„Affentheater“ und „amateurhaft“. Das sind noch harmlose Beschreibungen für das Debakel, das rund 30 US-Kongressmitglieder Anfang der Woche innerhalb von 24 Stunden sich selbst und der Demokratischen Partei insgesamt eingebrockt haben und mit dem sie auch das Bild beschädigen, das Amerika in der Welt abgibt. Angeführt von der Demokratin Pramila Jayapal, die für den Bundesstaat Washington im Repräsentantenhaus sitzt, forderte die Gruppe von Abgeordneten, die sich selbst progressiv nennen, in einem Brief an Präsident Biden direkte Gespräche mit Russland. Damit sollen eine „Verhandlungslösung und Waffenruhe“ in der Ukraine und „ein schnelles Ende des Konflikts“ erreicht werden.
Nachdem ihre Wortmeldung von anderen Demokraten erbarmungslos kritisiert worden war, distanzierten etliche Unterzeichner sich von dem Schreiben und entschuldigten sich damit, sie hätten es im Juni und Juli in einer ganz anderen Gesamtsituation unterschrieben. Jayapal zog den Brief nur einen Tag nach der Publikation zurück und erklärte, durch den Veröffentlichungszeitpunkt sei der falsche Eindruck entstanden, die Progressiven wären „auf die Linie der Republikaner eingeschwenkt, die der amerikanischen Unterstützung für Präsident Selenskyj und das ukrainische Militär den Stecker ziehen wollen“. Jayapal rückte sogar noch einen Schritt weiter von dem Brief an Biden ab und erklärte, die Diplomatie könne erst übernehmen, wenn die Ukraine den Krieg gegen Russland gewonnen habe.
Doch mit ihren Ausflüchten und Erklärungsversuchen können die Unterzeichner ihr mangelndes Urteilsvermögen und ihren außenpolitischen Dilettantismus nicht vergessen machen und erst recht nicht entschuldigen. Dass einige von ihnen sich darauf herausreden, nach ihrer Unterschrift unter den Brief hätten die Umstände sich verändert, wirft sogar ein noch schlechteres Licht auf ihre Urteilskraft. Da die Ukraine ihre Gegenoffensiven in Cherson und Charkiw erst Ende August startete, wären durch einen Waffenstillstand im Juni oder Juli Russlands Geländegewinne zementiert worden und Moskau hätte wertvolle Zeit gewonnen, um sich militärisch neu zu ordnen. Doch auch wenn man von diesen nackten Tatsachen absieht, manifestieren sich in dem Brief das Wunschdenken und die hohle Rhetorik des auf „Zurückhaltung“ setzenden außenpolitischen Lagers.
Der Brief enthält allerhand Vorbehalte und Beteuerungen, auf die die Unterzeichner sich zurückziehen können. Das ändert aber nichts an der Kernforderung, dass die Vereinigten Staaten über den Kopf Wolodymyr Selenskyjs und des ukrainischen Volkes hinweg mit Moskau einen Waffenstillstand aushandeln sollen – obwohl es nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Kreml an Diplomatie interessiert wäre. Obendrein regen die Briefschreiber an, die russische Aggression mit Gesprächen „über eine neue und für alle Beteiligten akzeptable europäische Sicherheitsordnung“ zu honorieren. Dieser Vorschlag ist absolut unrealistisch und verkennt den Grundcharakter des Konflikts. Dass er so schnell und verschämt zurückgezogen wurde, zeigt unfreiwillig, wie platt und unseriös das außenpolitische Denken der amerikanischen Progressiven ist.
Die Diplomatie könne erst übernehmen, wenn die Ukraine den Krieg gegen Russland gewonnen habe.
Es wirkt so, als hätten sie alle ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Solche peinlichen Eigentore passieren, wenn Kongressabgeordnete sich bei komplizierten außenpolitischen Themen wie dem Krieg in der Ukraine von ideologischen Interessengruppen die Marschroute vorgeben lassen. Viele selbsternannte Progressive und diejenigen, die Zurückhaltung gegenüber Russland fordern, reden zwar viel von Diplomatie, haben aber kaum eine Vorstellung davon, wie Diplomatie in der Realität funktioniert und was sich mit ihr erreichen lässt. Sie verwenden viel Zeit darauf, sich gegenseitig zu beschimpfen und zu definieren, womit sie nicht einverstanden sind. Aber wofür sie eigentlich stehen und wie man Koalitionen schmiedet, um eine alternative Agenda voranzubringen, wissen sie oft nicht genau.
Dahinter steckt offenbar die grundsätzliche Vorstellung, Diplomatie und militärische Stärke würden nicht zusammenpassen, aber durch diese unbedarfte Sicht auf bewaffnete Konflikte wird Diplomatie erst recht unmöglich gemacht. Konflikte wirklich lösen und Kriege beenden kann man überhaupt nur, wenn man die militärischen Kräfteverhältnisse berücksichtigt. Eine Diplomatie, die die Gegebenheiten auf dem Schlachtfeld nicht mitbedenkt, erweist sich im besten Fall als wirkungslos und führt im ungünstigsten Fall dazu, dass der Konflikt sich noch länger hinzieht.
Es ist wichtig zu wissen, dass diese außenpolitischen Standpunkte nach wie vor weit von der Meinung der amerikanischen Öffentlichkeit entfernt sind – und sogar von der Meinung vieler Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich selbst als progressiv einstufen. Dem Congressional Progressive Caucus – einem Zusammenschluss des linksliberalen Flügels der Demokraten im Repräsentantenhaus – gehören mehr als 100 Abgeordnete an. Nicht einmal 30 von ihnen haben Jayapals Brief unterzeichnet – und viele Unterzeichner zogen ihre Unterstützung zurück, als ihnen heftiger politischer Gegenwind ins Gesicht schlug. Das ist ein deutlicher Unterschied zu dem andauernden internen Gerangel innerhalb der Republikanischen Partei um die Außenpolitik im Allgemeinen und die militärische Unterstützung für die Ukraine im Besonderen.
Hinzu kommt: Eine Umfragenach deranderen zeigt, dass die Demokraten die Unterstützung für die Ukraine noch stärker befürworten als der Durchschnitt der amerikanischen Bevölkerung. Laut einer aktuellen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup sind 79 Prozent der Demokraten der Meinung, die USA sollten die militärischen Bemühungen der Ukraine um die Zurückeroberung verlorener Gebiete auf jeden Fall unterstützen, selbst wenn das bedeuten sollte, dass der Krieg länger dauert. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Nancy Pelosi, die Präsidentin des Repräsentantenhauses, schnell eine weitere Aufstockung der Hilfen für die Ukraine im Rahmen der obligatorischen Verabschiedung der Haushaltsgesetze versprach, die demnächst ins Haus steht. Kurz und knapp erklärte Pelosi außerdem, Amerika werde Kiews Kriegsanstrengungen so lange unterstützen, „bis der Sieg erreicht ist“.
Ein Aspekt dieser ansonsten lächerlichen Episode ist allerdings ermutigend: Die breite Masse der Demokraten hat das Ansinnen des Jayapal-Briefs entschieden zurückgewiesen – so entschieden, dass Jayapal den Brief zurückziehen und auf offener Bühne von den Kernprämissen dieses Briefs abrücken musste. Der ganze Vorfall macht einmal mehr deutlich, was von den weltfremden Vorstellungen dieser außenpolitischen Wunschdenker zu halten ist: mehr oder weniger nichts.
Die Originalversion des Artikels erschien zuerst beim US-Analyseportal The Liberal Patriot.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld




