Der Wind dreht sich auch in der Handelspolitik. Er wird rauer, unberechenbarer. Doch das oft kritisierte multilaterale Handelsregime der Welthandelsorganisation (WTO) erweist sich bislang als erstaunlich widerstandsfähig. Paradoxerweise könnte die Zollpolitik von Donald Trump die WTO sogar stärken. In schwindelerregendem Tempo schlägt die neue US-Regierung um sich, auch in der Handelspolitik. 20-prozentige Zölle auf Importe aus China, 25-prozentige Zölle auf Importe aus Mexiko und Kanada mit Ausnahme von Energieressourcen. Der EU drohen ebenfalls Zollerhöhungen von bis zu 25 Prozent. Berechnungen zufolge würden diese Maßnahmen die US-Zölle auf den höchsten Stand seit 1969 bringen. Die betroffenen Handelspartner haben bereits Gegenmaßnahmen angekündigt und wollen ihrerseits Importe aus den USA mit Zöllen belegen.
Die US-Regierung nutzt Zölle als ein Allzweckinstrument, um wirtschaftliche Probleme schnell zu lösen oder geoökonomische Ziele zu verfolgen. Gleichzeitig sind Zölle für WTO-Mitglieder ein legitimes Mittel zum handelspolitischen Schutz. Daher wäre auch das von den USA angeführte Argument der nationalen Sicherheit grundsätzlich von der WTO gedeckt. Im konkreten Fall hat das WTO-Schiedsgericht diese Art der Zollerhebung unter Trump 1.0 allerdings als regelwidrig eingestuft. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn er es erneut versucht. Die USA haben gegen diese Urteile Berufung eingelegt – ein widersprüchliches Verhalten. Denn gleichzeitig blockieren sie seit Jahren die turnusmäßige Neubesetzung des zuständigen WTO-Berufungsgerichts.
Wir halten fest: Die USA schwächen die WTO, indem sie deren Berufungsinstanz lahmlegen, begründen ihr nicht regelkonformes Vorgehen jedoch mit einem WTO-legitimen Argument – mit dem der nationalen Sicherheit.
Die USA zeigen ein widersprüchliches Verhalten: Einerseits akzeptieren sie geltendes WTO-Recht nicht und sind mit Teilen des Handelssystems unzufrieden. Gleichzeitig halten sie dennoch am WTO-System fest. Andererseits deutet ihre Ankündigung, ab April sogenannte reziproke Zölle zu erheben, darauf hin, dass sie wenig Interesse an der multilateralen Handelsordnung haben – möglicherweise sogar gezielt deren Zerstörung betreiben. Diese reziproken Zölle würden überall dort angehoben, wo die USA derzeit niedrigere Abgaben verlangen als ihre Handelspartner. Damit unterlaufen sie die Meistbegünstigungsklausel, die besagt, dass ein Staat jedem Handelspartner die gleichen Vorteile gewähren muss, die er bereits einem anderen Staat eingeräumt hat. Dies wäre ein klarer Verstoß gegen grundlegende WTO-Regeln – und eine Rückkehr zur Beggar thy neighbour-Politik, bei der ein Land versucht, seine eigene Wirtschaft auf Kosten anderer zu stärken.
Die Zollandrohungen aus Washington bleiben nicht ohne Reaktion. Während kleinere Länder wie Kolumbien schnell nachgegeben haben, ist Abwarten für größere Wirtschaftsmächte keine Option – insbesondere nicht für die G20-Staaten, die nicht als handlungsunfähig erscheinen wollen. Daher haben betroffene Handelspartner Gegenmaßnahmen angekündigt und erheben ihrerseits Zölle auf Importe aus den USA. China etwa verhängt seit dem 10. Februar Zölle von 15 Prozent auf Kohle und Flüssiggas sowie 10 Prozent auf Öl. Weitere Abgaben auf bestimmte Agrarprodukte sollen folgen.
Die EU setzt alles daran, eine weitere Eskalation des Handelskonflikts zu verhindern.
Auch von Seiten der EU ist mit Gegenmaßnahmen zu rechnen. Wie weit sie dabei gehen wird, ist angesichts der neu entflammten Liebe zwischen Trump und Putin allerdings schwer absehbar. Handelskommissar Šefčovič reiste bereits nach Washington, um mögliche Deals auszuloten. Schon vor Trumps Amtsantritt hatte die EU-Kommission betont, wie wichtig die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen seien und dass sie offen für Verhandlungen bleibe.
Die EU setzt alles daran, eine weitere Eskalation des Handelskonflikts zu verhindern. Diplomatische Lösungen haben sich bewährt und sind das bevorzugte Mittel der WTO-Mitglieder bei Streitigkeiten. Dennoch macht die EU deutlich, dass sie im Ernstfall mit Gegenzöllen reagieren wird. Auch ihr Schutzinstrument gegen wirtschaftlichen Zwang durch Drittländer könnte erstmals zur Anwendung kommen. Ihr oberstes Ziel bleibt jedoch, Eskalationen zu vermeiden und im Rahmen der WTO-Regeln zu handeln. Die Reaktion der Handelspartner auf die jüngsten Maßnahmen der Trump-Regierung deckt sich mit den Worten von WTO-Generalsekretärin Okonjo-Iweala: „Die WTO wurde genau für Zeiten wie diese geschaffen – um einen Raum für Dialog zu bieten, Konflikte einzudämmen und ein offenes, berechenbares Handelsumfeld zu unterstützen.“
Das multilaterale Regelwerk der WTO bleibt damit vor allem für die Handelspartner der USA ein zentraler Orientierungspunkt. Für alle, die an eine regelbasierte internationale Kooperation glauben, ist das ein gutes Zeichen.
Was wäre, wenn die USA doch aus der WTO austreten? Trump hat diesen Schritt zwar bisher nicht angekündigt, doch seine Unberechenbarkeit bleibt ein Risiko. Ein solcher Austritt wäre ein beispielloser Präzedenzfall und hätte erhebliche Folgen für das globale Handelssystem. Noch nie zuvor hat ein Staat die WTO verlassen – und die USA spielen als Handelspartner für viele Länder eine zentrale Rolle. Sollte es tatsächlich dazu kommen, müssten die USA mit über 165 Staaten bilaterale Handelsvereinbarungen aushandeln – und das mit einem geschrumpften Regierungsapparat. Ein enormer administrativer Aufwand, der erhebliche Unsicherheiten für die Weltwirtschaft mit sich bringen würde.
Die WTO bietet nach wie vor ein attraktives Regelwerk, das den internationalen Handel erheblich erleichtert – durch Transparenz, Verlässlichkeit und faire Wettbewerbsbedingungen.
Trumps Zollkeule könnte also das Gegenteil bewirken und viele Länder zurück zum Multilateralismus führen. Die WTO bietet nach wie vor ein attraktives Regelwerk, das den internationalen Handel erheblich erleichtert – durch Transparenz, Verlässlichkeit und faire Wettbewerbsbedingungen. Diese Vorteile werden oft übersehen, trotz berechtigter Kritik an der Organisation. Ein sofortiges Erodieren der WTO ist daher unwahrscheinlich, zumal es keine institutionellen Alternativen gibt. Zudem basieren nahezu alle bestehenden Handelsverträge auf WTO-Recht. Neben den USA gibt es zwar weitere notorische Blockierer wie Indien, doch trotz ihrer Schwächen bleibt die WTO ein unverzichtbarer Rahmen. Letztlich bietet allein das Zollsystem der WTO als kleinster gemeinsamer Nenner weiterhin große Vorteile für ihre Mitglieder. Für viele Staaten dürfte es daher attraktiver sein, innerhalb des Systems auf Reformen zu drängen, statt sich dem Chaos unregulierter Handelsbeziehungen auszusetzen.
Und wie geht es mit dem Rest der Welt weiter? Diese Staaten bilden eine ziemlich heterogene Gruppe, verfolgen die aktuellen Entwicklungen jedoch genau. Es ist zu erwarten, dass regionale Handelsbündnisse wie das afrikanische Freihandelsabkommen (AfCFTA), das asiatische Handelsregime ASEAN oder überregionale Abkommen wie die EU-Mercosur-Partnerschaft geopolitisch an Bedeutung gewinnen. Nicht zu vergessen: Der europäische Binnenmarkt bleibt das erfolgreichste regionale Handelsregime der Welt – ein Modell, das auch für andere Regionen als Vorbild dienen könnte.
Unabhängig davon, wie die EU auf die angedrohten US-Zölle reagiert, sollte sie ihre strategischen, wirtschaftlichen und politischen Ressourcen gezielt nutzen. Ihr Ziel sollte sein, gleichgesinnte Partner weltweit zusammenzubringen und gemeinsam für ein reformiertes multilaterales Handelssystem einzutreten. In der WTO bieten sich dafür bereits konkrete Chancen. So könnte die EU an Einfluss gewinnen, wenn sie sich klar zur Zukunft der Landwirtschaftspolitik positionieren würde. Eine entschlossene Unterstützung in diesem Bereich würde ein starkes Signal der Partnerschaft an afrikanische Staaten senden – jene Länder, die dieses Thema auf die WTO-Agenda gebracht haben.
Die Generaldirektorin der UN Trade and Development (UNCTAD), Rebecca Grynspan, betonte kürzlich bei einem G20-Treffen: „Wir glauben an eine Welt mit besseren Regeln, nicht an eine Welt ohne Regeln.“ Wenn die EU und die große Mehrheit der 166 WTO-Mitgliedstaaten diesem Prinzip treu bleiben, senden sie ein klares Signal an jene, die in ihrem Me first-Denken den Blick für das größere Ganze verloren haben. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts muss im politischen Raum Vorrang haben – das gilt besonders für die Handelspolitik. Nun liegt es an der großen Mehrheit der WTO-Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass dieses Prinzip Bestand hat.