Wenn derzeit sprichwörtlich eine Aussage zutrifft, dann „My home is my castle“. Das „Zuhause“ ist eine Burg, die vor der Seuche schützt, ein Zufluchtsort, der ein Minimum an Geborgenheit suggeriert, einer Pandemie zum Trotz, die selbst die wirtschaftlich entwickelten Länder jeden Tag den Spagat zwischen Freiheit, Gesundheit und Wirtschaft neu abwägen lässt.

Dabei sind die persönlichen Rückzugsräume in Europa zunehmend unterschiedlich geworden. Die Pandemie hat diese Diskrepanzen im Lebensstil hart ausgeleuchtet: Ein Lockdown im Garten oder auf der Terrasse ist ein anderer als der im Plattenbau.

Eine ausreichende Wohnraumversorgung als sozial-integrativer Faktor hatte in den modernen Marktwirtschaften Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine hohe normative Priorität. Diese steht nach mehreren Jahrzehnten neoliberaler Politik und einer Dekade strikter Austeritätspolitik in Europa vor der Herausforderung, sich zu erneuern.

Laut Eurostat sind die Wohnkosten in der EU zwischen 2010 und 2019 durchschnittlich um 19 Prozent gestiegen. Deutschland steht dabei mit einem Zuwachs von 16,2 Prozent an Platz drei hinter Griechenland (40,7 Prozent) und Dänemark (21,1 Prozent). Dagegen hat sich laut Statistischem Bundesamt das durchschnittliche Haushaltseinkommen im selben Zeitraum nicht in gleichem Maße erhöht. Somit ist der Anteil der Haushaltsausgaben für die Miete sehr viel größer geworden.

Ein Lockdown im Garten oder auf der Terrasse ist ein anderer als der im Plattenbau.

Ein Spitzenreiter bei der Verteuerung ist die deutsche Hauptstadt. In Berlin ist der Kaufpreis für Mietwohnungen seit 2008 um satte 208 Prozent gestiegen. Kaum ein Thema treibt die Bürgerinnen und Bürger derzeit mehr um als der Wohnungsmangel und die rasant steigenden Kosten sowohl in der Innenstadt als auch im Umland.

Eine Stadt, die sich immer wieder wandelte, ein beliebter Ort bei kreativen Menschen, die wenig Geld, aber viele Ideen hatten, das war Berlin nach der Wende in den 1990er Jahren. Die der Wende folgende Durchkommerzialisierung aller Lebensbereiche hat diesen Raum zerstört. Wohnungen, die der Stadt gehörten, wurden an private Firmen verkauft, ganze Viertel wurden so „gentrifiziert“. Wo Kultur vorher staatlich subventioniert und gewünscht war, steht nun eine neue Mall oder ein Starbucks. Wohnraum für wenige, McDonald‘s für alle, scheint das Credo einer Stadt zu sein, die alle Fehler New Yorks und Londons imitiert.

Der Billigflieger-Tourismus und der Airbnb-Markt sind ein weiterer Grund für den Wohnraummangel. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat bestätigt, dass Airbnb einen messbaren Einfluss auf die Berliner Mietpreise hat. Demnach waren in Berlin zu Hochzeiten rund 20 000 Wohnungen auf Airbnb inseriert. Inzwischen wurde die Vermietung reguliert, dennoch mangelt es an bezahlbarem Wohnraum, da jährlich 40 000 Menschen zuziehen.

Als Notbremse für die immer weiter steigenden Mieten und die Verdrängung der Bewohner reagierte Berlin mit einem Mietendeckel, der Obergrenzen für zulässige Mieten setzte und im November letzten Jahres implementiert wurde. 1,5 Millionen Mieterinnen und Mieter profitierten von reduzierten Mieten. Doch im April dieses Jahres wurde er vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig gekippt – der rot-rot-grüne Berliner Senat ist blamiert. Damit bleibt nur das Einklagen der Mietpreisbremse auf der Bundesebene.

Neben dem konstanten Zuzug in Städte wurde der Trend der Spekulation mit Wohnraum durch die Globalisierung verstärkt.

Ein Volksentscheid zur sogenannten „Enteignung“ des Konzerns „Deutsche Wohnen“ und anderer großer Immobilienunternehmen ist ein weiterer und radikalerer Versuch, Spekulanten zu stoppen. Die Initiative will den Berliner Senat auffordern, ein Gesetz zu erlassen, „welches die Vergesellschaftung der Wohnungen von privaten Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3 000 Berliner Wohnungen regelt, sowie deren Überführung in eine Anstalt öffentlichen Rechts“. 130 000 von 175 000 notwendigen Unterschriften wurden bereits gesammelt.

Auch in London, Paris und vielen anderen hochpreisigen Städten werden die Stadtteilbewohner massiv unter Druck gesetzt und in „Alt-Mieter“ (mit oft sehr geringen Mieten) und „Neu-Mieter“ oder „Neu-Käufer“, die oft das Doppelte zahlen, gespalten. Selbst die Vereinten Nationen nehmen sich des Themas nun an. So wirft die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für das Recht auf Wohnen, Leilani Farha, dem internationalem Immobilienkonzern Akelius vor, gegen das Menschenrecht auf Wohnen zu verstoßen: „Das vom Drang zur Profitmaximierung getriebene Geschäftsmodell von Akelius erzeugt eine feindliche Atmosphäre für deren Mieter“. Modernisierungen seien ein Vehikel für Akelius, erheblich höhere Mieten sowohl von Bestands- als auch Neumietern zu verlangen und so Mietenregulierungen zu umgehen.

Neben dem konstanten Zuzug in Städte wurde der Trend der Spekulation mit Wohnraum durch die Globalisierung verstärkt. Der neue Wohlstand einiger Schwellenländer, allen voran China, aber auch Brasilien und Indien, hat auch die Besitzverhältnisse in Europa verändert. Immobilien sind stärker als in der Vergangenheit zu einer sicheren Geldanlage geworden, die nicht mehr national begrenzt ist.

In der EU ist die Stabilität der Wertanlage hoch, denn Zinsen sind niedrig, Regierungen im weltweiten Vergleich stabil. Investoren aus der ganzen Welt werden aktiv angezogen. Das sogenannte „goldene Visum“ zum Beispiel, das nicht-Europäer bei einer Investition in Immobilien in Portugal ab 350 000 Euro dafür qualifiziert, den portugiesischen Pass und damit den des EU-Schengenraumes zu erhalten, zielt auf die Klientel der sogenannten Neureichen ab.

Die Nachfrage nach Häusern im urbanen Umland hat durch das digitale Arbeiten in Europa und den USA zugenommen.

Neben diesen Entwicklungen der letzten Dekaden steht nun eine neue Epoche mit Chancen und Risiken aufgrund der Corona-Pandemie an, die Menschen in wirtschaftlich entwickelten Ländern das Wohnen und Leben derzeit neu definieren lässt. So denkt jeder zehnte Deutsche in der Corona-Pandemie über eine Veränderung seiner Wohnsituation nach.

Die Nachfrage nach Häusern im urbanen Umland hat durch das digitale Arbeiten in Europa und den USA zugenommen. Warum in teuren Innenstädten wohnen, wenn diese in Pandemiezeiten keinerlei Mehrwert bieten, da Kultur und Gastronomie nicht mehr stattfinden und man also auch am Laptop mit Blick auf die Natur statt Beton leben könnte? Aber trotz Pandemie ziehen gerade junge Menschen weiterhin in die Städte. Deshalb ist es wichtig, hier Wohnraum zu schaffen, um den Preisanstieg zu bremsen. 

Die Pandemie hat den Druck auf die Regierungen weiter erhöht, die Wohnungsknappheit anzugehen. Gleichzeitig bietet die Neukalibrierung von Arbeits- und Privatleben eine einmalige Chance. Die Umstellung auf Fernarbeit führt dazu, dass viele Büros leerstehen. Das hat lokale Behörden in großen amerikanischen Städten, aber auch in Singapur und Seoul, dazu veranlasst, die ungenutzten Büros in Wohnungen umzuwandeln. Südkorea plant, 114 000 Wohnungen im öffentlichen Wohnungsbau zu schaffen, indem es leerstehende Hotels und Büros aufkauft. In Singapur sind Pläne im Gange, das zentrale Geschäftsviertel neu zu entwickeln, um mehr Wohnungen, Geschäfte, Restaurants und „Indoor-Farmen“ zu schaffen.

Es braucht nicht nur Luxus-Neubauten und sozialen Wohnungsbau, sondern auch bezahlbaren Wohnraum für die Mittelschicht. Dazu könnten neue kreative Allianzen zwischen Investoren und Städteplanern soziale und lohnende Konzepte für Gesellschaft und Wirtschaft bieten, um in Zukunft nicht in leeren Innenstädten auf „Geisterwohnungen“ zu schauen.

Ein richtiger Schritt in der Post-Corona-Welt wären Initiativen, den Immobilienmarkt so zu gestalten, dass er nicht den sozialen Zusammenhalt und damit das Vertrauen in soziale und demokratische Gesellschaften gefährdet. Denn auch nach der Pandemie wird es darum gehen, ein bezahlbares Dach über dem Kopf zu haben.