Die Staatsverschuldung der USA ist seit den Steuersenkungen im ersten Jahr von Donald Trumps Präsidentschaft rasant gestiegen. Sprunghaft beschleunigt wurde der Anstieg durch die Hilfs- und Konjunkturpakete zur Bewältigung der Pandemie, und auch jetzt wachsen die Schulden trotz der stabilisierten wirtschaftlichen Lage weiter, weil eine hohe Zinslast das Defizit vergrößert. Die Staatsverschuldung ist inzwischen größer als das Bruttoinlandsprodukt (BIP), und das Congressional Budget Office (CBO) – eine Art Rechnungshof des US-Kongresses – geht in seinen neuesten Projektionen davon aus, dass sie am Ende des Budgethorizonts die nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten Höchststände übertreffen wird.

Dieser Sachverhalt wird oft ins Feld geführt, um eine groß angelegte Sparpolitik mit weitreichenden Ausgabenkürzungen zu begründen und massive Steuererhöhungen zu fordern. Kleinere Haushaltsdefizite und vor allem eine geringere Zinsbelastung wären zwar durchaus wünschenswert, aber die Ängste, die viele haushaltspolitische Hardliner zu schüren versuchen, sind weitgehend unbegründet.

Erstens steht die klassische Mär, dass große Haushaltsdefizite etwas Schlechtes seien, in Wirklichkeit auf dünnen Beinen. Oft heißt es, hohe Haushaltsdefizite würden die Zinsen in die Höhe treiben, private Investitionen verdrängen und dadurch das Wachstum bremsen und zu Wohlstandseinbußen in der Zukunft führen. Die unzähligen Studien zu diesem Thema liefern dafür jedoch relativ wenige Anhaltspunkte. Wenig Grund zur Sorge bereitet auch der Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen, der aktuell knapp unter 4,0 Prozent liegt. Zum Vergleich: In den späten 1990er Jahren, in denen der amerikanische Staat einen Haushaltsüberschuss aufwies, fiel der Zinssatz mehrmals kurzzeitig unter 5,0 Prozent, lag aber zumeist nahe bei 6,0 Prozent.

Noch größer ist – wegen der derzeit höheren Inflation – der Unterschied zwischen den realen Zinssätzen damals und heute. Der langfristige Realzins (nominaler Zinssatz abzüglich Inflationsrate) in den Überschusszeiten der späten 1990er Jahre lag einen ganzen Prozentpunkt über den heutigen Realzinssätzen oder sogar noch höher. Wenn die Zinssätze trotz des großen Defizits niedrig bleiben, bleibt von der Mär von der Investitionsverdrängung nicht mehr viel übrig. Und noch etwas gilt es zur Kenntnis zu nehmen: Auch die Zinszahlungen sind, gemessen am BIP-Anteil, nur geringfügig höher als in den frühen 1990er Jahren.

Dann gibt es da noch die Story von der Krise. Sie besagt: Wenn wir eine bestimmte Verschuldungsgrenze überschreiten, müssen wir Angst haben, dass Anleger sich auf einen Schlag fluchtartig aus US-Staatsanleihen und aus dem US-Dollar zurückziehen. Möglich ist natürlich alles, aber für solche Ängste gibt es kaum eine reale Grundlage. Andere Länder – allen voran Italien und Japan – sind im Verhältnis zu ihrem BIP erheblich höher verschuldet als die USA und finden trotzdem jede Menge Abnehmer für ihre Schuldtitel. Dass der Dollar zudem die weltweit führende Reservewährung darstellt, macht eine plötzliche Flucht aus dem Dollar noch unwahrscheinlicher.

Solange die US-Wirtschaft stark bleibt, dürfte es wenig Grund für eine plötzliche Dollarpanik geben.

Solange die US-Wirtschaft stark bleibt, dürfte es wenig Grund für eine plötzliche Dollarpanik geben. Sollte die Wirtschaft wegen innenpolitischer Unruhen oder infolge von Klimakatastrophen in einer Stagnation stecken bleiben oder irgendein Desaster erleiden, könnte es tatsächlich zu einem massenhaften Rückzug aus dem Dollar kommen, aber das wäre auch dann der Fall, wenn wir nur halb so hoch verschuldet wären wie derzeit. Selbst wenn die Verschuldung uns Sorgen bereiten würde – die Aussichten auf eine substanzielle Reduzierung des Defizits sind begrenzt. Auf der Einnahmenseite gibt es für Steuererhöhungen zulasten der Mittelschicht sehr wenig Unterstützung.

Für die komplette oder teilweise Rücknahme der jüngsten Steuersenkungen, von denen reiche Einzelpersonen und juristische Personen profitieren, gibt es dagegen sehr wohl politische Unterstützung. Trump hat 2017 den Spitzensteuersatz von 39,6 Prozent auf 37,0 Prozent gesenkt. Dieser Baustein seines Steuersenkungspakets läuft im kommenden Jahr aus und wird womöglich nicht verlängert – je nachdem, wie die Wahlen im Herbst ausgehen. (Das CBO geht in seinen Haushaltsprognosen bereits davon aus, dass die niedrigeren Steuersätze nicht weiterbestehen werden.)

Im Prinzip sind Spielräume für eine weitere Anhebung des Steuersatzes vorhanden, wobei viele Progressive diese Spielräume größer darstellen, als sie sind. Viele US-Bundesstaaten belegen ihre wohlhabenden Bewohner bereits mit hohen Steuersätzen. Ganz oben auf der Liste steht Kalifornien mit 13 Prozent; reiche New Yorker zahlen elf Prozent. Da für viele der reichsten Bürgerinnen und Bürger des Landes schon jetzt Steuersätze von über 50 Prozent gelten, wären die Mehreinnahmen, die sich durch eine deutliche Anhebung der Sätze erzielen ließen, begrenzt.

Für Mehreinnahmen aus der Körperschaftssteuer gibt es möglicherweise mehr Spielraum. Das CBO rechnet in seinen Projektionen damit, dass das Aufkommen aus der Körperschaftssteuer schrumpfen und nur noch 1,3 Prozent des BIP betragen wird. Zum Vergleich: Noch in den 1990er Jahren waren es 2,0 Prozent des BIP und in den 1960er Jahren sogar deutlich über 3,0 Prozent des BIP. Indem man diesem Schrumpfungsprozess entgegenwirkt, kann man das Defizit deutlich abbauen. Dazu muss man sich jedoch klarmachen: Ein hoher Körperschaftssteuersatz bedeutet kein hohes Körperschaftssteuer-Aufkommen. Die Unternehmen sind inzwischen Experten, wenn es darum geht, aus dem Steuerrecht das meiste für sich herauszuholen. Vor Trumps Steuersenkungen betrug der Körperschaftssteuersatz nominell 35 Prozent, aber real nur knapp über 20 Prozent.

Jedes Bemühen um eine deutliche Anhebung der Unternehmenssteuern sollte vor allem die Besteuerung von Aktienrenditen (Dividenden und Kapitalgewinne) in den Fokus rücken, die ohne Weiteres auf jeder beliebigen Finanzwebsite einsehbar sind. Bei den Unternehmensgewinnen ist das anders: Welche Gewinne ein Unternehmen erzielt, erfährt der Staat von den Buchhaltern des Unternehmens. Die Biden-Regierung unternahm immerhin einen kleinen Vorstoß in diese Richtung und führte eine Ein-Prozent-Steuer auf Aktienrückkäufe ein. Dafür braucht es keinen großen Eintreibungsaufwand, denn wie viel Geld sie für Aktienrückkäufe ausgeben, müssen die Unternehmen offenlegen.

Der einzige Bereich, in dem substanzielle Einsparungen möglich sind, ist die Gesundheitsversorgung.

Und wie sieht es auf der Ausgabenseite aus? Hier sind große Einschnitte schwer vorstellbar, weil die meisten Bereiche entweder wenig ausgabenintensiv sind oder massiven politischen Rückhalt genießen. 70 Prozent der Haushaltsmittel, die nicht für Zinsen ausgegeben werden, fließen an das Militär, in die sozialen Sicherungssysteme, die öffentliche Krankenversicherung Medicare und in andere Programme im Gesundheitswesen. An den übrigen 30 Prozent hat man bereits bei früheren Bemühungen um Defizitabbau immer wieder gerüttelt.

Der einzige Bereich, in dem substanzielle Einsparungen möglich sind, ist die Gesundheitsversorgung. Die USA haben das ineffizienteste Gesundheitswesen der Welt und geben pro Kopf mehr als doppelt so viel dafür aus wie der OECD-Durchschnitt. Gegenüber früheren Kosten-Wachstums-Projektionen wurden hier bereits erhebliche Einsparungen erzielt: 2011 ging das CBO in seiner Projektion davon aus, dass die US-Regierung7,4 Prozent des BIP für Medicare und andere Gesundheitsversorgungs-Programme ausgeben werde. Stattdessen machen die Ausgaben heute nur 5,6 Prozent des BIP aus. Da die USA in diesem Bereich nach wie vor zu viel ausgeben, sind hier weitere Einsparungen möglich.

Am offensichtlichsten ist das Kostensenkungspotenzial bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Im laufenden Jahr werden mehr als 650 Milliarden Dollar (2,3 Prozent des BIP) für rezeptpflichtige Medikamente und andere pharmazeutische Erzeugnisse ausgegeben. Für diese Artikel zahlen die USA mehr als doppelt so viel wie die Menschen in anderen wohlhabenden Ländern. Wenn wir diese Ausgaben besser austarieren, können wir erhebliche Haushaltsmittel einsparen und die Ausgabenbelastung für die Patientinnen und Patienten senken.

Wichtig zu wissen ist, dass der beinahe einzige Grund für diese hohen Ausgaben staatlich gewährte Patentmonopole sind. In einem freien Markt wären Arzneimittel fast durchweg billig. Was sie teuer macht, sind die Patente. Interessanterweise gibt es eine starke Lobby, die über die Zinslast klagt, die wir unseren Kindern aufbürden, aber die Belastung, die durch vom Staat gewährte Patentmonopole verursacht wird, erwähnt so gut wie niemand.

Wenn wir uns Gedanken darüber machen, was wir zukünftigen Generationen hinterlassen, sind die Staatsschulden am Ende ein unwichtiger Teil des Gesamtbildes. Würden wir die Schulden vollständig tilgen und dafür eine Wirtschaft hinterlassen, die am Boden liegt, weil wir zu wenig in Bildung und Infrastruktur investiert, durch zu hartes Sparen das Wachstum abgewürgt oder durch Ignorieren der Erderwärmung den Planeten ruiniert haben, könnten wir von unseren Kindern wenig Dankbarkeit erwarten.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld