Arbeitslosigkeit schwächt Regierungen. Inflation bringt sie zu Fall. Das hat mir einmal ein Regierungsbeamter aus Brasilien gesagt. Aber reiche Länder wie die Vereinigten Staaten haben die politische Zerstörungskraft der Inflation aus dem Blick verloren. Mit den herkömmlichen politischen Instrumenten waren wir nicht ausreichend vorbereitet, und die Biden-Regierung reagierte zu langsam. Donald Trumps Wiederwahl sollte demokratischen Regierungen eine Warnung sein.

In diesen Zeiten, in denen die Katastrophen – Wirbelstürme, Ausbruch der Vogelgrippe, zwei regionale Kriege – sich gegenseitig überlagern, gehören gefährdete Lieferketten mittlerweile zum Alltag. Jede Bedrohungslage bringt das Risiko einer Inflation und eine Destabilisierungsgefahr für Regierungen mit sich. Solche Krisensituationen sind die neue Normalität, und wenn überhaupt etwas aus dem Wahlergebnis in den USA gelernt werden muss, dann dies: Wir müssen neue Wege finden, um unsere Gesellschaft und Demokratie zu schützen.

Die plötzliche Nachricht von Kostenschocks wie dem Ausbruch einer Pandemie oder eines Krieges eröffnet Unternehmen einen größeren Spielraum, sektorübergreifend Preiserhöhungen zu koordinieren.

Eines der drängendsten Probleme, die es zu lösen gilt, ist, dass viele Wirtschaftszweige inzwischen von Großkonzernen beherrscht werden, die aus diesen Einmalereignissen Profit schlagen können. In einem demnächst erscheinenden Artikel haben mehrere Co-Autoren und ich mit Hilfe von KI und natürlicher Sprachverarbeitung mehr als 130 000Earnings Calls“ (Webcasts zu den Quartalsberichten) börsennotierter US-Unternehmen analysiert und festgestellt, dass Unternehmen koordiniert die Preise erhöhen können, sobald es zu Kostenschocks kommt. Dadurch konnten Unternehmen die Auswirkungen der externen Schocks, die durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine verursacht wurden, im Großen und Ganzen weitergeben oder verstärken. Mit anderen Worten: Die plötzliche Nachricht von Kostenschocks wie dem Ausbruch einer Pandemie oder eines Krieges eröffnet Unternehmen einen größeren Spielraum, sektorübergreifend Preiserhöhungen zu koordinieren, weil sie wissen, dass ihre Konkurrenten mit hoher Wahrscheinlichkeit dasselbe tun werden.

Skeptiker wenden ein, die Konzernkonzentration sei schon vor der Pandemie hoch gewesen und dennoch hätten dieselben mächtigen Unternehmen die Preise über viele Jahre stabil gehalten – obwohl die Zinssätze nahe Null lagen. Der Grund dafür war: Wenn ein Unternehmen sich unter normalen Umständen für eine Preiserhöhung entscheidet, ohne zu wissen, ob seine Konkurrenten nachziehen werden, läuft es Gefahr, Marktanteile an die Konkurrenz zu verlieren. So sah die Welt vor der Pandemie aus. Die Globalisierung hatte die effizientesten Just-in-Time-Produktionsnetzwerke aller Zeiten hervorgebracht, und unter dem Druck des Wettbewerbs hielten selbst Riesenkonzerne die Preise größtenteils stabil.

Wenn aber Lieferengpässe entstehen, kommt das gesamte Räderwerk zum Stillstand. Jeder, der etwas produziert, kann natürlich nur eine begrenzte Anzahl an Produkten herstellen. Das bedeutet: Selbst wenn ein Unternehmen die Preise anhebt, können die Wettbewerber nicht einfach ihr Angebot erhöhen, um ihm seine Marktanteile streitig zu machen. Außerdem weiß jedes Wirtschaftsunternehmen, dass die logische Reaktion auf einen Preisschock eine Preiserhöhung ist. Preiserhöhungen sind jetzt eine sichere Sache und für Unternehmen, die auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, eine rationale Konsequenz.

Im Zuge der Corona-Krise gelang es den meisten Unternehmen, ihre höheren Kosten an die Verbraucher weiterzugeben und ihre Gewinnspannen zu halten, wobei einige Konzerne ihre Margen sogar noch steigern konnten. Selbst wenn Unternehmen nach einem Kostenschock ihre Gewinnmargen lediglich stabil halten, steigen ihre Gewinne. Das leuchtet ein, wenn man sich klarmacht, dass für ein teureres Haus auch dann höhere Maklergebühren anfallen, wenn die prozentualen Konditionen dieselben sind. Konzernchefs wissen um diesen Sachverhalt. Genau deshalb konnten wir feststellen, dass bei großen Kostenschocks, die die gesamte Wirtschaft treffen, Führungskräfte durchaus optimistisch klingen.

Massive Schocks können für die direkt betroffenen Sektoren sogar eine gute Nachricht sein.

Massive Schocks können für die direkt betroffenen Sektoren sogar eine gute Nachricht sein. Nehmen wir das Beispiel Öl. Als die Nachfrage über Nacht einbrach, weil die Menschen während der Lockdowns zu Hause blieben, waren die Fossilbrennstoffunternehmen plötzlich mit einem nie dagewesenen Nachfrageeinbruch konfrontiert und schlossen einige ihrer kostenintensivsten Ölfelder und Raffinerien. Als die Nachfrage sich wieder erholte, kam es deshalb zu einer Verknappung, die zu Rekordmargen führte. In einem weiteren demnächst erscheinenden Artikel gehen meine Co-Autoren und ich davon aus, dass die amerikanischen Aktionäre börsennotierter Öl- und Gasunternehmen 2022 Nettoerträge von 301 MilliardenUS-Dollar verbuchen konnten – eine Versechsfachung gegenüber dem Durchschnitt der vier Jahre vor der Pandemie. Die Gewinne aus dem Öl- und Gassektor überstiegen in diesem Jahr auch die Investitionen der USA in die kohlenstoffarme Wirtschaft in Höhe von 267 Milliarden Dollar.

Öl ist grundsätzlich ein Sektor mit Boom-Bust-Zyklen, aber in Krisenzeiten können wir uns so extreme Gewinnsprünge nicht leisten. Sie stützen einen Sektor, der zurückgefahren werden muss, um den Klimawandel einzudämmen. Zudem verstärken sie die Ungleichheit. Laut unserer neuen Studie strich das reichste Prozent der Bevölkerung 2022, als die Preise für fossile Brennstoffe ihren Höchststand erreichten, durch Aktienbeteiligungen und private Unternehmensbeteiligungen 51 Prozent der Öl- und Gasgewinne ein. Die weniger Wohlhabenden mussten mit einer höheren Inflation zurechtkommen und bekamen nur einen kleinen Teil der Übergewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft ab.

Ohne eigenes Verschulden sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die Leidtragenden. Selbst wenn ihre Löhne sich irgendwann angleichen, geraten sie finanziell in Bedrängnis und fühlen sich vor allem betrogen. Das ist der Grund, warum die Anbieterinflation die wirtschaftliche Ungleichheit und die politische Spaltung, die ohnehin schon die Demokratie bedrohen, noch verschärft.

Präsident Joe Biden ergriff einige unkonventionelle Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung – unter anderem die neuen Leitlinien des Kartellrechts, die sich gegen zu große Unternehmensmacht richten, und die Erhöhung des Ölangebots durch die Freigabe der strategischen Erdölreserve. Das war eine wichtige Abkehr von der bisherigen Politik, aber die Maßnahmen waren nur punktuell und retroaktiv. Das wichtigste politische Steuerungsinstrument war nach wie vor die Erhöhung der Zinssätze. Drastische Zinserhöhungen führten zu einer Verschärfung der Immobilienkrise und zur Verschlimmerung der Schuldenkrise für Länder des Globalen Südens. Sie trieben die Kosten für Investitionen, die zur Bewältigung der Klimakrise dringend benötigt werden, in die Höhe.

Die wirtschaftliche Stabilisierung war früher fester Bestandteil der Katastrophenvorsorge.

Die wirtschaftliche Stabilisierung war früher fester Bestandteil der Katastrophenvorsorge. Es ist an der Zeit, sie wieder mit einzubeziehen. So wie nach der globalen Finanzkrise einige Banken als „too big to fail“ galten, müssen wir jetzt einige andere Sektoren als „too essentialto fail“ einstufen. In essenziellen Sektoren sollte von einer reinen Effizienzlogik zu strategischen Redundanzen übergegangen werden. Das erfordert politisches Handeln.

Häfen und andere kritische Infrastrukturen sollten ausreichende Reservekapazitäten und gut bezahlte Arbeitskräfte vorhalten, damit der Betrieb bei Bedarf hochgefahren werden kann. Die Strategische Erdölreserve (Strategic Petroleum Reserve, SPR), ein staatlicher Ölpuffer, muss systematisch dafür genutzt werden, bei abstürzenden Preisen zu kaufen und bei explodierten Preisen zu verkaufen, um auf diese Weise Preisextreme zu vermeiden. Öl sollte bei zu geringer Nachfrage auf dem freien Markt gekauft werden, damit die Preise nicht einbrechen, und bei drohender Unterversorgung verkauft werden, um eine Preisexplosion zu verhindern. Solche antizyklischen Käufe und Verkäufe von Pufferbeständen auf den Rohstoffmärkten funktionieren nach demselben Prinzip wie die Offenmarktgeschäfte der Zentralbanken auf den Geldmärkten.

Einfach nur Ölvorräte freizugeben, wenn die Preise in die Höhe schießen, greift zu kurz. Die Erfahrungen während der Pandemie lehren, dass ein Preisverfall zu einem plötzlichen Rückgang der Produktionskapazitäten führen kann, was wiederum zu drastischen Preissteigerungen führt, sobald die Nachfrage wieder anzieht. Und noch eine weitere Lehre lässt sich ziehen: Auf globalen Märkten ist es sinnvoll, Stabilisierungsmaßnahmen international zu koordinieren – wie es die Internationale Energieagentur für ihre Mitgliedstaaten getan hat. Und in den Bereichen, in denen Terminmärkte existieren, können die Pufferbestände Termingeschäfte kaufen, wenn die Preise fallen, und sie bei steigenden Preisen verkaufen, um für Stabilisierung zu sorgen.

Eine antizyklische Preisstabilisierung durch Pufferbestände ist nicht nur für Öl wichtig. Es braucht sie auch für kritische Mineralien, um Anreize für Investitionen in die grüne Lieferkette zu schaffen, und für Grundnahrungsmittel wie Getreide, damit starke Rohstoffpreisschwankungen infolge von Extremwetterereignissen vermieden werden können. Zusätzlich zur Bevorratung mit lebensnotwendigen Gütern brauchen wir außerdem Maßnahmen, mit denen staatliche und private Interessen auf das Ziel der Krisenfestigkeit ausgerichtet werden. Solange Unternehmen in Katastrophenzeiten mit steigenden Gewinnen rechnen, weil Versorgungsengpässe drohen, können wir nicht davon ausgehen, dass sie sich im bestmöglichen Interesse der Allgemeinheit auf Notfälle vorbereiten. Gesetze gegen Preistreiberei und Übergewinnsteuern sind hier relevante politische Instrumente.

Die wichtigste Hauptaufgabe bleibt natürlich die Bekämpfung der Ursachen von Krisensituationen. Das ist vor allem in Zeiten des Klimawandels eine Mammutaufgabe. Einstweilen braucht es ein systemisches Gesamtpaket von Puffervorräten, Regulierungen und Notfallgesetzen. Ohne diesen wirtschaftspolitischen Katastrophenschutz sind die Lebensgrundlagen der Menschen und der Ausgang von Wahlen auch dem nächsten Schock schutzlos ausgeliefert.
 

Dieser Artikel erschien zuerst in The New York Times.

Aus dem Englischen von Christine Hardung