Spaniens Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai 2023 sind gleich in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Auch wenn das Land nicht rein föderal strukturiert ist, geben beide Regierungsebenen rund die Hälfte aller öffentlichen Gelder aus und verfügen über ein hohes Maß an politischer Autonomie, wenn es darum geht, den Alltag der Bürgerinnen und Bürger zu regeln.

Diese innerstaatliche Struktur verschafft den regionalen und lokalen Kräften eine wichtige Rolle innerhalb des politischen Systems und macht sie zu strategischen Akteuren, die auch über die Machtverhältnisse auf nationaler Ebene entscheiden – vor allem dann, wenn es im spanischen Parlament keine klare Mehrheit gibt. Kein Wunder also, dass Spanien – mit Ausnahme Belgiens – in Europa die Demokratie mit den meisten nicht landesweit agierenden politischen Parteien ist und dass nirgendwo sonst in Europa diese Kräfte so viel Macht haben – als Gegenleistung dafür, dass sie die landesweiten Parteien parlamentarisch und institutionell unterstützen, territoriale Vorteile für ihre Wählerschaft auszuhandeln.

Spanien ist in Europa die Demokratie mit den meisten nicht landesweit agierenden politischen Parteien.

Besonders relevant sind die Wahlen auch deshalb, weil es sich um die erste landesweite Wahl in Spanien seit 2019 handelt. Seitdem fanden nur in sechs Regionen Regionalwahlen statt, die allerdings hauptsächlich von regionalen Themen dominiert wurden und sehr stark von den außergewöhnlichen Umständen der Corona-Pandemie bestimmt waren. Auch wenn es bei den im Mai anstehenden Regional- und Kommunalwahlen ebenfalls um spezifische lokale Themen gehen wird, ist die zeitgleiche Abstimmung in allen 8 131 Gemeinden und zwölf Autonomen Gemeinschaften (mit Ausnahme von Katalonien, dem Baskenland, Kastilien-León, Andalusien und Galicien, in denen zwischenzeitlich schon gewählt wurde) ein erstes landesweites Urteil der Wählerinnen und Wähler über die Entwicklung, die die spanische Politik in den vergangenen vier Jahren genommen hat.

Der Zeitraum zwischen 2019 und 2023 stellte für die Regierungen in der ganzen Welt und vor allem auch Spanien eine besondere Herausforderung dar. Grund dafür waren die vielen außergewöhnlichen Ereignisse: Die Corona-Pandemie, die für Spanien eine enorme Belastung war, der Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen Folgen sowie Naturkatastrophen wie der Vulkanausbruch, der im Herbst 2021 einen Teil der Kanareninsel La Palma zerstörte. All dies geschah unter der ersten Koalitionsregierung, die es seit der Zweiten Republik (1931 bis 1939) auf nationaler Ebene gab und zu der sich die sozialdemokratische PSOE (Partido Socialista Obrero Español) und das linke Bündnis Unidas Podemos zusammenfanden. Diese Premiere vollzieht sich in einer widrigen politischen Gesamtsituation, in der die Polarisierung zwischen Links und Rechts zunimmt und neuartige politische Gegenkräfte sich formieren. Die 28. Kommunalwahlen könnten sich als Stimmungsbarometer dieser Entwicklung erweisen und werden daher von vielen Politikerinnen und Experten quasi als erste Runde der voraussichtlich im kommenden Dezember stattfindenden Parlamentswahlen gewertet.

Lokale und regionale Wahlkämpfe sind kein bloßes Spiegelbild der nationalen Politik, denn ausschlaggebend für die Wählerentscheidung sind hier die Erfolge des lokalen politischen Führungspersonals und der lokalen Regierungen. Bei den jetzt anstehenden Wahlen geht es allerdings auch um drei Themen von landesweiter Bedeutung.

Bei den jetzt anstehenden Wahlen geht es auch um drei Themen von landesweiter Bedeutung.

Erstens wird die Wahl ein Stimmungstest für Premierminister Pedro Sánchez und seine Regierungsagenda sein. Er ist zum Symbol für den tiefgreifenden politischen Wandel geworden, der sich in Spanien in den vergangenen zehn Jahren vollzogen hat. Sein Durchhaltevermögen und sein Bündnis mit der radikalen Linken und mehreren regionalistischen Kräften und sein Engagement für eine keynesianische Wirtschaftspolitik, für Feminismus und Pragmatismus haben die spanische Sozialdemokratie wahrscheinlich vor dem Niedergang bewahrt, den ihre politischen Schwesterparteien in anderen europäischen Ländern erlebt haben. Heute ist die PSOE eine der stärksten sozialdemokratischen Parteien in der EU. Der Preis dafür ist jedoch eine zunehmend spürbare emotionale Polarisierung zwischen Links und Rechts, die zu einem rauen politischen Klima beiträgt. Auch wenn es viele Anzeichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung nach der Pandemie gibt und Armut und Arbeitslosigkeit zurückgehen, beschränkt der Rückhalt für Sánchez sich auf die linke Wählerschaft, die es nicht schafft, gemäßigtere Wählerinnen und Wähler in der Mitte auf ihre Seite hinüberzuziehen.

Für die PSOE geht es am 28. Mai darum, in neun Regionen und einigen wichtigen Städten ihre Stellung als Regierungspartei zu behaupten. Ihr großes institutionelles Gewicht ist Ausdruck der Zugewinne der Partei bei den letzten Wahlen im Jahr 2019, bei denen das rechte Lager zutiefst gespalten war. Die Prognosen gehen davon aus, dass in vielen dieser Regionen die nächste Regierung sich auf sehr knappe Mehrheitsverhältnisse wird stützen müssen – möglicherweise ein Vorgeschmack auf die Schwierigkeiten bei der Mehrheitsfindung im nationalen Parlament bei den bevorstehenden Parlamentswahlen. Die PSOE wird darauf angewiesen sein, dass ihre Verbündeten bei der Wahl gut abschneiden.

Die Wahl wird auch ein Testlauf für die radikal linke Podemos sein.

In dieser Hinsicht, zweitens, wird die Wahl auch ein Testlauf für die radikal linke Podemos sein. Die Partei tritt bei dieser Wahl in unterschiedlichen Bündniskonstellationen an, und in einigen wichtigen Städten wie Madrid splittet sie sich in verschiedene konkurrierende Kandidaturen auf. Die Gesamtanzahl dieser Stimmen wird zeigen, wie treu die Wählerschaft nach den jüngsten internen Kontroversen noch zur Podemos hält. Und auch das Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten der radikalen Linken wird bestimmt werden, die anschließend über die Bildung des neu gegründeten Wahlbündnisses Sumar für die Parlamentswahlen im Dezember verhandeln werden. Angeführt wird Sumar von der stellvertretenden Ministerpräsidentin Yolanda Díaz, die von Pablo Iglesias als seine Nachfolgerin für die Spitzenkandidatur von Podemos vorgeschlagen worden war, inzwischen aber zu seiner Gegnerin geworden ist.

Und drittens ist die Wahl auch für Alberto Núñez Feijoo eine Bewährungsprobe, den Vorsitzenden der wichtigsten konservativen Partei PP. Der vor einem Jahr zum neuen Parteivorsitzenden gewählte Núñez Feijoo hat dank seines moderaten Auftretens und seiner langjährigen Erfahrung als regionaler Ministerpräsident von Galicien die Umfragewerte seiner Partei verbessert. Bei der eigenen Wählerschaft hat er jedoch noch mit zwei Hindernissen zu kämpfen. Einerseits ist es unwahrscheinlich, dass die PP eine Mehrheit erzielt, ob nun auf regionaler oder kommunaler Ebene. Nach dem Niedergang der liberalen Ciudadanos mangelt es ihr an anderen potenziellen Verbündeten in der politischen Mitte oder unter den regionalistischen Parteien. So sieht sie sich gezwungen, Koalitionen mit der rechtsextremen Vox zu bilden. Dieses Szenario könnte ihre gemäßigte Anhängerschaft abschrecken und die Linken zukünftig stärker mobilisieren. Der einzige Ausweg für Núñez Feijoo: Er muss den Löwenanteil der konservativen Wählerschaft für sich gewinnen, damit er das erpresserische Potenzial der Vox in den Regionen und Kommunen verringern kann.

Núñez Feijoos stärkste politische Gegnerin findet sich allerdings innerhalb der Partei: Isabel Díaz Ayuso, die Regionalvorsitzende der Autonomen Gemeinschaft Madrid, ist das Gegenbild zu Sánchez und gilt mittlerweile als Favoritin für die Nachfolge von Feijoo für den Fall, dass es ihm in den kommenden Monaten nicht gelingt, die PSOE zu besiegen. Ayuso rechnet mit einer deutlichen Mehrheit im Madrider Stadtrat. Wenn es dazu kommt, dürfte Feijoo noch stärker unter Druck geraten. Dieser Druck wird sich noch weiter verschärfen, wenn Feijoo am 28. Mai keine nennenswerten Erfolge erringen sollte. Die Kommunal- und Regionalwahlen könnten somit die Chancen der PP verbessern, aber auch zum Aus für ihren amtierenden Vorsitzenden führen, falls die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen.

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Publikation von Agenda Publica und dem IPG-Journal.

Aus dem Englischen von Christine Hardung