum roten Tuch geworden.
Schoigu hat keinen dieser Pluspunkte. Er gehörte im Grunde nie zu Putins engstem Umfeld und wurde zu keinem Zeitpunkt in Ideologiefragen eingebunden. Stattdessen hat er es geschafft, sich bei weiten Teilen der Elite unbeliebt zu machen, vor allem beim Sicherheitsapparat und den Armeegenerälen. In den zwei Jahren seit Beginn des Großangriffs auf die Ukraine ist Schoigu für Russlands Führungsriege regelrecht zum roten Tuch geworden. Dementsprechend wird er sich wohl nicht zu einem zweiten Patruschew entwickeln; und die Funktion als Sekretär des Sicherheitsrats ist für ihn kaum mehr als ein Versorgungsposten. Ähnlich erging es Dmitri Medwedew 2020, als Putin ihn aus dem Amt des Ministerpräsidenten entfernte.
Patruschew indessen wurde von Putin zum Präsidentenberater ernannt. Er ist allerdings so altgedient, dass er beinahe gar keinen Posten braucht. Sein ideologischer Einfluss und seine wichtige außenpolitische Rolle sind garantiert und hängen nicht davon ab, welche Funktion er offiziell bekleidet.
Alles in allem wirkt Putins Stühlerücken wie eine gezielte Optimierungsmaßnahme. Seine Entscheidungen lassen alle darauf schließen, dass er mit der derzeitigen Machtkonfiguration zufrieden ist und an der Regierungsmannschaft auch in Zukunft nur dann etwas ändern wird, wenn er will, dass sie effizienter arbeitet. An großen Veränderungen ist er nicht interessiert.
Die englische Originalversion des Artikels erschien zuerst bei Carnegie Politika.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld