Das Konzept des US-Exzeptionalismus, also dass die USA eine moralisch überlegene, einzigartige und von Grund auf demokratische Nation sei, leitete schon von Anfang an die Außenpolitik des Landes. Die sich stets voll und ganz am Realismus orientierende internationale Politik der USA entsprach jedoch nie einer solch hehren Verpackung. Trotzdem zog sich diese Prämisse durch alle außenpolitischen Institutionen und leistete den Interventionisten aus beiden politischen Parteien gute Dienste. Die Marktwirtschaft, ihre Ausbreitung und der weltweite Handel beflügelten diese Mission, mit der militärische Eingriffe in aller Welt begründet wurden.
Nach den vier katastrophalen Jahren unter Trump können die USA aber wohl kaum noch diese Sonderstellung für sich beanspruchen – nicht einmal in kleinerem Maße. Die USA sind ganz offensichtlich keine außergewöhnliche, von Grund auf demokratische, sondern eher eine in vielerlei Hinsicht mit Fehlern behaftete Nation. Sie hat eine gefährliche autoritäre Ader, die tief in der Bevölkerung verwurzelt ist.
Schon lange vor dem Trump-Fiasko hätte es allen, die sich kritisch mit der amerikanischen Außenpolitik beschäftigen, klar sein müssen, dass dieses hochtrabende Gehabe ein Trugschluss ist. In den USA wurde der Rassismus in der Verfassung festgeschrieben und die Nation dehnte ihre ursprünglichen Grenzen immer weiter aus, indem sie die schon jahrhundertelang dort lebenden Ureinwohner vertrieb oder tötete. Die jüngere US-Geschichte ist von Vietnam bis zu Abu Ghraib mit grässlichen Menschenrechtsverletzungen besudelt.
Was wird dann jetzt die US-Außenpolitik steuern, wenn der Exzeptionalismus nicht länger glaubwürdig ist? Diese Denkweise ist so tief in Washington verankert, dass es bisher noch nicht zu einem grundlegenden Umdenken gekommen ist – bestenfalls zu halbherzigen Denkansätzen. Präsident Joe Biden, ein Demokrat der alten Schule, und seine außenpolitische Mannschaft sind diesem Credo verfallen, auch wenn sie jetzt verkünden, die USA sollten etwas mehr Bescheidenheit an den Tag legen und zur Erreichung außenpolitischer Ziele besser mit anderen Ländern kooperieren.
Nach den vier katastrophalen Jahren unter Trump können die USA wohl kaum eine Sonderstellung für sich beanspruchen.
Einem Kommentator zufolge befürwortet der neue Außenminister Antony Blinken einen „abgespeckten Exzeptionalismus“. Bei Blinkens Anhörung im Senat schien der Trump-loyale Senator Lindsey Graham vollkommen zufrieden mit Blinkens Antworten auf seine Fragen. An anderer Stelle äußerte Blinken jedoch, dass die Biden-Regierung die USA bei so globalen Themen wie der Nichtverbreitung von Atomwaffen, der Bekämpfung von Covid-19 und der Klimakrise zurück auf die Weltbühne bringen wolle.
Das wäre lobenswert, wenn es nicht so absurd klingen würde: Der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen ist am 22. Januar in Kraft getreten, dem zweiten Arbeitstag der Biden-Administration. Er wurde von 50 Ländern ratifiziert, aber weder von den USA noch von einer der anderen Nuklearmächte der Welt. Und was Covid-19 angeht: Die USA kämpfen mit dem weltweit größten Ausbruch dieser Krankheit. Prädestiniert sie das dazu, den globalen Kampf gegen das Corona-Virus anzuführen? Und auch wenn Biden für die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen sorgt, so steht das Land zunächst vor der riesigen Herausforderung, in Sachen Klimaschutz erst einmal mit dem Rest der Welt gleichzuziehen. Tatsache ist, dass die Demokraten keinen Plan B haben, sondern lediglich einen Plan A light.
Nur sehr wenige der Washingtoner Denkfabriken bieten Vorschläge für einen anderen Kurs. Eine der neueren Organisationen, das Quincy Institute for Responsible Statecraft unter der Leitung des bekannten Kommentators Andrew J. Bacevich, plädiert für eine „parteiübergreifende“ Außenpolitik. Sie soll eine Brücke zwischen den beiden Parteien schlagen und den Grundstein für eine Außenpolitik legen, die auf einer engagierten Diplomatie und einem regionalen Dialog statt auf neuerlichen Militärinterventionen fußt. Diese Philosophie läuft darauf hinaus, den globalen militärischen Fußabdruck der USA zu verkleinern, militarisierte Beziehungen zu reduzieren und Militärinventionen abzuschwören. Das wäre immerhin ein Anfang.
Tatsache ist, dass die Demokraten keinen Plan B haben, sondern lediglich einen Plan A light.
Das Quincy Institute konzentriere sich allerdings wenig darauf, „wie die USA die Welt konstruktiv miteinbeziehen sollte, weil das die parteiübergreifende Einigkeit belasten würde“, erklärt John Feffer, Leiter des linksgerichteten Institute for Policy Studies. Natürlich haben Progressive vom linken Rand der Demokraten, wie Bernie Sanders und andere, ad hoc einige politische Ideen, die Punkte des Quincy-Plans beinhalten und auch eine positivere Sicht auf ein weltweites Engagement bieten.
Beispielsweise fordert Sanders von der Nahostpolitik, die Hilfen für Israel an dessen Achtung der Menschenrechte zu knüpfen. Die Biden-Regierung solle die Bereitstellung von Hilfen für palästinensische Flüchtlinge wieder aufnehmen und der Palästinensischen Befreiungsorganisation ermöglichen, ihre diplomatische Vertretung in Washington wieder zu öffnen. Diese Maßnahmen werden von der Wählerschaft der Demokraten und linken Kongressabgeordneten unterstützt, aber bis jetzt hat Biden nichts davon zugesagt. Mit Blick auf den Konflikt im Jemen kündigte der neue Präsident jedoch bereits an, die Unterstützung für Kampfhandlungen einzustellen – eine Forderung von Sanders und seinen Verbündeten im Kongress.
Auch das Institute for Policy Studies unterbreitet ein paar Ideen: Beispielsweise könnten sich die USA den Vereinten Nationen und 140 weiteren Regierungen und Experten anschließen, die einen universell zur Verfügung stehenden, erschwinglichen und patentfreien Impfstoff gegen Covid-19 entwickeln wollen. Zudem könnten die USA tatsächlich etwas gegen die Klimakrise tun, indem sie 200 Milliarden US-Dollar in den Grünen Klimafonds einzahlen, der Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern finanziert. Des Weiteren könnten die USA einen „globalen Fonds für soziale Sicherheit“ ins Leben rufen, der weltweite Ressourcen bündelt, um gezielt die dringendsten Bedürfnisse der ärmsten und schutzbedürftigsten Menschen der Welt zu decken. Und als das Land mit den höchsten Ausgaben für militärische Ausrüstung könnten die USA eine Kehrtwende beim weltweiten Anstieg von Militärausgaben einleiten, indem sie das Budget des Pentagons um 350 Milliarden US-Dollar kürzen und mit China und Russland daran arbeiten, die globalen Spannungen zu verringern.
Alles vernünftige Vorschläge. Man darf nun aber nicht erwarten, dass die Biden-Administration den besonderen historischen Moment nutzen wird, um einen Schlussstrich unter die etablierte Außenpolitik zu ziehen und eine völlige Neuausrichtung zu wagen. Das vom Präsidenten ernannte Team besteht aus altgedienten Insidern. Angesichts deren bisheriger Unterstützung von Angriffskriegen im Ausland können wir uns wohl schon glücklich schätzen, wenn sie uns einen abgespeckten Exzeptionalismus liefern.
Aus dem Englischen von Ina Görtz.