Die Wahl 2024 wird „durch Podcasts entschieden“, prognostizierte Bobby Kennedy letztes Jahr – und das ist vielleicht der Satz, mit dem er am meisten in Erinnerung bleiben wird. Die Wahl steht nach wie vor auf Messers Schneide, aber zuletzt ist Trump im Aufwind. Sein Auftritt in Joe Rogans Podcast könnte ihm letztendlich den Sieg sichern. Dieser Moment war historisch und reicht in seiner Bedeutung über die anstehende Wahl hinaus, denn er markierte den endgültigen Wechsel von traditionellen zu neuen Medien.
Kamala Harris hat sich in den klassischen Massenmedien gut geschlagen: Sie leitete erfolgreich den Parteitag der Demokraten und schnitt im TV-Duell mit Trump besser ab. Doch in der Welt um sie herum schwindet der Einfluss der Massenmedien rapide. Ihr harmloses 60 Minutes-Interview hat Harris mehr geschadet als genutzt – es war fast durchgehend langweilig, und das Einzige, was in Erinnerung bleibt, ist die vermeintliche Kürzung einer unglücklichen Antwort durch 60 Minutes. Ihre mutige Entscheidung, bei Fox News aufzutreten, ging möglicherweise nach hinten los, denn Bret Baier nahm Harris in seinem Interview hart in die Mangel und drängte sie permanent in die Defensive. Zu allem Überfluss entzogen sowohl die Washington Post als auch die Los Angeles Times (genauer gesagt: die Tech-Unternehmer, denen sie gehören) ihr zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt die Unterstützung, indem sie von ihrer langjährigen Praxis der Wahlempfehlung abwichen.
An nichts von alldem ist im Grunde Harris schuld, aber sie führt den Wahlkampf von heute mit den Waffen von gestern – oder eher mit Waffen aus Zeiten, die einige Wahlzyklen zurückliegen. Trump war in Sachen Podcasts immer einen Schritt voraus. Er ergriff die Initiative, trat vermehrt in diesen auf und zwang Harris dazu, aufzuholen. Vor allem aber zog er den größten Fisch an Land – Joe Rogan –, der während des Wahlkampfs lange unentschlossen war und mit seinen größtenteils anbiedernden Fragen den Anschein erweckte, er bewege sich auf das Trump-Lager zu.
Das Interview selbst bot nichts Außergewöhnliches. Trump gab sich wie gewohnt, brachte seine üblichen Standpunkte vor und verlor immer wieder den Faden – „Sie schweifen ab“, musste Rogan ihn ermahnen. Entscheidend war jedoch, dass der Auftritt wie eine absolut natürliche Fortsetzung der besten derzeit verfügbaren Massenmedien wirkte. Das Interview vermittelte das Gefühl, man würde einem Kaminplausch beiwohnen oder einem alten Mann zuhören, der auf der Veranda sitzt und ein Schwätzchen hält – der nörgelt, vorlaute Bemerkungen macht oder in Erinnerungen schwelgt und dabei so abseitige Themen streift wie das Leben auf dem Mars und die Zölle der Regierung McKinley (McKinley war von 1897 bis 1901 US-Präsident). Substanzielles war Mangelware – dass Trump die Trinkgeldbesteuerung abschafft, ist genauso unwahrscheinlich wie eine Abschaffung der Einkommenssteuer –, aber darauf kommt es nicht an. Wenn man in so einem Kuschelformat jemandem lange genug zuhört und Rogan seinem Gast immer wieder die Bälle zuspielt, erscheint alles plötzlich vernünftig.
Rogan hat eine Zuhörerschaft von 20 bis 30 Millionen Menschen.
Das Entscheidende ist: Rogan hat eine Zuhörerschaft von 20 bis 30 Millionen Menschen, etwa dreimal so viele wie 60 Minutes. Die Wahrscheinlichkeit, dass unentschlossene Wähler – und davon gibt es viele – durch Trumps Auftritt bei Rogan angesprochen werden, ist erheblich gestiegen. Die Ausrede des Wahlkampfteams von Kamala Harris, sie habe aus terminlichen Gründen nicht bei Rogan auftreten können, ist geradezu lachhaft und, wenn man sie für bare Münze nimmt, absolut steinzeitlich. Denn egal wie viele Wahlkampfveranstaltungen Harris in den letzten Tagen vor der Wahl noch abhält, sie wird niemals auch nur annähernd die Hunderttausenden oder gar Millionen unentschlossener Wählerinnen und Wähler erreichen, die sie aufgrund ihrer Absage an Rogan verpasst hat.
Podcasts wie der von Rogan bieten noch etwas anderes, das vom Washingtoner Establishment völlig verkannt wird und mit Vertrauen zu tun hat. Rogan fand dafür gleich zu Beginn des Interviews die perfekten Worte. Stellvertretend für Trump, der bekanntlich gerne mit den Ursachen seiner Popularität kokettiert, erklärte Rogan, warum sein Gast so beliebt sei: „Weil die Leute diesen vorgefertigten und blödsinnigen Politiker-Sprech leid waren und weil sie, auch wenn sie nicht in allen Punkten mit Ihnen übereinstimmen, zumindest wussten: Dieser Typ, wer auch immer er ist, ist wirklich so. Das ist wirklich er“, so Rogan. „Bei anderen Leuten, die in der Öffentlichkeit stehen, weiß man gar nicht, wer sie sind. Sie geben vorgestanzte Antworten von sich, alles klingt wie einstudiert, und sie gehen nie auf das ein, worauf es ankommt.“
Heute geht es darum, sich so natürlich wie möglich zu geben, statt als Autoritätsperson aufzutreten.
Was sich in unseren Zeiten verändert, ist das Grundgefüge des öffentlichen Vertrauens. Dieses entsteht nicht mehr aus dem Gefühl heraus, dass diejenigen, die im Mittelpunkt stehen und über Autorität verfügen, die Antworten parat haben – mit Eisenhowers Grinsen, Walter Cronkites Brille oder einem Präsidenten, der mit gefalteten Händen am Schreibtisch sitzt und in die Kamera spricht, ist es nicht mehr getan. Vertrauen entsteht aus dem Eindruck von Unmittelbarkeit und Natürlichkeit – aus dem Glauben, dass das, was jemand sagt, aus dem Herzen und aus eigener Erfahrung kommt. Wenn wir die Entwicklungsgeschichte der Schauspielkunst über die Geschichte der Politik legen würden, ist der deklamatorische Stil des 19. Jahrhunderts im Grunde dem naturalistischen Stil der 1960er Jahre gewichen. Heute geht es darum, sich so natürlich wie möglich zu geben, statt als Autoritätsperson aufzutreten – getreu der alten Redensart: „Aufrichtigkeit ist alles. Wenn du sie vortäuschen kannst, hast du es geschafft.“
Eines sollte an dieser Stelle gesagt sein: Dass Trump die neuen Medien beherrscht, lässt sich nicht gerade behaupten. Wenn er redet, springt er von einem Thema zum anderen. Er kann sich kaum länger als ein paar Sekunden auf etwas konzentrieren, das nicht mit ihm selbst zu tun hat. Rogan hofierte seinen Gast zwar, aber oft schien er frustriert, dass Trump so viel redseliger und viel leichter abzulenken war als die Atlantis-Archäologen und JFK-Attentats-Experten, die sonst auf seiner Gästeliste stehen. In einem Punkt jedoch ist Trump seiner Zeit voraus: Er ist ein gelehriger Student im Fach Medienwissenschaft. Er versucht nicht, alles, was er sieht, zum Gesprächsthema zu machen. Er hat nie Medienberater eingestellt, die seine Persönlichkeit nur rundgeschliffen hätten. Trump weiß, dass die Medien genauso simpel funktionieren wie die Politik: Es geht einfach nur darum, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, und dazu muss man sich an das jeweils vorherrschende Medienformat anpassen. Das wissen alle guten Wahlkämpfer. Abraham Lincoln hielt in jedem einzelnen Kongresswahlkreis seines Bundesstaates Debatten mit seinem Senatsgegner ab. Franklin Roosevelt nutzte das Radio. John F. Kennedy achtete darauf, dass er bei seiner Fernsehdebatte Farbe im Gesicht hatte. Heute sind Politikerinnen und Politiker gefordert, sich auf Podcasts und Livestreams einzustellen.
Die Demokraten hatten acht Jahre Zeit, sich an die neue Medienlandschaft anzupassen. Sie hatten genug Zeit, ein lässigeres, Social-Media-freundlicheres Auftreten zu entwickeln. Sie hatten Zeit, in der Partei eine Generation jüngerer und unverbrauchter Führungskräfte aufzubauen. Sie hatten Zeit, sich von Medienberatern und Vortragstechniken aus den Zeiten des Kabelfernsehens zu verabschieden, als es in der politischen Redekultur darum ging, schlechte O-Töne zu vermeiden. Sie hatten Zeit, sich auf die neue Welt der Podcasts einzustellen, die wie geschaffen ist für politische Überzeugungsarbeit. Nichts davon haben sie getan. Wenn Harris verliert – wonach es momentan eher aussieht –, haben die Demokraten sich das selbst zuzuschreiben.
Dieser Artikel erschien zuerst im US-Onlinemagazin Persuasion.
Aus dem Englischen von Christine Hardung