Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan schienen sich gegenseitig einen Wettbewerb zu liefern, wer von beiden Donald Trump für den Friedensnobelpreis vorschlagen darf. In Washington wurden große Worte gefunden: Frieden für immer, nie wieder Gewalt zwischen den seit Jahrzehnten verfeindeten Nachbarn sowie Handel, Aussöhnung und offene Grenzen. Sogar die Bibel wurde zitiert. Am Ende spielte die Kapelle „What a Wonderful World“ von Louis Armstrong. So einfach geht Frieden, könnte man meinen – 35 Jahre Krieg und Vertreibung, und dann kam Trump.
Doch der Glanz der Show könnte täuschen: Unterzeichnet wurde lediglich eine Absichtserklärung. Das eigentliche Friedensabkommen wurde zudem nur von den Außenministern paraphiert. Bis zur endgültigen Unterschrift dürfte es noch ein schwieriger Weg sein. Aserbaidschan stellt Maximalforderungen, die für Armenien nur schwer zu erfüllen sind. So soll das Abkommen erst unterzeichnet werden, wenn Armenien eine neue Verfassung verabschiedet. Da die aktuelle Präambel einen Verweis auf den armenischen Anspruch auf Bergkarabach enthält, will Baku jede mögliche Anspruchsableitung gestrichen sehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein Referendum über eine neue armenische Verfassung entscheiden.
Für Nikol Paschinjan wird dies kein leichtes Unterfangen. Bereits am Abend meldeten sich erste Stimmen aus der Opposition, die vor einem Ausverkauf armenischer Interessen warnten. Die Parlamentswahlen im kommenden Jahr dürften entscheidend für den weiteren Kurs sein. Paschinjan steht seit der Kriegsniederlage 2020 und der Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus Bergkarabach 2023 mit dem Rücken zur Wand. Weder ein Rückkehrrecht der Vertriebenen noch die Freilassung armenischer Gefangener waren im Weißen Haus Thema. Sowohl Alijew als auch Paschinjan wichen entsprechenden Nachfragen geschickt aus.
Der Prozess der Grenzdemarkierung dürfte noch Jahre dauern. Zuletzt zeigte sich, dass beide Seiten teils heftig um jeden Quadratmeter ringen. Neue Gewaltausbrüche sind trotz aller Friedenstauben nicht auszuschließen. Die im Weißen Haus vereinbarte Erklärung enthält weder Sicherheitsgarantien noch einen Sanktionsmechanismus, falls eine der beiden Seiten doch zu Gewalt greift. Dennoch könnte die Inszenierung in Washington als historischer Moment gelten: Der Südkaukasus dürfte sich nach diesem Tag nachhaltig verändern – und möglicherweise sein eigentliches Potenzial für Konnektivität entfalten.
Aserbaidschan sieht sich naturgemäß als klarer Gewinner.
Aserbaidschan sieht sich naturgemäß als klarer Gewinner. Nicht nur, dass Baku die seit Langem geforderte Verbindung zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan erhält (Trump hatte dabei deutliche Ausspracheprobleme) – mit der Vereinbarung dürften auch Öl- und Gaspipelines sowie Stromleitungen folgen. Ein entsprechendes Memorandum wurde bereits mit dem US-Energiekonzern ExxonMobil unterzeichnet. Durch die Anbindung Nachitschewans an die Türkei und somit an das Mittelmeer und nach Europa eröffnen sich neue Märkte. So könnte Aserbaidschan sein Exportvolumen deutlich steigern, auch in Richtung EU. Entsprechend stellte die EU-Kommission noch am Abend Unterstützung in Aussicht. Zudem hob Trump ein seit 1992 geltendes Waffenembargo gegen Aserbaidschan auf.
Doch der eigentliche Gewinner saß gar nicht am Tisch: Die Türkei erhält nun einen freien Handelsweg zum Kaspischen Meer – und weiter nach Zentralasien und China. Zwar war in einer ersten Reaktion noch nicht von der lange von Armenien erhofften Öffnung der seit Anfang der 1990er Jahre geschlossenen Grenze zur Türkei die Rede, doch dürfte dies der logische Schlusspunkt sein. Dies würde vor allem der Osttürkei neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen – und Ankaras Einfluss im Südkaukasus deutlich stärken.
Der Iran wiederum zeigt sich wenig erfreut über den Deal, verläuft doch die unter armenischer Jurisdiktion stehende Trump Road for International Peace and Prosperity entlang seiner Nordgrenze. Zwar begrüßte Teheran offiziell den Friedensschluss, stellte jedoch Fragen. In Jerewan geht man davon aus, diese im Rahmen von Regierungskonsultationen einhegen zu können, zumal Teheran aufgrund seiner massiven Schwächung infolge der Auseinandersetzung mit Israel, einem engen Verbündeten Aserbaidschans, ohnehin nur begrenzten Handlungsspielraum hat.
Moskau hingegen dürfte als klarer Verlierer aus dem Deal hervorgehen. Während der Waffenstillstand von 2020 Russland noch die Verantwortung für die Landverbindung zusicherte, ist davon heute keine Rede mehr. Die schwindende Rolle Moskaus als Ordnungsmacht im Südkaukasus ist offenkundig. Auch die von Russland erträumte, „sanktionsfeste“ Nord-Süd-Route durch den Kaukasus in den Iran und weiter nach Indien steht nun mehr denn je infrage.
Für Armenien bedeutet das Abkommen einen Befreiungsschlag aus Moskaus festem Griff.
Im Verhältnis zu Armenien und Aserbaidschan knirscht es ohnehin: Russland konnte seine Verpflichtungen als Bündnispartner Armeniens zuletzt mehrfach nicht erfüllen. Die russischen Friedenstruppen mussten tatenlos zusehen, wie Aserbaidschan in Bergkarabach Fakten schuf, und wurden von Baku obendrein frühzeitig zum Abzug aufgefordert, um sich wenig später auf den ukrainischen Schlachtfeldern wiederzufinden.
Für Armenien bedeutet das Abkommen einen Befreiungsschlag aus Moskaus festem Griff: Durch die Pipelineanbindung eröffnet sich die Chance, sich künftig mit zentralasiatischem Öl und Gas zu versorgen und somit eine echte Alternative zu Russland zu schaffen. Ein bilaterales Abkommen sieht zudem eine Zusammenarbeit im Bereich Kernenergie vor. Bislang wird Armeniens alterndes Kernkraftwerk vom russischen Staatskonzern Rosatom betrieben. Eine Grenzöffnung zur Türkei würde darüber hinaus die Grundlage für die bis zu 5 000 Mann starke russische Militärbasis an der türkischen Grenze entfallen lassen. Selbst eine vertiefte Kooperation mit der NATO und den USA erscheint plötzlich denkbar.
Dass am Abend der Unterzeichnung im ukrainischen Odessa eine Kampfdrohne in ein dem aserbaidschanischen Energiekonzern SOCAR gehörendes Öldepot einschlug, dürfte kein Zufall gewesen sein – ebenso wenig wie der kurz zuvor erfolgte Angriff auf eine Gasverteilstation, über die aserbaidschanisches Gas in die Ukraine strömen sollte. Schon im vergangenen Monat häuften sich Angriffe auf ukrainische Raffinerien, in denen aserbaidschanisches Öl verarbeitet wurde. Zudem kam es jüngst zu einer Verhaftungswelle in der armenischen Opposition, der ein von Moskau unterstützter Putschversuch unterstellt wird. Gleichzeitig standen über Wochen armenische Lkw an der georgisch-russischen Grenze still – offiziell wegen Zollproblemen.
Auch in Aserbaidschan ist der Bruch mit Russland – nicht zuletzt nach dem Abschuss eines aserbaidschanischen Passagierflugzeugs durch die russische Flugabwehr – unübersehbar. Ilham Alijew hat sich zuletzt auch rhetorisch klarer als früher an die Seite der Ukraine gestellt: Sein Rat an die Ukraine sei, sich niemals mit Okkupation abzufinden. Die Zeichen sind eindeutig: Russland wird seine einstige Vormachtstellung im Südkaukasus nicht kampflos aufgeben. Ein Blick nach Georgien verdeutlicht dies: Dort isoliert sich die infolge anhaltender Proteste wankende Führung zunehmend vom Westen. Es wäre kaum überraschend, wenn Wladimir Putin gerade hier versuchen würde, auf eine geschwächte und bislang bei Donald Trump kaum auffallende Regierung Druck auszuüben, um in der Region weiterhin als starker Mann wahrgenommen zu werden.