Die Ukraine-Krise stellt eine Wegscheide in der Entwicklung der europäischen Sicherheitspolitik dar: Unübersehbar hat sich das Russland Putins gegen eine gemeinsame politische Perspektive mit dem Westen entschieden. Die in der Charta von Paris 1990 bekräftigten Prinzipien der Achtung der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit der Staaten im OSZE-Raum wurden von ihm flagrant verletzt. Stattdessen setzt Moskau seine Interessen unter Einsatz militärischer Mittel durch. Die widerrechtliche Annexion der Krim resultiert in russischen Grenzen, die keine allgemeine Anerkennung finden. Zwischen Russland und dem Westen tut sich ein tiefer Graben auf. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern.
Rückversicherung vor Russland
Mit der Ukraine, Moldau und Georgien hat sich eine Gruppe von Staaten herausgebildet, die nach Westen streben, denen der Weg dorthin jedoch verbaut ist: Wegen selbst verschuldeter wirtschaftlicher und politischer Schwächen – Stichwort Korruption – aber auch, weil Russland entscheidend dazu beigetragen hat, dass diese Länder bis auf Weiteres in territoriale Konflikte involviert bleiben.
Ein andauernder westlich-russischer Antagonismus in dieser Region ist damit programmiert. Auch wenn die OSZE als einzige gesamteuropäische sicherheitspolitische Institution ihren Wert als Ort der Konfliktaustragung hat – zur Lösung der hier anstehenden Probleme wird sie kaum Entscheidendes beitragen können.
Der massive Verlust an Vertrauen in die russische Politik führt zu einem starken Bedürfnis nach Rückversicherung vor Russland – vor allem in östlichen NATO- und EU-Mitgliedsländern. Dies macht entsprechende Vorkehrungen erforderlich. Die NATO hat auf ihrem Gipfel von Wales Maßnahmen beschlossen, die knapp unterhalb eines offenen Bruchs mit zuvor gemeinsam mit Moskau beschlossenen Prinzipien verbleiben: Vorerst wird es keine dauerhaften NATO-Truppenstationierungen in signifikantem Umfang in den neuen Mitgliedsländern geben. Zugleich ist die Atlantische Allianz für diejenigen Mitgliedstaaten, die die Sorge um die nationale Sicherheit mit Blick auf Moskau besonders umtreibt, zentrales Element ihrer Sicherheitsvorsorge.
Demgegenüber nimmt die sicherheitspolitische Bedeutung der EU nicht zuletzt angesichts der offen zu Tage tretenden Schwächen europäischer Streitkräfte ab. Zwar wird Washington nicht müde, mehr Verteidigungsleistungen seiner europäischen Bündnispartner einzufordern. Doch aus der Sicht der neuen Allianzpartner ist letztlich nur eines von Bedeutung: Dass Amerika mit seinem militärischen Engagement Bestandteil europäischer Sicherheit bleibt und damit den Schutz vor Moskau gewährleistet. Daher bleibt die NATO auf absehbare Zeit das weitaus wichtigere Sicherheitsinstrument im Vergleich zur EU. Diese wird abgesehen von einigen Nischenaktivitäten sicherheitspolitisch kaum bedeutsam sein. Wenn es ein Mehr an Europa in der Sicherheitspolitik geben sollte, dann höchstens innerhalb der NATO.
Wenn es ein Mehr an Europa in der Sicherheitspolitik geben sollte, dann höchstens innerhalb der NATO.
Trotz der ernüchternden Feststellung einer erneuten Teilung des europäischen Kontinents bleibt – wie schon während des Kalten Krieges – die Aufgabe bestehen, dort, wo ein Interessenausgleich mit Moskau möglich ist, diesen auch aktiv mit diplomatischen Mitteln zu suchen. Insofern bleibt Russland Bestandteil europäischer Sicherheit. Zudem eröffnen entsprechende Bemühungen Chancen zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Russland selbst.
Unklare Einflusszonen
In der Auseinandersetzung mit Russland sieht sich der Westen mit einem Paradoxon konfrontiert. Einerseits ist der neue Konflikt hinsichtlich seiner politisch-ideologischen, wirtschaftlichen und militärischen Intensität in keiner Weise mit den Zeiten des Kalten Krieges vergleichbar. Der Marxismus-Leninismus ist tot, Russland ist Teil einer globalisierten Wirtschaft, und eine „Fulda-Gap“ wird es nicht mehr geben. Andererseits dürften die Probleme mit Russland wesentlich schwieriger zu handhaben sein, da es keine festgelegten und akzeptierten Einflusszonen gibt.
Während des kalten Krieges wurde eine nachhaltige Entspannungspolitik erst möglich, nachdem im Zuge überstandener Berlin-Krisen und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 die jeweiligen Interessenssphären gegenseitig akzeptiert worden waren. Ferner wurde in der Helsinki-Schlussakte von 1975 das Prinzip der Unveräusserlichkeit der bestehenden Grenzen festgehalten. Heute stellt sich die Situation hingegen gänzlich anders dar.
Derzeit gibt es eine ganze Reihe von Staaten oder Entitäten in Europa, die nicht allgemein anerkannt sind. Dazu gehören neben dem Kosovo und dem türkischen Teil Zyperns die von Moldau bzw. Georgien abtrünnigen Regionen Transnistrien sowie Abchasien und Südossetien. In der östlichen Ukraine könnten schon bald Regionen zu dieser Liste hinzukommen. Schließlich beansprucht Russland selbst seit der Annexion der Krim Außengrenzen ohne völkerrechtliche Legitimation. Solche territorialen Schwebezustände verhindern in vielen Fällen praktische Maßnahmen der Vertrauensbildung, da diese klare völkerrechtliche Grundlagen der territorialen Zuständigkeit voraussetzen.
Umgekehrt wird Moskau alles tun, um eine weitere Westannäherung der Ukraine, aber auch Moldaus und Georgiens, zu verhindern.
Insbesondere dürfte sich das Tauziehen um die Ukraine fortsetzen. Sollten die gewählten Vertreter des Landes an ihrer Westorientierung festhalten, können ihnen EU und NATO nicht die kalte Schulter zeigen, auch wenn allen Beteiligten klar sein dürfte, dass baldige Aufnahmen kaum zu erwarten sind. Umgekehrt wird Moskau alles tun, um eine weitere Westannäherung der Ukraine, aber auch Moldaus und Georgiens, zu verhindern.
Für Deutschland kommt es in dieser Situation darauf an, seine Bemühungen um Konfliktbearbeitung so bei seinen Partnern zu verankern, dass gar nicht erst der Eindruck deutscher Alleingänge entsteht. Neben einer möglichst engen Abstimmung mit Washington – sie ist angesichts der vielen anderen internationalen Probleme, die die Obama-Administration plagen, nicht einfach – bleibt Frankreich trotz seiner wirtschaftlichen Schwäche ein erster Ansprechpartner in Europa. Zumal Großbritannien wegen seiner wachsenden Abgrenzung von Europa weitgehend ausfällt. Enge Abstimmung ist ebenfalls mit Polen und den anderen Alliierten in Mittelosteuropa zu suchen. Jeglichen Ansinnen Moskaus, über die Köpfe dieser Partner hinweg Politik zu machen, ist eine klare Absage zu erteilen. Trotz mancher öffentlichen Kritik ist der deutschen Außenpolitik dieser schwierige Kurs unter Minister Steinmeier bislang gut gelungen.
9 Leserbriefe
Warum ist das so?
Die Zahl der mit Russland befreundeten Staaten ist recht überschaubar. Da sind:
- Weisrussland
- Nordkorea
- China
- einige komische Geschichten in Moldavien, Tschetschenien etc.
Weisrussland, Nordkorea und vielleicht sogar noch Kuba werden alimentiert.
China als Freund ist nicht prickelnd. Sie fürchten, dass Russland irgendwann auch kippt, haben aber auch die Chance genutzt einen für Russland höchst unvorteilhaften Gasvertrag abzuschliessen.
Was ist Russland? 100 Mio. Einwohner + vielleicht 40 Mio hinterm Ural, die vielleicht noch mit 1 KS unterwegs sind (Kamelstärke, analog zu PS). Tenenz stark fallend, Demografie.
Wovon lebt Russland? Gas, Öl und Export von Rohstoffen. Der Ölpreis ist nun unten, die Gaspreise weltweit unter Druck.
Durch die Exporte dieser Rohstoffe war ein gutes Leben möglich, die Bevölkerung war zufrieden, irgendwie hatte fast jeder im Umkreis von 1000-2000 Kilometer um Moskau einen Job. Ökonomisch brachten die das Land nicht weiter, es verlernte Autos zu bauen, Landwirtschaft, Maschinenbau, es reicht noch nicht einmal dazu das Öl zu Benzin und Diesel zu verarbeiten. 50% der Lebensmittel werden importiert.
Nun fehlt Input in das System. Ersatzteile für die Ölindustrie fehlen, weil sanktioniert. Der Rubel ist abgeschmiert, Importe werden dadurch teurer. Vieles wird in dem Land nicht mehr hergestellt, das Know-How dafür ist verloren.
Die Finanzen werden nun zusätzlich belastet. 2 Mio auf der Krim müssen alimentiert werden. Der Tourismus ist dort tot. Die Menschen müssen auf dem Seeweg sogar mit Trinkwasser versorgt werden.
In Donetzk und Slawiansk liegt die Industrie am Boden, die Zechen sind mangels Strom abgesoffen. Die Region war schon vorher wirtschaftlich problematisch, jetzt ist sie tot. Die Separatisten senden nun die Rentner mit Bussen in die Westukraine, die holen sich dort die Rente ab (die UA betrachtet sie noch als Bürger), und auf der Rückfahrt holen sich die Separatisten einen Teil davon.
Von Russland gibt es zwar Waffen, bewaffnete Soldaten auf Urlaub, aber keine Rente.
Unter der hypothetischen Annahme, das unsere Welt die bessere ist und wir mittelfristig von den Russen in unserem beschaulichen Leben nicht gestört werden möchten, ein paar Vorschläge:
- analog zu den baltischen Staaten Terminals für Flüssiggas bauen
- der Ukraine bei der Exploration von eigenen Gas- und Ölquellen helfen und das Land autark machen. Damit fiele ein wichtiger Abnehmer aus, der mehr Gas zu weitaus höheren Preisen als Deutschland abnimmt. Die Vorkommen sind bekannt, die Erschliessung jungfräulicher Quellen ist einfach und kostengünstig. Schafft Kiev die gesetzlichen Voraussetzungen für ausländische Unternehmen, dann könnte es recht schnell gehen
- RU von den Finazmärkten abschneiden funktioniert recht gut, da weiter machen.
Leiden wird die russische Bevölkerung. Die ist aber nun selbst schuld. Putin kann darauf vertrauen, dass seine Propaganda funktioniert, und die Leute auf Knopdruck hassen.
Die Ukrainer sind anders. Janukowitsch wurde durch das Internet erledigt. Und durch den unbändigen Willen der Ukrainer nach Freiheit, ein Leben ohne Korruption, mit der Chance auf eine bessere Zukunft.
Mit den Ergebnissen von Jazenuk und Poroshenko nicht zufrieden, vor allem in Sachen Korruption, die Ukrainer packen sich die Beamten, Polizisten, stecken sie in Mülltonnen,filmen das, stellen es in Internet.
Hut ab!
Die Wahlen in Kiev waren fair. Janukowitsch und Co. konnten antreten, die korrupte Timochenko, Rechtsradikale. Gewählt wurde ein Parlament, wo Extremisten keine Chance hatten, Timochenkos Karriere ist vorbei, Kommunisten sind bedeutungslos, und Janukowich und sein Clan bekamen 10%.
10%? Und dann in Donetzk 80% für die Separation?
Damit ich nicht missverstanden werde: `Ami go home, stay home, eat Burgers`! It is me.
Putin sitzt nun in einer Sackgasse. Russland auch. Je länger die Situation dauert, desto grösser der Schaden für Russland. Das Abenteuer kostet richtig Geld. Auf der Krim wissen die Leutchen schon, was es bedeutet Putin zu vertrauen. Patriotismus kann man nicht essen. Donetzk und Co. waren in der UA nicht gerade interlektuelle Hochburgen, wirtschaftlich nicht gesund.
Vorschlag an die UA: weg mit dem Ballast. Gilt auch für die Krim. RU wäre auf Jahre beschäftigt, geschwächt.
Wer aus der Ukraine Rente beziehen will, der ziehe bitte um. Und sage `Ja`. Oder: Bitte an Moskau. 1 Mio ist auf der Flucht.
50% prorussisch, 50% ukrainisch.
Für 50% proukrainischer Bevölkerung muss eine Lösung gefunden werden, mit Perspektiven in der UA. Umzug.
Die anderen 500 000 können knocken an Putins door.
Sorry, wer die Eimischung Russlands gut gefunden hat, sollte dann auch die Folgen tragen.
Tut mir leid, wenn das ein prorussischer Rentner ist, mit einer zerschossenen Wohnung. Dumm gelaufen....
Wir müssen nun gar nicht viel tun. Die Bundeswehr nicht vergrößern, keine Truppen senden. Die Finanzmärkte werden Putin erledigen. Ausgesprochen effektiv.. Basteln wir ein wenig daran weniger Gas von RU zu kaufen, helfen wir der UA autark zu werden...
... aufpassen müssen wir, dass Putin nicht durch dreht. der hat Atombomben ...
...wenn der ohne Unterhosen da steht, da muss dann vielleicht der Steinmeier her.
Contra zum Artikel. Es ist nicht die Zeit nett zu Putin zu sein.
Russland gehört dahin, wo es sich hin laviert hat. Irgendwo hinter Brasilien.
Da all die Toten im nicht erklärten Krieg mit der UA von der russischen Bevölkerung billigend in Kauf genommen wurden, gefeiert wurde, mein Mitleid mit der Zukunft hält sich Grenzen. Preis für Dummheit muss sein. Wie sollen andere sonst lernen?
Russische Verwandte von Ukrainern werden zu Gegnern, Feinden, Beziehungen enden.
Vladimir P....
.... Du hast keinen Plan für danach, oder?
...
Wenn Sie über Putins Politik schreiben wollen, dann sollten Sie zuerst seine bedeutende Valdai-Rede lesen und verstehen, dann werden Sie den Artikel komplett umschreiben müssen.
http://valdaiclub.com/valdai_club/73300.html