In Wien sprachen kürzlich unter anderen die USA, Russland, Saudi-Arabien und Iran über den Krieg in Syrien. Ein Eingeständnis, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg handelt?  

Von Stellvertreterkriegen ist die Rede, wenn Drittstaaten indirekt in einen stattfindenden Konflikt eingreifen, um den Ausgang des Krieges zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Und genau das ist derzeit in Syrien mit Blick auf den IS, die kurdischen Peschmerga, das syrische Regime von Baschar al-Assad und die irakische Regierung zu beobachten. Sie alle erhalten Unterstützung von ihren jeweiligen Verbündeten in Form von Waffen, Geld und Logistik. Stellvertreterkriege werden aus der Entfernung geführt – von Staaten, die ihre Interessen wahren und ausweiten, dabei aber gleichzeitig vermeiden wollen, die eigenen Soldaten einem Krieg auszusetzen, und die Kosten einer direkten militärischen Intervention scheuen.

 

Stellvertreterkriege werden selten auf die Art beendet, wie dies bei Kriegen zwischen Staaten oder Bürgerkriegen in der Regel der Fall ist, nämlich durch Sieg einer Seite oder durch ein vermitteltes Friedensabkommen.

 

Bis jetzt hat noch kein Staat von außen die Bereitschaft an den Tag gelegt, „in den Krieg zu ziehen“ und mit Bodentruppen einzugreifen. In der Geschichte haben Staaten bestimmte, örtlich begrenzte Ereignisse – wie Bürgerkriege – immer dazu genutzt, eine Verschiebung in der weiteren geopolitischen Umgebung herbeizuführen – wie beispielsweise die Unterdrückung einer konkurrierenden Weltanschauung in der ganzen Region. Genau das passiert gerade in Syrien, wo die Versuche, der Ausbreitung des Islamischen Staats entgegenzuwirken, eine weit über das Land hinausgehende Bedeutung hat.

Wie sind die direkten Eingriffe der Amerikaner und der Russen in Syrien vor diesem Hintergrund zu bewerten?

Es ist kein Zufall, dass Putin gerade jetzt versucht, in Syrien die Initiative zu ergreifen, kurz nachdem die Amerikaner ihr »Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramm« für die von ihnen bevorzugte Rebellengruppe im Land einstellte. In dem Moment, in dem Washingtons Beteiligung am Stellvertreterkrieg in Scherben liegt legt nun Moskau einen Gang zu. Aber Putins Prioritäten liegen weniger auf dem Kampf gegen den sogenannten „IS“ als vielmehr darauf, seinen Verbündeten Baschar al-Assad in Damaskus an der Macht zu halten. Putin spielt auf Zeit.

Wie können – mit Rückblick auf vergangene Konflikte – Stellvertreterkriege beendet werden?

Stellvertreterkriege werden schon seit Jahrhunderten von den Staaten dazu genutzt, indirekt den Ausgang des Krieges in anderen Staaten zu manipulieren – man denke nur daran, wie das katholische Spanien und das protestantische Frankreich im Dreißigjährigen Krieges ihren jeweiligen Glaubensgenossen im Heiligen Römischen Reich zu Hilfe eilten, oder an die britische Unterstützung für die Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg angesichts der Bedeutung des Baumwollhandels. Allerdings werden Stellvertreterkriege selten auf die Art beendet, wie dies bei Kriegen zwischen Staaten oder Bürgerkriegen in der Regel der Fall ist, nämlich durch Sieg einer Seite oder durch ein vermitteltes Friedensabkommen. Stellvertreterkriege enden häufig eher deshalb, weil der Stellvertreter der Abhängigkeit vom unterstützenden Staat entwächst. Mit zunehmender Selbständigkeit der stellvertretenden Gruppierung entfällt die Notwendigkeit für Hilfe von außen. Hier sei die Hisbollah als Beispiel angeführt. Nach und nach konnte sie sich selbständig Waffen und Geld beschaffen, sodass sie ihre Verbindungen zum Iran und zu Syrien allmählich lösen konnte – zwei Länder, die die Hisbollah benutzten, um einen Stellvertreterkrieg gegen Israel zu führen. Staaten versuchen in der Regel, ihre Beteiligung an einem Stellvertreterkrieg geheim zu halten – was häufig als »glaubhafte Abstreitbarkeit« bezeichnet wird. Daher kann es – wie in den 1980er-Jahren in Nicaragua – dazu kommen, dass bei Bekanntwerden dieser indirekten Beteiligung der internationale Aufschrei der Empörung so laut ist, dass die Geld- und Waffenlieferungen eingestellt werden.

Was bedeutet unser Verständnis vom Syrienkonflikt als einem Stellvertreterkrieg für die Aussichten, eine politische Lösung zu finden? Können wir beispielsweise Lehren aus der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges ziehen?

Da die stellvertretend für viele Länder ausgeführten Kriegshandlungen ein riesiges Ausmaß angenommen haben, ist es unabdingbar, dass die betreffenden Länder selbst an einer politischen Lösung beteiligt sind und ihre Partner in Syrien an den Verhandlungstisch bringen. Allerdings wird es sich als sehr schwierig erweisen, die Bündnisse zwischen den Unterstützern und ihren Stellvertretern aufzubrechen. Viele Beispiele aus Stellvertreterkriegen während des Kalten Krieges offenbaren drei wichtige Konsequenzen, die man heute im Licht der Syrienkrise nicht außer Acht lassen darf. Die erste ist die Gefahr einer langfristigen Abhängigkeit.

Für den Wiederaufbau einer Infrastruktur in Syrien sind mit Sicherheit über Jahre Finanzhilfen erforderlich. Da der Wiederaufbau einer großen Anstrengung bedarf, werden alle wichtigen Akteure in Syrien Hilfsangebote erhalten, die in eine regelrechte Abhängigkeit ausarten können, wenn die indirekten Einflüsse auf die Politik sich nach Beendigung des Krieges fortsetzen. Die zweite ernsthafte Folge könnte eine Verlängerung oder Intensivierung der Gewalt sein. Die Erfahrung widerlegt die allgemeine Annahme, dass Interventionen durch Stellvertreter einen bestehenden Konflikt schneller beenden. Die Tatsachen lassen vielmehr den Schluss zu, dass sie derartige Konflikte noch verlängern, weil eine schwache Kriegspartei so sehr unterstützt wird, dass eine Pattsituation eintritt. Zudem motiviert eine Flut an Waffen oder Geld in ein bestehendes Kriegsgebiet die eine oder andere Partei, weiterzukämpfen, statt zu kapitulieren oder Verhandlungen anzustreben. Drittens ist zu berücksichtigen, inwieweit Stellvertreterinterventionen die Bedingungen für eine Konfliktausweitung schaffen. Stellvertreterkriege bergen die ernsthafte Gefahr ungewollter, kontraproduktiver Folgen nach Beendigung des Krieges. Manchmal machen sich die Geister vergangener Stellvertreterkriege erst Jahrzehnte später wieder in den Machtgefügen bemerkbar. Anders gesagt sind wir weit davon entfernt, die wahren Kosten des gerade in Syrien ausgetragenen Stellvertreterkrieges zu kennen.

Einigen Schätzungen zufolge bestand etwa ein Drittel aller Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg aus externen Interventionen. Treten wir gerade in eine neue Ära von Stellvertreterkriegen ein? Wenn ja, warum?

In der politischen Strategie der Großmächte des Kalten Krieges waren Stellvertreterkriege ein so fester Bestandteil, dass wir den tatsächlichen »Frontverlauf« des Kalten Krieges in vielerlei Hinsicht nicht am Eisernen Vorhang sehen sollten, sondern in der sogenannten Dritten Welt, in Afrika und Asien. Dennoch sollten Stellvertreterkriege nicht mit dem Kalten Krieg gleichgesetzt werden. Der Aussage, dass wir in ein neues Zeitalter an Stellvertreterkriegen eintreten, würde ich aus mehreren Gründen zustimmen. Erstens gründet der Reiz, einen indirekten Krieg zu führen, nach wie vor auf einem intrinsischen Set an Annahmen, die auf Interessen, ideologischen Prämissen und Risikowahrnehmung beruhen. Zweitens sind auf der internationalen politischen Bühne neue Akteure aufgetaucht, darunter auch private militärische Organisationen und Internethacker, die vermutlich zukünftig als Stellvertreter die Kriege führen werden. Drittens zeitigt der »Krieg gegen den Terror« insofern Folgen, als die USA politisch nicht mehr bereit sind, mit großen Kriegen den Sturz eines Regimes herbeizuführen, sondern stattdessen auf die Beteiligung an Stellvertreterkriegen zurückfallen, um die Durchsetzung ihrer Interessen zu maximieren und gleichzeitig ihre politische und militärische Belastung zu minimieren. Viertens stellt sich die wichtige Frage, wie sich der kontinuierliche Aufstieg Chinas zu einer globalen Supermacht auf die internationale Präsenz des Landes auswirken wird und ob damit die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass China sich an Stellvertreterkriegen beteiligen wird, ohne ihre Handelsbeziehungen mit dem Westen aufs Spiel zu setzen. Kurz gesagt, es ist eine Art der Kriegsführung, die wir in den kommenden Jahrzehnten vermutlich häufiger und nicht seltener erleben werden.