Die durch und durch peinliche Unfähigkeit der Republikanischen Partei, nach mehreren Versuchen einen Sprecher des US-Repräsentantenhauses zu wählen, ist eine Krise, die sie selbst verursacht hat. Spätestens seit der Präsidentschaft von Barack Obama hat die Republikanische Partei eine Stärkung ihrer rechten Flanke erlebt, deren Aufgabe nicht darin bestand, Politik zu machen, sondern Fortschritt zu verhindern, und deren Taktik eher Zerstörung als Diplomatie hieß.

Die Anfänge der aktuellen Spielart dieses politischen Extremismus waren bereits zu erkennen, als John McCain 2008 die völlig unqualifizierte Sarah Palin zu seiner Co-Kandidatin wählte. Sie war nicht intellektuell, doch sie war willensstark. Sie war ein Anti-Obama. In ihrer Rede auf dem Parteitag der Republikaner im Jahr 2008 sagte sie, sie habe gelernt, dass es ausreiche, „kein vollwertiges Mitglied der Washingtoner Elite“ zu sein, damit „manche Medien einen Kandidaten für unqualifiziert halten“. Aber, so fuhr sie fort, „hier ist eine kleine Neuigkeit für all diese Reporter und Kommentatoren: Ich gehe nicht nach Washington, um Ihnen zu gefallen; ich gehe nach Washington, um den Menschen in diesem Land zu dienen.“

Wie ein Virus, der Varianten entwickelt, kanalisierte sich die Palin-Begeisterung in die Tea-Party-Bewegung, die sich zum Freedom Caucus entwickelte und sich bei den Wählern als Trumpismus manifestierte.

Palin hat eine gefährliche Realität über die republikanische Basis aufgedeckt: dass sie nach Konflikten und Spektakel hungert, dass sie jedem zujubelt, der Liberale verärgert, dass Darstellung weitaus wichtiger ist als Kompetenz. Wie ein Virus, der Varianten entwickelt, kanalisierte sich die Palin-Begeisterung in die Tea-Party-Bewegung, die sich zum Freedom Caucus (einer Gruppe besonders rechter republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus) entwickelte und sich bei den Wählern als Trumpismus manifestierte.

Das Parteiestablishment entschied sich, diese Randgruppen zu ignorieren. Man ging davon aus, dass die von ihnen erzeugte Energie von Nutzen sein könnte und jeglicher von ihnen angerichtete Schaden abgemildert werden könne. In jedem Fall repräsentierten sie nur einen Bruchteil der Mitglieder und konnten immer leicht überstimmt werden.

Das Problem war, dass ihr Einfluss und ihr Profil immer weiter wuchsen. Sie lernten ihre Lektion aus den Palin-Jahren: Spektakel erzeugt Ruhm, der wiederum Macht erzeugt, die Einfluss und möglicherweise Kontrolle bringt. Sie begannen, diese Macht auch auszuüben. Der Freedom Caucus zwang im Jahr 2015 den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, zum Rücktritt. Denn seine Mitglieder waren der Meinung, dass er nicht energisch genug gegen Obama vorging. Der Abgeordnete Peter King soll gesagt haben: „Für mich ist das ein Sieg der Verrückten.“

Die Lektion aus den Palin-Jahren: Spektakel erzeugt Ruhm, der wiederum Macht erzeugt.

Aber diese „Verrückten“ waren noch lange nicht fertig. Sie weigerten sich damals, Kevin McCarthy bei der Wahl zum Parlamentspräsidenten zu unterstützen, weil er Boehners Nummer 2 war. Zudem waren die Republikaner wütend darüber, dass er nicht dichthielt, sondern die Wahrheit über die Bengasi-Ermittlungen preisgab: dass es sich um eine politische Hexenjagd handelte, die Hillary Clintons Aussichten auf die Präsidentschaft schaden sollte.
 
Ein Teil der damaligen Verachtung für McCarthy hat sich zweifellos gehalten und zeigt sich in den gescheiterten Abstimmungen dieser Woche, ihn zum Sprecher des Repräsentantenhauses zu machen.

Donald Trump wurde im Jahr 2016 zum Paradebeispiel für die Synergie von Ruhm, Macht und Einfluss, nach der sich die republikanische Basis sehnt, als er die Brandmauer des Establishments durchbrach und seinen Anhängern gab, was sie wollten: einen ungezügelten politischen Anarchisten, einen weißen Nationalisten ohne Kompromisse. In der Ära Trump wurden die Marjorie Taylor Greenes der Partei zu Rockstars der Basis, auch wenn sie unter ihren Kollegen als Witzfiguren galten. Ihr Erfolg hat dazu geführt, dass der Begriff „Randgruppen“ für sie nicht mehr passt. In vielerlei Hinsicht sind sie die Republikanische Partei.

Zu wenige Mainstream-Republikaner haben gegen die Possen und Beleidigungen der rechten Randgruppen protestiert.

Die ganze Zeit über haben zu wenige Mainstream-Republikaner gegen ihre Possen und Beleidigungen protestiert. Paul Ryan, der 2015 Sprecher wurde, als der Freedom Caucus deutlich machte, dass seine Mitglieder McCarthy nicht unterstützen würden, wusste, dass Trump ein Problem darstellt. Er sagte aber wenig gegen ihn, bis Ryan schließlich sein Amt verließ. Wie der Journalist Tim Alberta 2019 im Magazin Politico berichtete, traf Ryan als Sprecher die bewusste Entscheidung, nicht auf Trump zu „schimpfen“, sondern „den Institutionen beim Überleben zu helfen“, um „die Antikörper des Landes aufzubauen“ sowie „Leitplanken aufzustellen“. Er wollte, so sagte er, „das Auto in der Mitte der Straße fahren“, ohne es „in den Graben krachen zu lassen“.

Wie viele andere etablierte Republikaner meinte Ryan, das Land zu schützen, indem er sich auf die Zunge biss, den Kopf einzog und sein Bestes tat, um mit Trump zusammenzuarbeiten und seine Arbeit zu erledigen. Aber dieses Schweigen wurde als Akzeptanz verstanden, nicht nur von Trump, sondern auch von den Brandstiftern unter den Mitgliedern der Partei im Kongress. Jetzt ist diese Gruppe stark genug, um zum ersten Mal in 100 Jahren zu verhindern, dass ein Sprecher des Repräsentantenhauses im ersten Wahlgang gewählt wurde. Und auch die Wahlgänge 2 bis 11 brachten kein anderes Ergebnis.

Und sie bekommen genau das, was sie wollen: mehr Schlagzeilen, mehr Sendezeit, mehr Spektakel und damit mehr Macht. Sie sind nicht daran interessiert, zu regieren, sondern daran, den wachsenden Drang der republikanischen Basis herauszukitzeln, einen Schraubenschlüssel ins Getriebe zu werfen.
 
© New York Times

Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer