Die jüngst veröffentlichten Sondierungsergebnisse der Ampel-Parteien enthalten einige bemerkenswerte und interessante Vorhaben. Allerdings auch einige mindestens ebenso wichtige Leerstellen. Klimaschutz und Energiewende sind erkennbar eine gemeinsame Priorität, bei deren Umsetzung sich die drei Parteien bereits auf einige Konkretisierungen verständigen konnten.

Was aber bislang noch völlig offen bleibt ist die maßgebliche Frage, wie die Governance, also die politische und institutionelle Steuerung und vor allem die zielgerichtete Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen aussehen soll. Der bisherige Modus operandi ist nämlich dringend reformbedürftig. Zwar war die Bildung eines Klimakabinetts, in dem sich alle wesentlichen beteiligten Ressorts der Bundesregierung versammelten, ein wichtiger erster Schritt. Doch zu viele sinnvolle Initiativen versackten weiter in unklaren Zuständigkeiten, politischen Rivalitäten und unterschiedlichen Zielvorstellungen der verschiedenen Häuser. Themen hingegen, die mehr politische Aufmerksamkeit und Rückhalt benötigt hätten, wie z.B. die Stromnetzausbauplanung, wurden an nachgeordnete Behörden oder gar an die betroffenen privatwirtschaftlichen Akteure selbst delegiert.

Zu viele sinnvolle Initiativen versackten in unklaren Zuständigkeiten, politischen Rivalitäten und unterschiedlichen Zielvorstellungen der verschiedenen Häuser.

Aus dem Dreiklang der „Großen I’s“ finden sich zu den beiden Säulen Innovationen und Investitionen viele, zum Teil sehr konkrete Punkte im Sondierungspapier. Eine überraschende und beunruhigende Leerstelle bleibt aber die dritte Säule, die Infrastruktur. Wenig wird derzeit in energiepolitischen Kreisen kontroverser diskutiert als zwei Fragen: Erstens, wie viel leitungsgebundenen Transportbedarf wird es in Zukunft für welche Medien – Strom, (Erd-)Gas, Wasserstoff, Wärme – geben? Zweitens, wie und von wem soll die Wechselwirkung von Marktentwicklung und Verfügbarkeit der dazugehörigen Infrastruktur organisiert, antizipiert und gestaltet werden? Es mutet daher seltsam an, dass ausgerechnet der Handlungsbedarf im Bereich Infrastruktur im Sondierungspapier fast unerwähnt bleibt. Denn die Funktionalität und Leistungsfähigkeit der Energie-, Kommunikations- und Wassernetze sowie der Verkehrswege ist vorrangigste politische und regulatorische Aufgabe. Diese Infrastruktur bildet das Rückgrat unserer Volkswirtschaft und ist Voraussetzung für alle wirtschaftlichen Aktivitäten.

Die folgenden zwei Veränderungsvorschläge setzen auf der obersten politischen Steuerungsebene sowie auf der nachfolgenden Umsetzungssteuerungsebene an, mit besonderem Fokus auf die Energienetze. Darüber hinaus sind allerdings noch weitere Veränderungen in der Klima- und Energiegovernance und -regulierung nötig, die hier nicht behandelt werden können.

Erstens braucht es ein unmissverständliches und klares Signal, dass Klimaschutz Chefsache ist. Wirksamer Klimaschutz ist existenziell – für die Gesellschaft und für die Wirtschaft. Die Erfolgsbilanz der nächsten Legislaturperiode wird maßgeblich davon abhängen, wie die messbaren Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität aussehen. Eine Koordinationsstelle für Klimaschutz im Kanzleramt sollte für eine ressortübergreifende Koordinierung der Maßnahmen für Klimaneutralität sorgen und Zuständigkeits- und Interessenskonflikte aktiv moderieren. Gestärkt durch die Richtlinienkompetenz des Hauses kann sie dies mit der notwendigen Durchsetzungsfähigkeit tun.

Es braucht ein unmissverständliches und klares Signal, dass Klimaschutz Chefsache ist.

Um die Koordinationsaufgabe zu erleichtern, sollte außerdem ein Ressort geschaffen werden, in dem Klimaschutz und Energie gebündelt werden. So wird Verantwortung durchgängig verankert und für Konzeption und Umsetzung der zentralen Instrumente ein starkes Ministerium geschaffen, das für die Fachkenntnis sowie die Operationalisierung beschlossener Maßnahmen erster Ansprechpartner ist.

Das Format des Klimakabinetts sollte verstetigt und regelmäßig auf seinen Zuschnitt geprüft werden. Neben den für die relevanten Sektoren (Wirtschaft, Energie, Verkehr, Bauen, Landwirtschaft, Finanzen) verantwortlichen Ressorts sollten zumindest auch Vertreter von Ressorts bedarfsabhängig hinzugezogen werden, die wichtige Querschnittsthemen wie Außenpolitik und Digitalisierung bearbeiten. Klärungsbedürftig sind auch Zuschnitt, Zuständigkeiten und Befugnisse der verschiedenen bestehenden Bundesämter und Sachverständigenräte.

Zweitens muss das Energiesystem als Ganzes in den Blick genommen werden, um die bisherigen, oft sehr engen und interessensgeleiteten Perspektiven zu weiten und die Energiewende sektorübergreifend und zielgerichtet voranzubringen. Das wird nur mit einer integrierten Energiesystemplanung möglich, die den Transformationsbedarf nicht nur anerkennt, sondern aktiv mitgestaltet. Die Strom-, Wasserstoff- und Wärmenetze müssen fachkundig und unabhängig zusammengedacht und weiterentwickelt werden. Dabei müssen dezentrale Energieressourcen als selbstverständliche, tragende Säulen der zukünftigen, zuverlässigen und günstigen Energieversorgung betrachtet werden.

Für eine solche Herangehensweise braucht es einen ganz neuen Geist dort, wo diese komplexe Aufgabe vorgedacht und strukturiert wird. Am besten und vor allem am schnellsten kann das eine neue Institution leisten, z.B. eine Agentur für Transformation und Energiesystementwicklung. Mit einem klaren Auftrag gegründet und mit angemessenen Handlungsspielräumen ausgestattet, kann eine solche Agentur rascher Dynamik und Wirksamkeit entfalten, als wenn bestehende Institutionen sich erst weiterentwickeln müssen. Geschwindigkeit ist angesichts der fortschreitenden Klimakrise ein wichtiger Faktor. Nicht zu unterschätzen ist auch die potenzielle Strahlkraft, die eine Institution mit einem so grundlegend wichtigen Auftrag für unsere Gesellschaft auf die dafür dringend benötigten Experten aus dem Bau- und Ingenieurswesen, der Stadt- und Landschaftsplanung, der Volkswirtschaft, Kommunikation u.a. entwickeln kann.

Geschwindigkeit ist angesichts der fortschreitenden Klimakrise ein wichtiger Faktor.

Die Transformationsagentur soll dabei keine holzschnittartige „top-down“-Planung vorgeben, sondern den Fokus darauf setzen, die Schwächen der bisherigen Planungsansätze zu beheben und zwischen den verschiedenen Planungsebenen Brücken zu bauen. Akteure auf Landes- und Kommunalebene, Verteilnetzbetreiber und regionale Versorger sollen in den Planungsprozess eingebunden und bei Bedarf unterstützt werden. Gleichzeitig muss klar und ggf. gesetzgeberisch festgelegt sein, dass eine aktive Mitwirkung an der Veränderungsaufgabe nicht optional ist, sondern integraler Bestandteil der Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge.

Bestehende Funktionen, beispielsweise in der Bundesnetzagentur, können in die Transformationsagentur integriert werden. So kann wichtiges Erfahrungswissen genutzt und in den neuen, deutlich umfangreicheren Planungsansatz eingearbeitet werden. Eine klare Trennung der zukunftsorientieren Systemplanung von Regulierung und Marktaufsicht in der Bundesnetzagentur führt auch zu mehr Klarheit für die Marktakteure und besserer Konformität mit dem europäischen Recht.

Governance und Infrastrukturplanungsprozesse – Themen, die zunächst sperrig und administrationsfokussiert klingen – sind elementar dafür, dass wirksamer Klimaschutz in der kommenden Legislaturperiode gelingen kann. Es ist allerhöchste Zeit dafür, sie anzugehen.