Die Umbenennung des amerikanischen Verteidigungsministeriums in „Kriegsministerium“ durch Präsident Donald Trump fällt mitten in seine persönliche Kampagne, sich selbst für den Friedensnobelpreis ins Gespräch zu bringen. Einmal mehr unterzeichnete der „Präsident des Friedens“, wie ihn das Weiße Haus tituliert, eines seiner zahlreichen Dekrete – diesmal zur offiziellen Einführung des Kriegsministeriums.
Beim Lesen dieser Nachricht drängen sich zwei widersprüchliche Assoziationen auf: George Orwell beschreibt in seinem 1949 erschienenen dystopischen Roman 1984 vier Ministerien, die jeweils das Gegenteil dessen tun, was ihr Name verspricht – das Friedensministerium führt Krieg, das Wahrheitsministerium verbreitet Lügen, im Ministerium der Liebe wird gefoltert und das Ministerium für Überfluss kümmert sich um die Rationierung kaum verfügbarer Güter. Und nun benennt Trump das Pentagon um in „Kriegsministerium“ – eine Art Orwell spiegelverkehrt? Doch stellt sich die Frage: Verdreht Trump mit diesem Begriff tatsächlich die Fakten?
Dies bringt uns zum zweiten Gedanken. Man könnte auch meinen: Endlich einmal ehrlich! Denn die US-Streitkräfte verteidigen längst nicht in erster Linie das eigene Land, sondern sind weltweit in Militäroperationen aktiv. Jüngstes Beispiel war der Angriff auf iranische Atomanlagen. Seit dem Jahr 2000 führte die US-Armee mindestens ein Dutzend Einsätze durch – in Afghanistan und Somalia, im Irak und im Iran, in Libyen und Syrien, im Jemen und in Haiti. „Als Warnung für jeden“, erklärte der Präsident, habe das US-Militär vergangene Woche sogar ein venezolanisches Schiff in der Karibik beschossen, das angeblich Drogen schmuggelte.
Die Einsätze des US-Militärs finden nicht nur weltweit statt, sondern zunehmend auch im Innern der USA. Der Präsident diffamiert seine innenpolitischen Gegner und kündigt an, Chicago werde bald „erfahren, warum es KRIEGS-Ministerium heißt“. Vermummte, bewaffnete Beamte verschleppen Einwanderer von der Straße oder aus Fabriken. Die Opposition gilt als Feind.
Hat Orwell nicht schon vor drei Vierteljahrhunderten genau das beschrieben, was Trump heute praktiziert?
Vielleicht ist das, was derzeit in Washington inszeniert wird, gar nicht so widersprüchlich. Orwell schreibt: Die Namensgebung seiner vier Ministerien sei weder Zufall noch bloße Heuchelei, sondern Ausdruck des doublethink – jener Fähigkeit, zwei einander widersprechende Überzeugungen gleichzeitig zu akzeptieren und beide für wahr zu halten. Genau das scheint die Trump-Administration fortwährend zu praktizieren. Nachrichten, die nicht ins Bild passen, werden kurzerhand als „Fake News“ abgetan. Missfallen dem Präsidenten die offiziell erhobenen Arbeitsmarktdaten, wird die zuständige Chefstatistikerin entlassen. Bereits in Trumps erster Amtszeit zählte die Washington Post mehr als 22 000 irreführende oder falsche Behauptungen.
Hat Orwell nicht schon vor drei Vierteljahrhunderten genau das beschrieben, was Trump heute praktiziert? „Zu wissen und nicht zu wissen, bei sorgfältig konstruierten Lügen an die Wahrheit zu glauben, gleichzeitig widersprüchliche Meinungen zu vertreten, die sich gegenseitig auslöschen, und dennoch an beide zu glauben …“ Doublethink bedeutet, unbequeme Fakten zu vergessen, abrupte Kurswechsel vollziehen und Feindbilder jederzeit anpassen zu können. All dies entwickelt Orwell bereits in Essays der 1930er Jahre und verdichtet es in 1984 zur perfekten Manipulation im Dienste des Machterhalts. Trumps doublethink wird inzwischen meist nur noch achselzuckend hingenommen. Viele ducken sich weg, manche hoffen, ihn mit Schmeicheleien gnädig zu stimmen – in den USA ebenso wie international. Trump ist es gelungen, die Innen- wie die Weltpolitik zu infantilisieren.
Der Präsident, der nach eigener Aussage bereits sieben Kriege durch Vermittlung beendet haben will, kann sich zugleich als Friedensfürst inszenieren und das Verteidigungsministerium in „Department of WAR“ umtaufen. Präsident Harry S. Truman hatte 1949 das Gesetz unterzeichnet, das aus dem Kriegsministerium das Verteidigungsministerium machte. Trotz der angespannten Weltlage im beginnenden Kalten Krieg wollte die US-Regierung mit dieser Umbenennung den Willen bekunden, nicht Kriege zu führen, sondern das Land zu verteidigen. Die Realität sah anders aus: Koreakrieg, Vietnamkrieg, Afghanistankrieg – um nur die verlustreichsten Einsätze zu nennen. Der Machterhalt und die Sicherung der globalen Dominanz Amerikas waren auch Trumps Vorgängern ein Anliegen. Doch immerhin gelang es ihnen, den Kalten Krieg kalt zu halten – und nicht heiß werden zu lassen.
Der Machterhalt und die Sicherung der globalen Dominanz Amerikas waren auch Trumps Vorgängern ein Anliegen.
Warum also jetzt der Namenswechsel? Bei der Unterzeichnung des Dekrets erklärte Trump lapidar, „Kriegsministerium“ sei ein „viel passenderer Name, insbesondere angesichts der aktuellen Weltlage“. Verteidigungsminister Pete Hegseth, der nun den Titel „Secretary of War“ trägt, argumentierte: „Wir haben den Ersten Weltkrieg gewonnen, und wir haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen – nicht mit dem Verteidigungsministerium, sondern mit dem Kriegsministerium.“ Und er zitierte den Präsidenten: „Wir sind nicht nur Verteidigung, wir sind Offensive.“ Es werden also nicht nur die Türschilder ausgetauscht; es handelt sich um mehr als nur eine Namensänderung. Hegseth hatte schon vor seiner Ernennung angekündigt, die „Lethalität“ und das „Ethos der Krieger“ zurück in die Streitkräfte zu bringen.
Mit der Umbenennung stößt die US-Regierung nicht nur bei Freunden und Verbündeten auf Unverständnis, sie befeuert auch das Narrativ Russlands und Chinas: Schon lange vor Trumps Amtsantritt hatten beide Staaten propagiert, das Bild der friedliebenden USA, die für internationales Recht eintreten, werde durch ihre konkrete Außen- und Sicherheitspolitik widerlegt. Die Soft Power – über Jahrzehnte ein Markenzeichen amerikanischer Politik, gestützt auf Werte, Entwicklungshilfe, Pressefreiheit und Menschenrechte – spielt heute kaum noch eine Rolle. Stattdessen setzt die Regierung Trump auf Hard Power: militärische Stärke, kombiniert mit erpresserischen Methoden, um America First brachial durchzusetzen, sei es mit Strafzöllen, der Drohung mit einer Annexion Grönlands oder Kanadas oder mit dem Anspruch auf Kontrolle des Panamakanals.
Das Rebranding zum Kriegsministerium offenbart eine konsequente, wenn auch rückwärtsgerichtete Politik. Sie knüpft an die Monroe-Doktrin und an die lange Geschichte amerikanischer Interventionen weltweit an. Doch wie passt das zu Trumps Wahlversprechen an seine MAGA-Basis, die USA aus den Krisen und Kriegen der Welt herauszuhalten? Doublethink!