Der Oberste Gerichtshof hat gesprochen: Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch (Roe versus Wade) ist vom Tisch. Aber in Sachen Abtreibung hat der Supreme Court nicht das endgültige Sagen. Das amerikanische Volk wird durch seine Vertreterinnen und Vertreter im Kongress und im Weißen Haus das letzte Wort haben.

Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache „Dobbs gegen die Jackson Women’s Health Organization“ hat ein extremistischer Oberster Gerichtshof einen fast 50 Jahre alten Präzedenzfall gekippt, indem er das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung aufgehoben hat. Das Urteil: Die Regierung – und nicht die schwangere Frau – trifft fortan die Entscheidung über die Fortsetzung einer Schwangerschaft. Mindestens neun Bundesstaaten haben Abtreibungen bereits verboten. Mehr als ein Dutzend weitere könnten diesem Beispiel bald folgen und Abtreibungen verbieten oder zumindest stark einschränken. Dies würde das Leben, die Gesundheit und die Zukunft von zahlreichen Mädchen und Frauen gefährden.

Sollten wir wütend und alarmiert klingen, dann deshalb, weil wir es sind: Diese Entscheidung ist verheerend. Wir haben beide in einem Amerika gelebt, in dem Abtreibung illegal war. In einem Land, in dem Infektionen und andere Komplikationen Leben zerstörten. In dem ungeplante Schwangerschaften Karrieren und Existenzen zum Scheitern brachten. Und in dem sich einige Frauen lieber das Leben nahmen, als eine Schwangerschaft fortzusetzen, die sie nicht aushalten konnten.

Die Regierung – und nicht die schwangere Frau – trifft fortan die Entscheidung über die Fortsetzung einer Schwangerschaft.

Aber wir müssen an der Hoffnung festhalten. Jeder kann etwas tun, nicht nur die gewählten Vertreterinnen und Vertreter. Wir können damit beginnen, denjenigen zu helfen, die Zugang zu einer Abtreibung brauchen. Man sollte Planned Parenthood und andere Organisationen unterstützen, ihre Dienste in den Staaten ausbauen, in denen Abtreibung möglich ist. Die Gesetzgeber in Bundestaaten wie New Mexico und Minnesota, die an Staaten grenzen, in denen Abtreibungsdienste höchstwahrscheinlich stark eingeschränkt und sogar kriminalisiert werden, sollten dazu ermutigt werden, reproduktive Rechte zu schützen. Arbeitgeber in Bundesstaaten mit Abtreibungsverboten sollten angehalten werden, ihren Angestellten ausreichend Freizeit und Reisekosten zu gewähren, damit sie die benötigte Abtreibungsbehandlung in Anspruch nehmen können.

Anfang dieses Monats haben wir gemeinsam mit Senatorin Patty Murray und der Hälfte des demokratischen Senatsausschusses ein Schreiben an Präsident Biden gerichtet, in dem wir ihm mögliche Maßnahmen zur Verteidigung der reproduktiven Freiheit vorschlagen. Zu diesen Maßnahmen gehören die Verbesserung des Zugangs zu Abtreibungsmedikamenten, die Bereitstellung von Bundesmitteln für Personen, die in anderen Staaten Abtreibungsbehandlungen in Anspruch nehmen wollen, und der Einsatz von staatlichen Geldern zum Schutz von Personen, die vor Ort Abtreibungsdienste in Anspruch nehmen. Wir müssen handeln, und zwar jetzt.

Mit der Veröffentlichung der Dobbs-Entscheidung hat eine gefährliche Zeit begonnen, die Millionen von Frauen in diesem Land bedroht. Wir fordern den Präsidenten auf, den Notstand im Bereich der öffentlichen Gesundheit auszurufen, um den Zugang zu Abtreibungen für alle Amerikanerinnen zu schützen und wichtige Ressourcen und Befugnisse freizugeben, die sowohl die Bundesstaaten als auch die Bundesregierung nutzen können, um die steigende Nachfrage nach reproduktiven Gesundheitsdiensten zu decken. Die Gefahr ist real, und die Demokraten müssen ihr mit der gebotenen Dringlichkeit begegnen.

Wir fordern den Präsidenten auf, den Notstand im Bereich der öffentlichen Gesundheit auszurufen.

Fast 50 Jahre kämpfte die extreme Rechte gegen die Überzeugungen einer überwältigenden Mehrheit der Amerikaner. Sie verstärkte ihre Bemühungen, eine Zukunft zu schaffen, in der Frauen und ihre Ärzte mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen, wenn sie eine medizinische Grundversorgung suchen oder anbieten. Als diese Extremisten ihre radikalen Ansichten nicht mittels Gesetzgebungsprozess durchsetzen konnten, haben sie den Weg über die konservative Mehrheit in den Gerichten gewählt. Und nun, da der Oberste Gerichtshof mit der Aufhebung von „Roe“ die Tür geöffnet hat, werden die Republikaner ihren Angriff auf Bürgerrechte und Freiheiten fortsetzen.

Der ehemalige Vizepräsident Mike Pence hat bereits ein nationales Verbot für Abtreibung in allen 50 Bundesstaaten gefordert und Mitch McConnell, der Minderheitenführer im Senat, erklärte ganz offen, dass dies eine Möglichkeit sei. Als Folge des Urteils könnten wir bald ebenso einen Angriff auf die Privatsphäre und die Gleichstellung der Ehe erleben.

Fast 50 Jahre kämpfte die extreme Rechte gegen die Überzeugungen einer überwältigenden Mehrheit der Amerikaner.

Um den Schaden zu beheben, den die Republikaner in ihrem Bestreben, das Leben der Frauen zu kontrollieren, in unserem System angerichtet haben, brauchen wir eine umfassende Demokratiereform: eine Änderung der Zusammensetzung der Gerichte, eine Reform der Senatsregeln wie des Filibuster-Verfahrens und sogar eine Korrektur des veralteten Wahlsystems. Dieses ermöglicht es Kandidaten, Präsident zu werden, obwohl sie nicht die meisten Stimmen bekommen haben. So konnten George W. Bush und Donald Trump fünf der Richter nominieren, die dem Recht auf Abtreibung zugestimmt haben.

Wir können nicht in fünf Monaten den Schaden rückgängig machen, den die Republikaner in fünf Jahrzehnten angerichtet haben, aber wir können sofort damit beginnen, unsere Demokratie zu reparieren. Die Öffentlichkeit ist mit überwältigender Mehrheit auf unserer Seite. Eine große Mehrheit der Amerikaner lehnt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ab. Fast zwei Drittel sind der Meinung, dass Abtreibung in allen oder den meisten Fällen legal sein sollte. Und mehr Amerikanerinnen und Amerikaner sprechen sich heute für das Recht auf Abtreibung aus als zu irgendeinem Zeitpunkt in den letzten 25 Jahren.

Wir können sofort damit beginnen, unsere Demokratie zu reparieren.

„Roe“ ist zwar leider nicht mehr gültig, aber über den Schutz, den das Urteil einst garantierte, wird nun in Wahlen abgestimmt werden. In Staaten wie Kansas und Kentucky gibt es Initiativen zur Aufhebung des verfassungsrechtlichen Schutzes auf Abtreibung, während Michigan und Vermont auf Abstimmungen zum Schutz der reproduktiven Freiheit hinarbeiten. Die radikale Entscheidung des Obersten Gerichtshofs betrifft jedoch alle Amerikaner, nicht nur diejenigen in den Staaten, in denen das Recht auf einen sicheren, legalen Schwangerschaftsabbruch bald abgeschafft wird.

Jetzt ist es an der Zeit, von jedem einzelnen Kandidaten, der für ein öffentliches Amt kandidiert, eine klare Position zu reproduktiven Rechten zu verlangen. Jeder Senatskandidat sollte sich für eine Reform der Filibuster-Regeln einsetzen, damit der Senat Bundesgesetze zum Schutz des Rechts auf reproduktive Freiheit verabschieden kann. Wenn die Wähler den Demokraten helfen, die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zu behalten und die Mehrheit im Senat bei den Wahlen im November um mindestens zwei Stimmen zu erweitern, könnte „Roe“ bereits im Januar im ganzen Land zum Gesetz gemacht werden.

Wir müssen unsere Demokratie wiederherstellen, damit eine radikale Minderheit nicht länger den Willen des Volkes aushebeln kann. Dies wird ein langer, harter Kampf sein, und der Weg zum Sieg ist nicht sicher. Aber es ist ein gerechter Kampf, den wir gewinnen müssen – egal, wie lange es dauern wird. Wir haben in einem Amerika ohne das Recht auf Abtreibung gelebt, und wir werden das nicht nochmal zulassen.

© The New York Times