Die Redewendung von der Feder und dem Schwert, den Symbolen der Diplomatie und des Militärs, gehört zu den eindrücklichsten Sprachbildern der Politik – auch wenn Waffenstillstandsbedingungen und Friedensverträge schon lange nicht mehr mit der Feder geschrieben und Kriege nicht mehr mit dem Schwert geführt werden. Die Politik vertauscht die Feder mit dem Schwert, das heißt: Man greift zum Instrument des Krieges, weil man mit diplomatischen Mitteln nicht weiterzukommen meint. Und umgekehrt: Das Militär legt das Schwert nieder und greift zur Feder, soll heißen: Man will die Ergebnisse der bewaffneten Konfrontation völkerrechtlich festschreiben und in einen zeitweiligen Frieden überführen. So hat man sich das Zusammenspiel von Diplomatie und Militär in der Politik bis ins 20. Jahrhundert hinein vorgestellt. Dieser Vorstellung – wie auch der zugehörigen Metaphorik von Feder und Schwert– liegt die Annahme zugrunde, diplomatische und militärische Mittel seien gleichberechtigte Formen beim Geltendmachen eines politischen Willens.
Diese Annahme teilen wir seit Langem nicht mehr. Dennoch werden weiterhin Kriege geführt. Und inzwischen sind sie dem »Friedensraum Europa« wieder gefährlich nahe gekommen. Was heißt unter diesen Umständen also »Chancen der Diplomatie«? Zum Sprachbild von Feder und Schwert gehört die Annahme, die Politik sei Herrin des Geschehens und verfüge nach ihrem Gutdünken über die Mittel, die sie bei der Verfolgung ihrer Interessen einsetzt. Wir wissen, dass das so einfach nicht ist und dass die Politikbetreibenden oftmals eher Getriebene als souverän Entscheidende sind – zumal dann, wenn Ressentiments bedient und Feindbilder geschaffen worden sind.
Das Bild von der Politik, die nach Belieben mit Feder und Schwert hantiert, dürfte nur auf einige absolutistische Herrscher zutreffen, die auf die Probleme und Forderungen »ihrer« Bevölkerung keine Rücksicht nehmen mussten. Je stärker aber diese Responsivität wurde, desto schwerer fiel es, die Feder mit dem Schwert zu tauschen, also einen Krieg zu beginnen. In der Folge wurde zunehmend manipuliert und getäuscht. Doch das hatte zum Resultat, dass es zunehmend schwierig wurde, das einmal ergriffene Schwert wieder aus der Hand zu legen, solange die eigenen Ziele nicht erreicht wurden.
Hat man das Schwert erst einmal in die Hand genommen, sind die politischen Maximalisten gegenüber den Kompromisspolitikern deutlich im Vorteil.
Die Spielräume der Politik werden kleiner, sobald die Einwilligung in einen politischen Kompromiss als Gesichtsverlust und Prestigeeinbuße dargestellt werden kann. Das ist das Problem, mit dem sich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und der russische Präsident Wladimir Putin derzeit konfrontiert sehen: Hat man das Schwert erst einmal in die Hand genommen, sind die politischen Maximalisten gegenüber den Kompromisspolitikern deutlich im Vorteil. Das ändert sich erst, wenn der Krieg verloren ist – doch das ist die militärische Lösung des Konflikts anstelle einer diplomatischen Beendigung des Krieges.
Die Chance der Diplomatie muss also nach zwei Seiten hin erarbeitet werden: nach außen gegenüber dem militärischen Kontrahenten und nach innen gegenüber der eigenen Bevölkerung, den eigenen Soldaten und den umtriebigen politischen Stimmungsmachern, ohne die man keine Chance zur Pazifizierung der eigenen Gesellschaft hat. Letzteres wird umso schwieriger, je mehr Elemente eines Bürgerkriegs in die Führung eines Staatenkriegs eingeflossen sind oder ein Bürgerkrieg durch einen benachbarten Staat angeheizt wird. Genau das ist in der Ostukraine der Fall, gleichgültig, ob man ihn nun als einen Krieg Russlands zwecks territorialer Zugewinne oder als eine innerukrainische Auseinandersetzung mit massiver Einmischung Russlands begreift. Das macht es so schwierig, der Diplomatie eine Chance zu verschaffen.
Dementsprechend komplex sind die Herausforderungen, denen sich die europäische Politik gegenübersieht. Die Theorie der Neuen Kriege hat den Anspruch, den Rückgang der zwischenstaatlichen Kriege und die Vermehrung von innergesellschaftlichen Kriegen mit grenzüberschreitendem Charakter theoretisch zu verarbeiten. Sie sieht eines der Hauptprobleme bei der Beendigung solcher Kriege darin, dass es an politischen Akteuren mangelt, die kollektiv bindende Entscheidungen treffen und durchsetzen können. Die einen wollen Frieden, während andere auf die Fortführung des Krieges setzen – und es gibt keinen, der für eine Seite in ihrer Gesamtheit spricht.
Friedensprozess statt Friedensschluss
Friedensschlüsse sind infolgedessen durch Friedensprozesse abgelöst worden. In ihnen sollen die Parteien geformt und gestärkt werden, die anschließend den Frieden im eigenen Land tragen. Das gilt im Fall des Krieges in der Ostukraine vor allem für die Separatisten im Donbass, bei denen es sich zurzeit eher um Kriegsbanden als um politisch handlungsfähige Akteure handelt. Die Herstellung einer verlässlichen Waffenruhe scheint vor allem an ihnen zu scheitern. Umso wichtiger ist unter diesen Umständen eine Einflussnahme auf das Geschehen über die äußere Anlehnungsmacht der Separatisten, also im Gespräch mit Russland. Das ist zugleich ein zentraler Unterschied zum Krieg in Syrien: Dort gibt es keine äußere Anlehnungsmacht der Aufständischen, über die man auf diese Einfluss nehmen könnte. Zugleich ist das Assad-Regime, das ist der zweite Unterschied, kein Gesprächspartner, mit dem eine Stabilisierung der Lage möglich ist, wie das bei dem gewählten ukrainischen Präsidenten Poroschenko der Fall ist. Das heißt, die Diplomatie hat nur dann eine Chance, wenn es bei den beteiligten Parteien Akteure gibt, die für die von ihnen vertretene Partei bindende Entscheidungen treffen und nach innen durchsetzen können.
Wenn es die nicht gibt, ist die Diplomatie darauf angewiesen, an ihrer Stelle eine äußere Anlehnungsmacht in die Pflicht zu nehmen. Deswegen ist Russland im Ukrainekrieg so wichtig, und zwar unabhängig davon, wie man seine Rolle in diesem Krieg einschätzt. Die Europäer sind auf Russland angewiesen, wenn sie auf die Entwicklung in der Ostukraine Einfluss nehmen wollen. Aber ebenso sind sie darauf angewiesen, dass in der Ukraine eine vertrauenswürdige und handlungsfähige Regierung an der Macht bleibt und dass nicht die Anführer der Freiwilligenbataillone, die offenbar zunehmend das Kampfgeschehen im Donbass bestimmen, an politischem Einfluss in Kiew gewinnen. Beides, der Umgang mit Russland wie die Stabilisierung der innerukrainischen Verhältnisse, ist die große Herausforderung der europäischen Verhandlungsführer. Was gefordert ist, ist eine Diplomatie vor der Diplomatie. Die Diplomatie wird nur eine Chance haben, wenn zuvor mit diplomatischen Mitteln auf beide Seiten eingewirkt worden ist, um ein fundamentales Interesse an einer Verhandlungslösung zu schaffen.
Die Komplexität der Lage legt freilich nahe, von der Diplomatie nicht zu viel zu erwarten. Das Höchste, was sie auf absehbare Zeit zu erreichen vermag, ist eine Beendigung der Kampfhandlungen auf Grundlage der gegenwärtigen militärischen Situation, aber keine Lösung der Probleme, die zum Krieg geführt haben: weder bezüglich der Krim noch im Hinblick auf den Donbass. Es geht nur darum, den offenen Krieg in einen eingefrorenen Konflikt zu verwandeln und so die Gefahr einer weiteren Eskalation zu bannen. Dabei dürfte die europäische Diplomatie unter den wachsenden Druck einer mediengesteuerten Öffentlichkeit geraten, die endlich Ergebnisse sehen will oder einen Durchbruch bei den Gesprächen verlangt und sich nicht mit den unmerklich kleinen Schritten zufrieden gibt. Das mindert jedoch die Chancen der Diplomatie.
Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es die schnelle diplomatische Beendigung von Kämpfen, wie sie bei klassischen zwischenstaatlichen Kriegen möglich war, nicht mehr gibt. Die Beendigung der Neuen Kriege mit ihren zahlreichen Akteuren erfordert lange Zeit und viel Geduld. Wer die nicht aufbringt, gibt der Diplomatie keine Chance. Und die Diplomatie wiederum muss wissen, wo sie eine Chance hat und wo nicht. In der Ostukraine hat sie diese Chance, in Syrien nicht.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Fassung eines in Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte erschienenen Artikels.





4 Leserbriefe
Auch Diplomaten sind Menschen und Menschen sind auf Menschen angewiesen.
aber offen blieb mir doch, warum hat in Syrien die Diplomatie keine Chance ?
Und wenn sie keine Chance hat, was dann ?
Außenminister Steinmeier hat den versammelten Chefs der Medien beim „Führungstreffen Wirtschaft“ der Süddeutschen Zeitung am 27. November 2014 in Berlin vorgehalten:
"Diese 'Hochkonjunktur der Gegensätze' geht leider viel weiter als die politischen Differenzen, die den Kern der Krisen bilden: Sie lässt die Gegensätze in den Köpfen wachsen!“
„Die Köpfe“ sind der „Ort unseres kollektiven Bewusstseins“. Statt von „produzieren“ sprach Steinmeier, übervorsichtig, lediglich subjektlos von „wachsen lassen“. Es ist offenkundig, dass er von medialer Produktion spricht.
Für Münckler sind Medien keine Subjekte - sie kommen bei ihm nicht vor. Schade, diese Ausblendung.